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wuming schrieb am 10.3. 2003 um 05:15:56 Uhr über

Katastrophe




Michael Schneider

Die schön geredete
Katastrophe











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EINE DRITTE EXEKUTIONDer erste Golfkrieg und
das folgende Embargo hatten bereits verheerende
Auswirkungen für die irakische Zivilbevölkerung - ein
neuer Krieg wäre ein Akt von Barbarei

In der Geschichte der Strafjustiz hat man hier und da von
Schwerverbrechern und Massenmördern gehört, die zu zwei- oder
dreimal lebenslänglich verurteilt worden sind. Noch nie aber
davon, dass ein- und derselbe Täter gleich mehrfach zum Tode
verurteilt, geschweige denn mehrfach exekutiert worden wäre.

So absurd die Vorstellung einer mehrfachen Exekution bei einem
individuellen Täter auch ist, gegenüber einem Regime, das
einmal zum »Schurkenstaat« erklärt wurde, kann sie zur perversen
Doktrin, zur Zwangsvorstellung einer Supermacht gerinnen, die
ihren »war on terrorism« längst für die Durchsetzung ihrer
geostrategischen Öl-Interessen und für die weitere Expansion
ihres Empires instrumentalisiert hat. Der irakische Diktator kann
machen, was er will: Die nächste militärische Exekution gegen
Bagdad ist im Weißen Haus und im Pentagon längst
beschlossene Sache.

Dabei hat das irakische Volk vor zwölf Jahren bereits ein Inferno
erlitten. Am 17. Januar 1991 begann die westliche Allianz, unter
Schwertführung der USA, die so genannte "Operation
Wüstensturm", um den irakischen Diktator, der im August 1990
das Nachbarland Kuwait überfallen hatte, zum Rückzug zu
zwingen. In den ersten drei Kriegswochen wurden mehr Einsätze
gegen irakische Städte und Stellungen geflogen als während des
Zweiten Weltkrieges gegen die Städte des Dritten Reiches.
Während die Weltmacht USA etwa 160 Soldaten im Kampf
verlor, davon 73 durch »friendly fire«, kostete der Luft- und
Bodenkrieg auf irakischer Seite - nach Schätzungen der
Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg - 100.000 bis
120.000 Soldaten und Zivilisten das Leben.

Noch nie in der Kriegsgeschichte war das Missverhältnis
zwischen den Verlusten der einen und der anderen Seite so
krass, so dass sich das Wort »Krieg« eigentlich verbietet. Es
handelte sich vielmehr um eine militärische Exekution.

In der besten Fernsehinszenierung aller Zeiten suchten die
US-Militärs mit schnieken Computerbildchen die Mär vom
»sauberen Krieg« ohne Blut und Verstümmelung zu verbreiten. Die
Bomber, so hieß es, flögen nur »chirurgisch präzise Angriffe«
gegen militärische Einrichtungen, von »Kollateralschäden«
abgesehen. Die Nachrichtenmeldungen rückten die so genannten
»smart bombs«, genau operierende Bomben, ins Blickfeld. Diese
aber machten nur sieben Prozent aller abgeworfenen Bomben
aus. Die meisten Angriffe flogen B-52-Bomber, die freifallende,
nicht gelenkte Bomben abwarfen.

In Wirklichkeit gehörten zu den »Kollateralschäden« nicht nur
Zehntausende von irakischen Zivilisten, sondern auch die
Zerstörung der irakischen Wirtschaft und Infrastruktur, wie der
ehemalige amerikanische Justizminister Ramsey Clark, der mit
einem Kamerateam während des Golfkrieges im Irak unterwegs
war, in seiner Dokumentation Operation Wüstensturm.
US-Kriegsverbrechen am Golf enthüllte. Das grauenvolle
Szenario von 1991 dürfte sich demnächst wiederholen, wenn
Präsident Bush den Angriffsbefehl gibt - ebenso die humanitäre
Katastrophe für die irakische Zivilbevölkerung.

*

Bereits in den ersten Kriegstagen zerstörten die US-Luftangriffe
die elf wichtigsten Stromkraftwerke sowie 119 kleinere
Kraftwerke. 90 Prozent der irakischen Stromversorgung fielen
aus. Raketen schlugen in 31 städtische
Trinkwasseraufbereitungs- und Kläranlagen ein. Die Abwässer
ergossen sich in den Tigris, überschwemmten die Straßen der
Hauptstadt und trugen so zur Verbreitung von Seuchen bei. An
dem verseuchten Wasser starben bereits im ersten Jahr nach
Kriegsende Zehntausende von irakischen Kindern.

