>Info zum Stichwort AngelaMerkelsolltesichmalsorichtig-verwöhnenlassen | >diskutieren | >Permalink 
Patrick Bahners schrieb am 15.8. 2005 um 14:52:17 Uhr über

AngelaMerkelsolltesichmalsorichtig-verwöhnenlassen

15. August 2005

Der Königsplatz ist wiedervereinigt. Die Straßenbahnen, deren Schienen ihn zerschneiden, dürfen während der Kundgebung nicht fahren. Angela Merkel ist nach Kassel gekommen, um den Wahlkampf zu eröffnen, »begleitet«, wie der Moderator bekanntgibt, »von allen Oberen der CDU hier in Hessen«. Ist Roland Koch neuerdings hier in Hessen ganz unten? Er ist nicht zu sehen. Statt dessen ein Herr von Kohlschem Leibesumfang, dessen Anzug das Farbkonzept der Veranstaltung durchbricht, ein brauner Klecks auf der Fahne der orangefarbenen Restauration. Und eine Dame, die es vorher im sogenannten Talk mit einem bildungssoziologischen Sachzwang begründet hat, daß Frau Merkel Bundeskanzler werden muß. Wozu schickt man die Frauen auf die hohen Schulen? »Es kann nicht sein, daß sie dann nur zu Hause herumsitzenWenn unsereins studiert, dann hat sie was davon.

Die von der Polizei gezählten dreitausend Damen und Herren, die an diesem verregneten Freitag nachmittag lieber auf dem Königsplatz herumstehen, als zu Hause im Trockenen zu sitzen, sind durchweg schlanker als der Durchschnittsobere der CDU hier in Hessen und hätten wohl bequem auf der einen Seite des Platzes zusammenrücken können. Aber man darf annehmen, daß die Physikerin am Pult es gar nicht darauf abgesehen hat, eine kritische Masse zu erzeugen und jene Energie freizusetzen, die auf Volksversammlungen aus der bloßen Tatsache der Reibung entsteht. Sie möchte »fünf Wochen vor der Bundestagswahl ein paar Argumente austauschen« und erweckt den Eindruck, daß sie sich lieber mit jedem Wähler einzeln unterhielte.

Wie eine Wurstverkäuferin

Mit den Kategorien der Rhetorik, insofern sie den Redner den Umgang mit einer Menge lehrt, ist ihr Monolog nicht zu fassen. Eine Rednerin mag gut beraten sein, die Wortgewalt, die auf Überwältigung zielt, den männlichen Rivalen zu überlassen. Aber Frau Merkels Redeweise geht alles Verführerische ab. Sie gibt sich gar keine Mühe, das Wohlwollen des Publikums zu gewinnen. Ihre Stilberater haben sie aus den Hosenanzügen befreit und ihr Spitzen in die Haare gedreht. Doch ihr Vortrag bleibt formlos und uncharmant. Die Sätze haben keine Melodie, die Worte keine Farbe. Sie zerstückelt jeden Satz wie eine Wurstverkäuferin den Schinkenspeck und ein Waffenlobbyist die Millionen.

In den Unkunstpausen werfen die hohen Mauern der Konsumtempel am anderen Ende des Platzes ihre Wörter zurück, als stünde jenseits der Straßenbahnschienen ein zweites Podium mit einem Merkel-Roboter. Diese Klonierung kann schwerlich im Sinne der Rednerin sein, obwohl sie unter dem Stichwort »Werte« die Gefahr beschwört, daß Deutschland bei der Gentechnologie zurückfällt. Der Doppler-Effekt hämmert dem Publikum das Versatzstückhafte des Formelkrams ein. »Und meine Damen und HerrenUnd Herren! »Das halte ich für das SchlimmsteSchlimmste! »Ein Herr HartzHartz! Na ja, das übliche Echo.

Und nehmen Sie Ihr Portemonnaie mit!

Ein junger Mann im Sporthemd, der mit seiner Freundin gekommen ist, will den Namen Hartz nicht mehr hören. »Sie schimpft die ganze Zeit und sagt nicht, was sie anders machen will. Darauf warte ich jetzt schon eine ViertelstundeEine gefühlte Viertelstunde, denn tatsächlich spricht die Rednerin erst sechs Minuten lang. Bevor sie dem Frustrierten (Kassel lag am Zonenrand!) seinen Wunsch erfüllt, schiebt sie im Stil eines Entwicklungshelfers einen Grundkurs in Volkswirtschaftslehre ein. Man muß »auch etwas einnehmen« und kann sich nicht »alles auf Pump« leisten. Fehlt nur der gute Rat: Und wenn Sie nachher Ihre Wochenendeinkäufe machen, meine Damen und Herren, dann denken Sie daran, Ihr Portemonnaie einzustecken!

