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anoubi schrieb am 19.12. 2002 um 06:40:54 Uhr über

Fußgängerampel

Wenn ich es eilig habe, achte ich beim Überqueren der Straße fsast nicht auf rot/gelb/grün der Ampeln, sondern nur auf die Nähe oder Ferne der Autos. Alldieweil ich dann keinen Bock habe, einem Raser, in der Innenstadt (!) die Vorfahrt zu lassen. Nur weil er glaubt, er sei in seinem mit Bleck gepanzerten Wagen der Stärkere. Und die Farbe der Ampel interessiert mich dabei gar nicht. Ich sehe, je nach meiner Stimmung, in ihm den heranrasenden Stier, und mich als Torerero, oder, ich sehe ihn als Idioten, im BMW oder Mercedes (VW- und sonstige Kleinwagenfahrer sind - in der Regel - rücksüchtsvoller, bremsen und halten ohne zu hupen, die Fensterscheibe runterzulassen, zu toben, und mir von ihrem grünen Vorfahrtslicht zu erzählen, was ja auch eh Quatsch ist, denn ich weiß ja, daß er grün und ich rot habe). Seltsamerweise (oder auch nicht?) neigen in gut gepanzerten teuren Autos sitzende Männer zu emotional aufgeregten Reaktionen. Hupen, Fenster runterlassen, schreien, toben. Brutalste Reaktion: »Ich komm gleich raus und schlag dich von der StraßeIch zog ne Knarre. Er fuhr weiter. Diese Knarre ist nur ein Feuerzeug. Sieht aber täuschend echt aus.Vor allem, wenn es schon oder noch düster ist.
Wann bin ich in Eile?
Wenn ich im Streß bin. Mein Schreibtisch unter dem Papierkrieg ächzt. Ich eine Bankkarte oder einen Ausweis oder einen Schlüssel oder ein ausgedrucktes e-mail oder einen Brief oder oder nicht finde. Ich brauch das Ding aber. Und tue dennoch das Vernünftigste. Aufräumen! Nicht suchen! Denn das schmerzlich Vermißte und aus Tagesordnungsgründen Notwendige finde ich beim Aufräumen nach fünf Minuten oder fünf Stunden.
Die Zeit, in der ich einen Besucher mit schlechten Maniueren hatte, und nach seinem Weggang meine Bankkarte vermißte, daher die drei Minuten von meiner Wohnung zur Filiale der Berliner Sparkasse lief, die Karte sperren ließ, zurückkam und mein Freund und Mitbewohner mir die vom Schreibtisch heruntergefallene Bankkarte überreichte, die ich soeben hatte sperren lassen (kostet acht Euro), diese Chaos-Zeiten sind, Buddha und/oder Allah sei Dank, seit ungefähr einem Jahr Vergangenheit.
Wenn also ich im Streß bin, wie und warum erkläre jetzt nicht weiter, denn ich will ja hier und heute keinen Roman schreiben, wenn also ich im Streß bin und dennoch oder deshalb ich vom meiner Wohnung im Prenzlauer Berg zum Alexanderplatz laufe, achte ich nicht auf Ampeln und ihr grün, gelb, rot, sondern nur auf die nhäher oder weiter entfernten Autoinsassen, die in meine Richtung fahren. Und gewiß, eine nicht zu unterschätzende Prozentzahl dieser Fahrer sind, durch die Gnade ihrer späten Geburt, verhinderte Panzerfahrer. Sehen in mir den Todfeind, der die Regel - grün hat Vorfahrt - mißachtet, daher ein Verbrecher ist, über den sie gern und sofort die Todesstrafe - in diesem speziellen Fall: Tod durch Überfahren vollziehen möchten. Na okay. Ich wäre tot. Mein Freund, wir sind versichert, ein reicher Mann. Und der Idiot, der ja in seinem gepanzerten Wagen, nur ein bißchen Blechschaden zu erwarten hat, bekäme danach eine Gerichtsverhandlung. Ich könnte im Jenseits hören wie mein guter und gut bezahlter Rechtsdanwalt vor dem hohen Gesicht äh Gericht plädierend erklärt: »Der jetzt tote Herr Ernst war ein nicht ganz unbedeutender Schriftsteller, Philosoph und Wissenschaftler mit Chaos-, Atom-, ökonomischer, soziologischer, psychologischer und/oder politischer Theorie im Kopf, diese rKopf war zugleich angefüllt mit eiligen Tagesgeschäften und unaufschiebbaren alldieweil militärischen Entscheidungen auf höchster Ebene. Kürzer gesagt: Herr Ernst war etwas wirr im Kopf. Achtete daher nicht auf grün, rot und die anderen vergleichbar unwichtigen Farben der Ampeln und des Lebens im Berliner DschungelNach diesem Anfangsplädoyer, Auftritt des ersten Schachverständigen der Verteidigung, ein in Kollegenkreisen sehr geachteter und nicht unbekannter Facharzt für Neurologie, Psychiatrie, Psychiatrie und Psycholanalyse, der den leider so früh Verstorbenen jahrelang ärztlich betreute und begleitete. Na und so weiter. Kürzer gesagt: es wäre dem auch im Gerichtssaal anwesenden Herrn Rüpel zuzumuten gewesen auf die Bremse zu treten.