Systematischen Angriffen war auch die irakische Landwirtschaft
ausgesetzt. Das einzige Traktorenwerk und die größte
Düngemittelfabrik des Landes, selbst eine Fabrik für
Babymilchpulver wurden zerstört. Ebenso alle
Wasserwirtschaftssysteme, darunter Talsperren, Staustufen,
Pumpstationen und Entwässerungsanlagen. Die Bauern konnten
ihr Land nicht mehr be- oder entwässern, in der Folge sank die
Nahrungsmittelproduktion um 50 Prozent. Auch die Viehbestände
wurden durch das Dauerbombardement dezimiert: Von zehn
Millionen Schafen blieben 3,5 Millionen übrig. Zu den
»Kollateralschäden« zählten ferner 28 zivile Krankenhäuser, 52
Gesundheitszentralen und 676 Unterrichtsstätten.

Dabei hatten die großflächige Bombardierung irakischer Städte
wie Bagdad und Basra und die Zerstörung lebenswichtiger
Infrastruktur weder etwas mit der Vertreibung irakischer Soldaten
aus Kuwait noch mit der »Entwaffnung« Saddams zu tun. Die
UN-Resolution 678 hatte den USA keine Lizenz erteilt, den Irak,
der - ungeachtet des vorangegangen Iran-Irak-Krieges - zu den
ökonomisch entwickeltsten Ländern der arabischen Welt gehörte,
in die Steinzeit zurückzubomben.

Warum aber wurde das in der UNO-Charta festgeschriebene
Prinzip der »Verhältnismäßigkeit der Mittel« vom ersten
Kriegstage an über den Haufen geworfen? Ramsey Clarks
Antwort ist eindeutig: "Das Pentagon beabsichtigte, mit den
Bombardierungen die Wirtschaft des Irak lahm zulegen und das
Land von ausländischer Hilfe dauerhaft abhängig zu machen.
Dies war keineswegs Nebensache, wie der Begriff »kollateral«
nahe legt, es war ein zentrales strategisches Ziel ... Durch die
Zerstörung lebenswichtiger Einrichtungen - und auch dies war
beabsichtigt! - starben nach dem Krieg mehr Menschen als
während des Krieges. Die Sanktionen verschlimmerten das
Elend."

Nach seiner Rückkehr aus dem Irak gründete Clark ein
Internationales Komitee zur Untersuchung von
Kriegsverbrechen, das von den Westmedien vornehm ignoriert
wurde. 22 Mitglieder aus 18 Staaten, unter ihnen hochrangige
Juristen, Anwälte und Völkerrechtler, sprachen die Vereinigten
Staaten in 19 Punkten schuldig, gegen Internationales Recht
verstoßen zu haben: unter anderem wegen des Einsatzes von
verbotenen Massenvernichtungsmitteln und von uranhaltigen
Geschossen sowie der Führung eines Umweltkrieges. So ist
inzwischen erwiesen, dass zirca die Hälfte der insgesamt 960
Ölbrände, die allesamt Saddam Hussein aufs Schuldkonto
geschrieben wurden, dadurch entstanden sind, dass die
US-Luftwaffe und französische Bomber Ölraffinerien,
Ölplattformen, Pipelines, Öltanker und selbst Tankstellen
bombardiert hatten.

Auf ihrer Suche nach mobilen Abschussrampen für irakische
Scud-Raketen setzten die US-Militärs international geächtete
Streu- und Splitterbomben ein, die in der Mehrzahl der Fälle zivile
Fahrzeuge - Taxis, Busse, Lastwagen, PKW - zum Ziel hatten.
Zahllose der bei der Flucht aus Kuwait auf dem "Highway des
Todes" Massakrierten waren ausländische Arbeiter aus dem
Sudan, Ägypten und anderen Ländern. Das Bombeninferno löste
einen Strom von drei Millionen Flüchtlingen aus.

"Unsere politische Führung hat im Golfkrieg Kriegsverbrechen
begangen, die ohne Zweifel mit den Kriegsverbrechen der Nazis
im Zweiten Weltkrieg vergleichbar sind" - konstatierte damals der
amerikanische Schriftsteller Kurt Vonnegut.

Dass die Amerikaner endlich einen Krieg gewinnen mussten, um
ihr »Vietnam-Trauma« zu überwinden, war offensichtlich. Die
Jubelstimmung der Amerikaner, die im Frühjahr 1991 ihren
»siegreichen« Präsidenten und General Schwarzkopf hochleben
ließen, weil er ihnen ein »Vietnam mit gutem Ende« beschert und
kaum teures amerikanisches Blut für billiges Öl vergossen hatte,
bewies: Man »überwindet« das eigene Trauma am besten, indem
man es anderen Menschen und Völkern zufügt.

Selten wurden vor und während eines Krieges so viele
schmutzige Lügen verbreitet wie in diesem. So hat das US-
Verteidigungsministerium seine eigenen Soldaten, die infolge der
Berührung mit irakischen Kampf- und Giftgasen lebensgefährlich
erkrankten, systematisch belogen. Sie erhielten Befehl, über ihre
Symptome zu schweigen, ihre Krankenakten verschwanden auf
mysteriöse Weise.

