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! schrieb am 31.3. 2008 um 00:54:24 Uhr über

Elternbesuch

Als ich den Nissan Murano testete, war meine Urteilskraft getrübt. Denn meine Eltern waren zu Besuch. Besuche meiner Eltern sind festen Ritualen unterworfen. Meine Mutter spült immer erst einmal Geschirr in meiner Küche. Sie sagt, sie könne ungespülte Tassen nicht ertragen. Erst recht nicht, wenn sie in der Wohnung »vergammeln«. Ist bei ihrer Ankunft bereits alles gespült, dann sagt sie, es sei nicht gestaubsaugt worden, eilt in die Kammer, holt den Staubsauger hervor und saugt. Diesmal hatte ich sowohl gespült als auch gestaubsaugt. Meine Mutter trat in die Wohnung, kontrollierte die Tassen, die ihr im Küchenschrank in aseptischem Glanz entgegenstrahlten, marschierte ins Schlafzimmer, fand selbst dort nicht einen einzigen Krümel, den wegzusaugen sich gelohnt hätte, und behauptete dann, die Luft in meiner Wohnung sei »schlecht«. Ich solle öfters lüften. Und riss dann die Fenster weit auf.

Vater sagte, er wolle, da meine Mutter mit dem Lüften beschäftigt sei, das Testauto mal sehen. So groß, so mächtig, wie ich am Telefon behauptet habe, könne das doch gar nicht sein. Dass ich mich nicht traue, damit zu fahren, da es so »prollig« sei, und nur nachts verlegen damit um die Häuserblöcke kreise, nur damit ich etwas für die Zeitung aufzuschreiben hätte, Vater lachte, dafür sollte ich mich schämen. Wann hätte ich schon einmal die Gelegenheit, so ein luxuriöses und teures Auto zu fahren? Und er sagte noch, dass mein eigener Wagen, mein kleiner Seat Arosa, den ich mühsam in Raten abzahle, dass der die eigentliche Schande sei: »dieses Frauenauto«. Mutter meinte daraufhin, mein Seat sei immer so verstaubt, und den Aschenbecher darin, den würde ich nie leeren. Ob ich den Neuen auch schon so »eingesaut« hätte?

Ich war in meiner Testphase also nicht sonderlich gut gelaunt. Und es mag auf das Urteil, den Nissan Murano betreffend, abgefärbt haben. Dies zu seiner Verteidigung. Denn ich mochte dieses Auto nicht. Ich parkte es immer in einer ruhigen Parallelstraße, die Nachbarn sollten nichts erfahren. Bevor ich losfuhr, inspizierte ich jedes Mal die Straße, lief ein paar Meter auf und ab, täuschte Geschäftigkeit vor, und erst wenn kein Passant mehr sich blicken ließ, stieg ich rasch ein. Drinnen war es dann erträglich, der Nissan Murano hat ausgesprochen dunkel getönte Scheiben.

Um seine positiven Eigenschaften schnell abzuhaken: Das stufenlose Automatikgetriebe des Murano beschleunigt rasant, er hat ein Navigationssystem mit halbwegs erotischer Damenstimme und einen Monitor am Armaturenbrett. Wenn der Rückwärtsgang eingelegt ist, zeigt die Weitwinkel-Farbkamera, die dezent in der hinteren Nummernschildeinfassung montiert ist, was sich hinter dem Auto so abspielt. Sie gleicht damit einen gravierenden Nachteil des Nissan aus: seine ausladende, zum Einparken gänzlich ungeeignete Außenhaut. Was sich vorn abspielt, sieht man hingegen ganz gut, denn man sitzt erhöht: Es ist ja auch ein Crossover, man besteigt ihn nicht ohne Höhenangst. Gebaut ist er für die menschenleeren Weiten von Steppen und Wüsten in fernen Ländern. Auf einem einsamen Highway würde man dann schamlos in einen riesigen Burger beißen, wäre eins mit seinem Gefährt. Dort wären auch seine Defizite zu vernachlässigen: Der Murano beansprucht in ruhendem Zustand schätzungsweise zwei deutsche Normparkplätze; bei einer Fahrt durch europäische Gassen reißt er mühelos Schneisen in die Häuserwände, und sofern man nicht durch Köln-Kalk fährt, zieht er teils verächtliche, teils mitleidige Blicke auf sich. Und zwar nicht, weil es so sündhaft ist, ein völlig unökologisches Auto zu fahren, aus dieser Phase sind wir ja wieder raus; nein, sondern weil der ästhetische Feinsinn der Designer bei diesem Wagen grandios versagt hat. Sollte mich jemand beim Einsteigen versehentlich doch erblicken – diese Strategie hatte ich mir sorgsam zurechtgelegt –, würde ich aus dem Fenster »Es ist nur ein Testauto!« rufen. Zu diesem Ernstfall ist es nicht gekommen.

Der Nissan-Designdirektor Shiro Nakamura behauptet, das Design des Murano habe »einen hohen Wiedererkennungswert«. Dem ist unbedingt zuzustimmen. Es prägt sich tatsächlich sehr ein, der Murano gehört mittlerweile zum festen Inventar meiner Albträume. Die grimmige Kühlerhaube, ineinander verhakten Zahnreihen gleich, rast mit 250 km/h auf mich zu. Ich stehe auf einer einsamen Landstraße, ich kann mich nicht bewegen. Ich weiß nicht, warum. Von den trapezförmigen Scheinwerfern geblendet, wache ich immer schreiend auf.
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Mein Vater umrundete das Auto mit prüfendem Blick. Auch Mutter kam hinzu, sie hatte zu Ende gelüftet. Vater sagte sehr ruhig, fast sanft, er könne mich verstehen. Man brauche ein starkes Selbstbewusstsein, um den Murano zu fahren. Man dürfe sich nicht schämen. Das Auto assoziiere er mit einem Panzer. Ich erwiderte, dass es mich an guten Tagen, aber auch nur des Namens wegen, an die gleichnamige bei Venedig gelegene Insel erinnere. Und erzählte, dass Casanova dort einst zwei Nonnen verführt habe. So steht es jedenfalls in seinen Memoiren. Vater sagte, halb scherzend, davon verstehe er nichts.


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