Ich lege keinen Wert auf diesen »Heldentod« im Dienst der Gleichberechtigung der Fußgänger. Ich weiß ja, daß ich danach in die fast gleiche Scheißwelt wieder hineingeboren werde. Aber. Der Arsch im Auto, der in wirklich letzter Sekunde bremst und/oder ausweicht, kann mich ja eh nicht erwischen, denn ich werde plötzlich schnell und erreiche die Mitte der Fahrbahn, eine Fußgängerrettungsinsel, und betrachte wartend den Gegenverkehr. Der Rüpel, gewiß wiedergeboren aus einer Zeit, in der er, noch nicht in einer vierrädigen Rüstung, aber dennoch schon auf einem hohen Roß, alte Männer, junge Frauen und kleine Kinder niederritt, weil sie nicht notwendig schnell zur Seite flitzten, läßt sein Fenster runter, brüllt mich an, er hätte grün und ich rot. Ja wann und wo lebt er denn? - Noch in einer Zeit, in der Eisen am Körper und Scheiße im Hirn brüllend, rüpelhaft, wasserdicht und dumm durch die Landschaft tobte, und, der rücksüchstloseste Blödmann setzt sich siegend durch, noch auf eine - statistisch gesehen - beachtbare Zahlenkombination hinweisen konnte?
Im Gegensatz dazu lebe ich im 21. Jahrhundert und latsche vom Prenzlauer Berg zum Alexanderplatz, beispielsweise weil ich spezielle Farbbänder, Film- und/oder Videokassetten und/oder den schnellen Kontakt zu einem Punker brauche, und es interessiert mich überhaupt nicht, daß der - nach Vollbremsung - aus seinem gepanzerten Fahrzeug herausbrüllende Idiot mir schreiend erklärt, er hätte grün, ich rot, und daher er Vorfahrt. Ich habe in dieser Situation eh kein Wörterbuch dabei, und, generell, keinen Bock, ihm das griechische Wort »autonom« in seinen Hinterwäldlerdialekt zu übersetzen.
Ich bin schlecht drauf. Er beweist mir, durch seine Reaktion, daß er schlechter drauf ist, und ich, ich weiß ich weiß, habe einen »verachtenswerten Charakter« (das konnte ich schon vor 45 Jahren in einem Strafgesetzbuchkommentar zum Paragraph 175 lesen), ich also erkenne, daß der Arsch schlechter drauf ist als, gehe lachend weiter und fühle mich viel wohler in meiner Haut.