Auch alle Informationen über das so genannte
»Golfkriegssyndrom« wurden von den zuständigen US-Stellen
jahrelang zurückgehalten. Inzwischen ist jedoch erwiesen, dass
der Einsatz von mit Uran 238 angereicherten und gehärteten
Geschossen, die die US-Army und Airforce gegen die irakischen
Panzerarmeen einsetzten, die Hauptursache des
»Golfkriegssyndroms« ist, an dem 70.000 registrierte
amerikanische und britische Soldaten leiden. Durch die Explosion
der uranhaltigen Geschosse und die Freisetzung radioaktiver
Staubpartikel wurden große Teile des Kriegsgebietes, vor allem
im Süden des Irak, kontaminiert. Noch heute tickt dort die Wüste.
Die über die Nahrung und die Luft aufgenommene radioaktive
Strahlung ist auch für den sprunghaften Anstieg von
Missbildungen, Leukämie- und Krebserkrankungen der im
Kriegsgebiet lebenden irakischen Kinder verantwortlich.

Das nachfolgende zwölfjährige Handelsembargo und
Sanktionsregime gegen den Irak war nicht nur politisch
kontraproduktiv, denn es hat das despotische Regime Saddam
Husseins nur gestärkt und stabilisiert, es hat auch verheerende
Folgen für die irakische Zivilbevölkerung gehabt. Nach dem
ursprünglichen Willen der UNO sollte das Embargo nur solange
gelten, bis sich die Truppen Saddams aus Kuwait zurückgezogen
hatten. Doch sind nach der Befreiung Kuwaits alle
UN-Resolutionen zur Aufhebung des Embargos durch das Veto
der USA und Großbritanniens blockiert worden. Das brutale
Sanktionsregime, das es in dieser Form noch nie gab, war nichts
anderes als ein zweiter Krieg gegen die irakische
Zivilbevölkerung. Laut Unicef ist die Kindersterblichkeit in den
Jahren von 1990 bis 1999 um 160 Prozent gestiegen. Dies ist
der höchste Anstieg von 188 Ländern, die analysiert wurden. Eine
halbe Million Kinder sind in diesem Zeitabschnitt wegen
verschmutzten Wassers, fehlender Medikamente und
Unterernährung gestorben. Denn das - kürzlich erneut verschärfte
- Sanktionsregime mit seiner rigorosen Auslegung des "dial
use"-Prinzips erlaubt weder die Einfuhr von Impfstoffen,
Antibiotika und Infusionsnadeln noch von anderen notwendigen
medizinischen und technischen Geräten.

"Durch die Sanktionen werden bewusst Lebensbedingungen
geschaffen, die eine Gesellschaft zerstören - ein Verstoß gegen
die Genozid-Konvention", erklärte Hans von Sponeck, der (wie
schon sein Vorgänger, der Ire Dani Halliday), im Februar 2000
von seinem Posten als Leiter des Programms Öl für
Lebensmittel zurücktrat, weil er die Aushungerung und
Verelendung der irakischen Zivilbevölkerung nicht länger
mittragen wollte.

Im Namen der »Zwangsabrüstung« eines Regimes, das heute so
geschwächt ist wie nie zuvor, an dem geschundenen, dezimierten
und gänzlich verarmten irakischen Volk jetzt eine erneute
Militäraktion vollstrecken zu wollen, dies ist nicht nur ein
grenzenloser Zynismus, es wäre auch ein ungeheurer Akt der
Barbarei. Nach Informationen des Fernsehsenders CBS sollen
zum Auftakt eines Irak-Krieges »an einem Tag« 300 bis 400
Marschflugkörper und insgesamt 8.000 sich selbst lenkende
Bomben und Raketen abgefeuert werden - mehr als im gesamten
Golfkrieg 1991. Hierbei von »Krieg« zu sprechen, ist purer
Euphemismus. »Abschlachtung aus der Luft« und »Massenmord«
an einem wehrlosen Volk sind die einzig zutreffenden Vokabeln.

Wie Pentagon-Chef Donald Rumsfeld jüngst den Mitgliedern des
Washingtoner Verteidigungsausschusses eröffnete, bereiten sich
die USA darauf vor, beim nächsten Waffengang auch "nicht
tödliche" Chemiewaffen einzusetzen. Unter dem verniedlichenden
Etikett »nonlethal« rangiert auch jenes Gas, das russische Militärs
in einem Moskauer Musicaltheater zur Befreiung von Geiseln
einsetzten - und das in der Folge über hundert Menschenleben
forderte.

Auch den Einsatz kleiner Atombomben, der so genannten
»mini-nukes«, um unterirdische Bunker, Höhlenverstecke und
Waffenfabriken zu zerstören, schließt Rumsfeld nicht aus. Mit
anderen Worten: die Bush-Regierung behält sich für den
Häuserkampf im Zweistromland den Einsatz von Stoffen aus jener
Gattung vor, die Washington als casus belli gilt. Die
Administration ist im Begriff, dieselben Verträge zu verletzen, die
zu verteidigen sie vorgibt.


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