Die Vorlesung kostet zehn Minuten, dann kommt die Kandidatin endlich zu ihrer Sache. Da sie der simpelste Spannungsbogenbau überfordert und keiner ihrer Sätze den folgenden anzukündigen scheint, sorgt sie für einen Moment unfreiwilliger Komik. »Sie werden sich jetzt fragenPause. »Könnt ihr es denn besserPause. »Wir haben das im CDU-Präsidium lange diskutiertPause. »Und schließlich doch beschlossen, bei der Vertrauensfrage mit Nein zu stimmen

Kein Wort zu Außenpolitik oder Arbeitsrecht

Es war das Programm, das man lange diskutiert hat, und insbesondere die Frage, »ob wir den Menschen vor der Wahl sagen sollen, was wir nach der Wahl tun werden«. Damit spricht die Parteivorsitzende tatsächlich ein gewichtiges Problem der politischen Ethik an, über das sich in Kassel der Mann auf der Straße sogar im Regen Gedanken macht. Denn just an dieser Stelle handeln sich die jungen Leute, die ein Transparent mit der Parole »Wir wollen eine strenge Mutter!« hochhalten, von einem älteren Herrn in blauer Wildlederjacke die Ermahnung ein, sie sollten doch zuhören und einmal darüber nachdenken. Antwort: Darüber haben wir schon nachgedacht. Ebenso wie der Moderator, der Angela Merkel als »die ehrlichste Politikerin Deutschlands« angekündigt hatte. »Ich habe sie persönlich kennengelernt, und Sie werden sie heute kennenlernen

Ehrlicherweise kann sich diese Politikerin nicht beschweren, wenn ihre Gegner auf die Mehrwertsteuer ihren Namen kleben. Denn die Erhöhung dieser Steuer ist Gegenstand der einzigen Ankündigung, die sie in ihrer Rede macht. Sie sagt nichts zum Arbeitsrecht oder zur Gesundheitsreform. Für die Außenpolitik hat sie in der Mitte der Republik kein einziges Wort übrig. Über die Abschaffung der Ausnahmen im Steuerrecht redet sie so, als sollten dadurch vorrangig die Besserverdienenden getroffen werden. Der Beifall der Oberen auf dem Podium fällt an diesem Punkt eher pflichtschuldig aus, aber auch das mag als Beitrag zur Ehrlichkeit gedacht sein. Nicht durchgehen lassen darf man, daß Frau Merkel den Eindruck erweckt, bei Studiengebühren gehe es um Langzeitstudenten und nicht auch um das Erststudium in Regelzeit.

Regieren ohne Sprüche

Die »Bildung unserer Menschen« muß wieder eine »anständige Bildung« werden, die »Leistung« honoriert: Da wird der Applaus kräftig, das ist das alte Kampfthema der Hessen-CDU. In Nordrhein-Westfalen hat die SPD ein Schulfach namens Naturwissenschaft eingeführt, da müssen die Schüler nicht die Schwerkraft erklären, sondern drei Blumennamen nennen. Das kann doch nicht schwer sein! Noch lauter wird der Beifall, als der Befund der Pisa-Forschung angeführt sind, wonach die Sachsen fast so schlau sind wie die Bayern. Die Getreuen möchten über einen Scherz auf Kosten Edmund Stoibers lachen, aber es ist durchaus ungewiß, ob Frau Merkel auf die aktuelle Debatte um die Klugheit von Bevölkerungsteilen anspielen will. Durch die Blume zu sprechen ist schwer, wenn man die ehrlichste Politikerin Deutschlands ist. Die nonverbalen Mittel, durch die ein Redner Einverständnis mit den Zuhörern herstellt, stehen Frau Merkel nicht zu Gebote.

Als ihre Rede nach nur neununddreißig Minuten abbricht und die Straßenbahnen wieder fahren, wirken ihre Anhänger gleichwohl nicht unzufrieden. Sie wollen nicht aufgerüttelt oder mitgerissen werden, denn sie glauben, daß die Zeit der Überredungskünstler abgelaufen ist. Wer viel ausgibt, ist eines Tages pleite, das weiß jedes Kind. Eine strenge Mutter regiert ohne Sprüche.

http://www.faz.net


   User-Bewertung: 0
Du willst einen englischen Text schreiben? Nehme den englischen Assoziations-Blaster!

Dein Name:
Deine Assoziationen zu »AngelaMerkelsolltesichmalsorichtig-verwöhnenlassen«:
Hier nichts eingeben, sonst wird der Text nicht gespeichert:
Hier das stehen lassen, sonst wird der Text nicht gespeichert:
 Konfiguration | Web-Blaster | Statistik | »AngelaMerkelsolltesichmalsorichtig-verwöhnenlassen« | Hilfe | Startseite 
0.0256 (0.0141, 0.0098) sek. –– 822190971