Tatsächlich erlebt. Ich mußte weg vom Schreibtisch und Tabak holen, denn leider bin ich nach dieser Droge süchtig. Allah und Buddha sei Dank, nur nach dieser Droge! Es war lang nach nach Mitternacht. Es war kalt und regnete. Aber ich mußte zur Tankstelle. Denn nur sie konnte mir in dieser Uhrzeit Tabak verkaufen. Ich sah kein Auto und für mich war rot. Ich latschte über diese Bahn. Da kam einer qietschend um die Ecke. Wahrscheinlich 60.000-Euro-Wagen. Der Einezlfahrer in dieser Energieverschwendung bremste, kurbelte sein Glas herunter, brüllte mich an: »Siehst du kein Rot«. Ich sah Anzug, Krawatte und, mit an Sicherheit angrenzender Wahrtscheinlichkeit, einen Akademiker. Ich hatte ihn noc h nie gesehen. Ihm, folgerichtig, auch nie das »du« angeboten. Doch er brüllte »du«. Hatte, wieder folgerichtig gedacht (griechisch: »logisch« gedacht), schlechtere Manieren als ein polnischer und das Deutsche nur mit viel Mühe beherrschender Bauarbeiter. Ich brüllte zurück: »Ich sehe rot, jetzt sogar zwei mal rotDas war ihm zu unverständlich. Er saß in seiner sinnlos-Benzinverbraucherkutsche, glotzte. Ich. »Fahr weiter, du IdiotEr fuhr weiter.
Noch was real Erlebtes. Ich war schlecht drauf. Es war 4 Uhr 36. Mein Freund noch nicht zu Hause. 14 Tage zuvor ein Raubüberfall in genau der Gegend zwischen unserer Wohnung und seinem Club. Der kostete uns kaum wiederbeschaffbare Schallplatten, und wir brauchten acht neue Schlösser mit neuen Schlüsseln. Und nun der Film »Peter allein zuhaus. Peter schlecht drauf
Ich war in der Unruhe. Um ihr zu entgehen, latschte ich los, zum Club und den Wohnungen, in dem und denen ich ihn gewiß finden hätte können. Ich fand ihn im Club. Aber. Er hätte ja auch, nach Übefallen oder Überfahren, im Krankenhaus sein können. Und, wie gesagt, ich schlecht drauf. Dann, noch unterwegs, die rote Ampel und der erste oder zweite frühe Berufsverkehr. Warum müssen die Leute schon früh am Morgen Benzin verschwenden? Warum können sie nicht, wie ich, gleich neben ihrer Wohnung arbeiten? - Ich war sehr schlecht drauf, sah die rote Ampel und eine lange lange Reihe fahrender Autos. Ich holte meine Feuerzeugschießpistole aus einer Jackentasche und hielt sie, gut erkennbar, in Richtung des Autos, dessen Fahrer glaubte, er müsse vor mir über meinen Weg rollen. Es war ein VW-Lieferwagen. Ein mittelalter Mann und eine mittelalte Frau saßen drin. Er fuhr. Für mich war erkennbar, sie waren nicht in einer Mittelalterlebenskrise. Der Fahrer hielt, ließ mich vorbei, fuhr weiter. Sie hatten mich, mäßig interessiert angesehen, wie einen alten Film im Fernsehen. Mein Gehirn regristrierte mein Okay. Dann die Gegenfahrbahn. Auch ein Firmenwagen. Der Fahrer hielt, sah meine »Pistole«, lachte, dann sah er in mein Gesicht, und ich, 60 Jahre und fünf Wochen alt, hatte bis dahin noch nie einen so schnellen Wechsel von einem lachenden Gesicht zu einem extrem erschrockenen Gesicht gesehen. Anders gesagt, er hielt plötzlich für möglich, daß die »Pistole« eine echte Waffe war und ich, einen Anhauch mehr gereizt, bedenkenlos schießen würde. Und damit empfandf er richtig. Doch ist nicht zufällig die »Pistole« keine echte Waffe.
Dieser langen Erzählung kurzer Sinn: Wenn eine statistisch beachtenswerte Großzahl Autosesselfurzer, daß sie auch im Fernsehsessel und im Bürosessel vor sich hinmuffeln erkenne ich an ihrer ungesunden Hautfarbe und ihrem fetten Gewicht, nicht schnellstens bessere Manieren erwerben, erlasse ich im Bereich Prenzlauer Berg, und rund um den Alexanderplatz ein fast generelles Autofahrerverbot und setze es durch.
Fast generell. Denn Taxifahrer (mit denen ja auch ich gelegentlich fahre), anständige Lieferanten, Anwohner, Polizei, Krankenwagen und vergleichbare Dienste werden natürlich aus meinem fast nur generellen Autofahrerverbot rausgenommen.

Hans-Peter Kossaj
Amenokal aus Ingos Burg
Zur Zeit in Tom Cats Schiff


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