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Knoll schrieb am 14.5. 2003 um 17:43:15 Uhr über

Mönch

Dominikaner

1. Der Gründer und das Werk. In das Werk, den Predigerorden (Ordo
fratrum Praedicatorum, OP), sind Herkunft und Erfahrungen des Gründers
gleichermaßen eingegangen. Dominikus, kurz nach 1170 zu Caleruega in
Altkastilien geboren, verkörpert ein vielfältiges Erbe seiner Heimat: den
religiösen Eifer der Reconquista, die kirchlich-monastische Reform, die durch
die Augustinusregel geformten Gemeinschaften der Kanoniker, das Streben
nach Bildung und Wissen. Seinen Namen erhielt er nach dem heiligen Abt der
nahegelegenen Benediktinerabtei Silos, die in der Geschichte Spaniens eine
bedeutende Rolle gespielt hat. Nach mehrjährigem Studium in Palencia tritt
Dominikus in das Domstift Osma ein, wo er 1201 als Subprior bezeugt ist. Die
durch die genannten Elemente geprägte Lebensweise wird ihn begleiten und
seiner Gründung ein tragfähiges Gerüst geben. Das in den Kämpfen mit den
Mauren gefestigte Ideal kirchlicher Rechtgläubigkeit und die Geborgenheit einer
Chorherrengemeinschaft werden angesprochen, als Dominikus mit seinem
Bischof Diego auf zwei im Auftrag des Königs unternommenen Reisen nach
Nordeuropa in Südfrankreich Bekanntschaft mit der Häresie der Katharer
macht. Auch die Waldenser lernt er kennen, die, der Nachfolge des armen
Herrn verpflichtet, das Evangelium in der Wanderpredigt verbreiten. Sie
bedienen sich dazu volkssprachlicher Übersetzungen. Mangelndes Verständnis
ließ sie in die Häresie abgleiten. Mit Gewalt durchgeführte Bekehrungsversuche
mit Hilfe von Zisterziensern, Repräsentanten der alten Ordnung, die nicht
gewohnt war, Andersdenkende durch Beispiel und Argumente zu überzeugen,
schlugen in Südfrankreich fehl. Passendere Methoden mußten gefunden
werden. Dies nach einer Zeit des Überlegens und Tastens gesehen zu haben ist
das Verdienst der beiden Spanier. Dominikus und sein Bischof hatten zwar für
die Irrlehre keine Sympathie, aber das Leben und die Apostolatsformen der
Häretiker machten sie nachdenklich und bereit, von ihnen zu lernen. Ließen sich
apostolische Nachfolge und Predigt in einer kirchlich anerkannten Gestalt
verwirklichen, mußte das die Antwort auf eine historische Herausforderung
sein, die möglicherweise über die Situation in Südfrankreich hinauswies, weil sie
Ansprüchen entgegenkam, die das Jahrhundert mit dem Aufkommen neuer
gesellschaftlicher Schichten in den Städten Westeuropas stellte.
Und genau dies war die Idee, die Dominikus mit einer kleinen Gruppe von
Gefährten in die Tat umsetzen wollte. In rechtlich verbindlicher Form
approbierte Bischof Fulko von Toulouse im Jahre 1215 die
Predigergemeinschaft, die im Haus an der Kapelle des hl. Romanus das
Zentrum für ihre Predigtarbeit fand. Papst Honorius III. (1216-1227) nahm sie
am 22. Dezember 1216 in den Schutz des Apostolischen Stuhls. Die Bulle,
wiewohl in geläufigen Formeln abgefaßt, hatte den Vorteil, daß nunmehr die
Toulouser Kanonikerkommunität, die ordo canonicus genannt wird, unter der
Obhut des Papsttums stand. Auf sie folgte am 21. Januar 1217 ein weiteres
Dokument, an den «Prior und die Predigerbrüder des hl. Romanus im Gebiet
von Toulouse» gerichtet, welches das Außerordentliche der Gründung noch
deutlicher hervortreten läßt. Die Predigt, bisher vornehmste Aufgabe der
Bischöfe und der durch sie Bevollmächtigten, wird nun auch einem
«Predigerorden» anvertraut. Das heißt: Eine Gemeinschaft beginnt sich aus dem
Diözesanverband herauszulösen, indem sie dem Papst unterstellt wird. Ein
grundlegender Wandel in den herkömmlichen Seelsorgestrukturen kündigt sich
an, dessen theologische und rechtliche Begründung einstweilen noch aussteht.
Sie wird den Orden später beschäftigen.
Wahrscheinlich wäre aus den etwa dreißig Brüdern nie ein universaler Orden
geworden, hätte Dominikus nicht 1217 in einer kühnen Sendung, die gegen die
Vernunft zu sein schien, für Ausbreitung gesorgt. Die Orte sind bezeichnend
und programmatisch: Paris, Bologna, Spanien. Daß die beiden damals
