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Günter Quadflieg schrieb am 4.12. 2000 um 10:18:37 Uhr über

Breitmaulfrosch


Zwischendurch
Habe er oft an seinen Lieblingstraum denken müssen
Den er schon als Siebenjähriger
In langweiligen Schulstunden
Habe immer häufiger träumen müssen

Gerd mit der Grille
Kurt mit dem Käfer
Hans mit der Hummel
Und Fritz mit dem Frosch
Wären gekommen
Hätten sich in einer Reihe aufgestellt
Alle hätten von ihren Vätern Zigarrenkisten gehabt
Die mit Blättern ausgekleidet waren
Dann hätten sie nacheinander langsam die Deckel geöffnet
Erst Gerd mit der Grille
Und die Grille habe sofort begonnen zu zirpen
Dann hätte Kurt mit dem Käfer
Den Deckel seiner Zigarrenkiste langsam geöffnet
Und der Käfer habe sofort begonnen mit seinen Fühlern zu trommeln
Dann Hans mit der Hummel
Und die Hummel habe sofort begonnen leise dann immer lauter zu summen
Und immer zum Schluß
Wäre Fritz mit dem Frosch
Einen Schritt vorgetreten
Alle hätten auf diesen Augenblick immer mit Spannung gewartet
Weil man nie vorhersagen konnte
Ob der Frosch heute bei Stimme sei
Habe langsam den Deckel geöffnet
Und der Frosch habe tatsächlich
Mit tiefer Stimme gesungen

Und diese sinfonische Dichtung
Für Grille Käfer Hummel und Frosch
Habe er selbst in wichtigsten Sitzungen
In sich hineingesummt
Und erst dann sei allmählich jeglicher Frust von ihm gefallen
Und er habe ein fröhliches Gesicht gemacht
Und alle hätten ihn für einen netten Kollegen gehalten

Erst viele Jahre später habe er einen Text zu dieser Melodie geschrieben
Den er in sich hinein habe sprechen können
Weil oft das leiseste Summen nicht möglich
Man zu eng
In wichtigen Sitzungen
Nebeneinander gesessen habe

Sitze hier vergeude die Zeit
Folge Gedanken aus kindlichen Tagen

Höre im Stillen
Käfer Frösche
Und Grillen

Leise singen
Im Abendlicht
Nein meine Freunde
Ich vergesse euch nicht







Dabei habe er vor sich immer
Nacheinander
Gerd mit der Grille
Kurt mit dem Käfer
Hans mit der Hummel
Und Fritz mit dem Frosch
Gesehen
Und Feinde wären zu Freunden geworden
Und Frust zur Fröhlichkeit

Nur so habe er
In den letzten fünfzehn Jahren
Sitzungen und Besprechungen
Schadlos überstehen können

An seinem Schreibtisch sei es ähnlich gewesen
Habe er Aktenvermerke geschrieben
Habe er an Rilke denken müssen
Habe er Grußworte schreiben müssen
Wäre ihm Grass in den Sinn gekommen
Bei Dienstanweisungen
Habe er Ditfurth nicht aus dem Kopf bekommen
Und bei Abmahnungen
Sei Marcuse nicht zu vertreiben gewesen
Und Unwichtiges sei plötzlich noch unwichtiger geworden
Langweiliges noch langweiliger
Sinnloses habe er gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen können

Man habe sich auch immerfort besprochen
Und Unsinniges wäre wie Warzen über ihn gekommen
Die man ja auch bespreche
Aber immer an Hälsen und Händen sitzenblieben
Wie in Besprechungen immer alle sitzenblieben
Obwohl vieles schon nach wenigen Worten
Besprochen gewesen sei
Wäre man sitzen geblieben
Als würde man auf noch Sinnloseres warten
Erst nach Stunden
Sei man richtig wichtig gewesen
Habe sich vertagt
Um morgen auch noch wichtig zu sein

In solchen Besprechungen
Habe er auch immer an
Gerd mit der Grille
Kurt mit dem Käfer
Hans mit der Hummel
Und Fritz mit dem Frosch
Denken müssen

Er hätte am liebsten
Einen Käfer
Eine Grille
Einen Frosch
Nacheinander auf den Tisch gesetzt

Und sie
Zirpen
Trommeln
Summen
Singen
Und dann die Hummel fliegen lassen




Damit alle zur Decke starren
Um die unendliche Weite des Raums zu fühlen

Oder er habe in Gedanken
Vier Zigarrenkisten auf den Tisch gestellt
Langsam die Deckel geöffnet
Der Geruch der Blätter wäre sofort in alle Nasen gedrungen
Und der Frosch
Habe er dann gesagt
Solle zur besseren Meinung hüpfen
Die Grille dem Klügsten etwas ins Ohr zirpen
Der Käfer Ungeduld verbreiten
Und mit seinen Fühlern mahnend auf den Tisch trommeln
Damit das Unwirkliche beendet sei
Und das Besondere wieder Platz fände
Das Leben nicht vergeudet
Und kostbare Zeit nicht weggeworfen werde

Manchmal habe er auch Alpträume gehabt
Meist in äußerst wichtigen Sitzungen
Wenn er die vier Zigarrenkisten auf den Tisch gestellt
Und die Deckel langsam geöffnet habe
Sei nichts passiert
Gar nichts

Die Grille habe nur kurz über den Rand geguckt
Und sich sofort lautlos unter den Blättern versteckt
Der Käfer sei erst garnicht erschienen
Der Frosch hätte eine halbverdaute Fliege
Mitten auf den Tisch gespuckt
Und die Hummel
Hätte regungslos in einer Ecke gesessen
Und keinen Ton von sich gegeben

Denn
Sinnloses und Sinnhaftiges hielten sich nicht mehr die Waage
Trostlosigkeit erdrücke das Tröstende
Sowie der Sturm immer die Stille auflöse
Und das Geld die Grillen vernichte
Weil keine Poesie im Geld stecke
Und keine Liebe

Ganzheit
Nicht Fragmente
Habe er oft gerufen
Er wisse genau warum alle nur an Fragmenten arbeiten
Damit sie den Schwachsinn der Ganzheit nicht erkennen

Und jeder solle sich Blätter nehmen
Reichlich
Und sie an alle Protokolle heften
Als Mahnzeichen
Weil man sich versündige
Am Leben

Heute trage er den Namen Schmeichel
Gäbe sich als Biologe aus
Und sei auf Fachtagungen über
Grillen
Käfer
Frösche
Und Hummeln
Begehrt und geachtet

©Quadflieg 9/2000





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