bedeutendsten wissenschaftlichen Zentren herausgehoben werden, ist
offensichtlich Teil eines wohldurchdachten Plans. Predigt und Theologie sollen
zusammengehören. Dominikus selbst geht nach Rom und erwirkt dort eine
Bulle vom 21. Februar 1218, die die «Brüder des Predigerordens» den
Bischöfen des Erdkreises empfiehlt, weil sie der Verkündigung obliegen und
dem Herrn in Armut nachfolgen.
Eine auf Dauer angelegte Gemeinschaft mit einer den Rahmen der Tradition
sprengenden Aufgabe wäre ohne entsprechende Gesetzgebung nicht
aktionsfähig. Obschon es im einzelnen nicht mehr möglich ist, die ältesten
Elemente der Verfassung namhaft zu machen, darf doch als sicher gelten, daß
es sich um Konvente handeln soll, die aus der kanonikalen Lebensweise
hervorgegangen sind, aber schließlich doch etwas Neues darstellen. So etwa:
«Ein Konvent soll nur gesandt werden, wenn er nicht wenigstens zwölf Brüder,
einen Prior und einen Lehrer der Theologie (doctor) hatDazu kam das
kirchliche Stundengebet, wie es Dominikus seit seiner Jugend in Osma gepflegt
hat. Daß im Konvent studiert wird, ist nicht eigentlich neu - auch die
Monasterien kannten die «Lesung» -, wohl aber deutet sich ein Wandel
dadurch an, daß dies jetzt gleichsam professionell und methodisch geschehen
soll und allen Brüdern obliegt, weil Predigt nicht ohne Studium sein kann. Eine
großzügig zu handhabende Dispensvollmacht des Oberen soll für Freiheit und
situationsgerechtes Arbeiten sorgen. Die Augustinusregel erweist sich als weit
genug. Sie ist gewissermaßen das Dach, unter dem man lebt und wirkt. Alle
sonstigen Gesetze sind auf Generalkapiteln zu erlassen und den jeweiligen
Bedürfnissen anzupassen. Als Dominikus am 6. August 1221 in Bologna starb,
hatte sein Predigerorden eine rechtlich-spirituelle Gestalt gefunden, von der
ungewöhnliche Anziehungskraft ausging.
Etwas für die Zukunft höchst Bedeutsames bleibt nachzutragen. Dominikus
hatte ein vielfach bezeugtes Verständnis für Frauen und deren Religiosität. Das
verraten nicht nur die Aussagen des Heiligsprechungsprozesses, wichtiger und
Kommendes vorwegnehmend ist, daß er, noch ehe er zur Gründung seiner
Predigergemeinschaft schritt, in Prouille, mitten im von der Häresie bedrohten
Land, eine Schwesternkommunität ins Leben rief, das erste Kloster für
«Dominikanerinnen». Auch in Bologna, Rom und Madrid war ihm die Sorge für
Frauen ein Herzensanhegen, so daß ihn der Papst bat, die Klosterreform in
Rom in die Hand zu nehmen. Daß sich später so viele Nonnen seinem Orden
zuwenden werden, hat seinen Grund auch in dieser Sympathie für Frauen, die
sich geistlich benachteiligt fühlten.
Welche gestaltende Kraft der Stifter seinem Orden hinterlassen hatte, zeigen
exemplarisch die Konstitutionen, die er sich 1228 im Pariser Konvent St.
Jacques gab. In ihren Grundzügen sind sie bis heute gültig geblieben. Den
Orden leitet ein Generalmagister, der auf den jährlich tagenden Generalkapiteln
von den Provinzialen und zwei Delegierten aus den einzelnen Provinzen gewählt
wird (1228 waren es bereits deren zwölf). Sie können ihn zur Rechenschaft
ziehen und absetzen. Provinzials- und Vertreterkapitel sollen sich abwechseln,
um auch die Untergebenen an der Leitung und Gesetzgebung teilhaben zu
lassen. Gesetzeskraft erlangt eine Bestimmung erst, wenn sie auf drei
aufeinanderfolgenden Generalkapiteln gutgeheißen wurde. Anfänglich tagten sie
(am Montag nach Pfingsten) in Paris oder Bologna, seit 1243 an jeweils
festzusetzenden Orten. Den Provinzen, die wenigstens drei Konvente haben
müssen, steht ein Provinzial vor, dessen vierjährige Amtszeit vom
Generalmagister bestätigt wird. Der Prior, für drei Jahre gewählt, bedarf der
Approbation des Provinzials. Mehrheitswahl und obrigkeitliche Gewalt
verschränken sich somit auf eigentümliche Weise. Jeder Obere ist - nach dem
Vorbild mittelalterlicher Korporationen - auf Zeit bestellt und zur Rechenschaft
gehalten. Zu den ersten Pflichten des Provinzials rechnen die Konstitutionen die
Sorge für den Professorennachwuchs, der seine Ausbildung an geeigneten
Zentren (Paris - St. Jacques) erhalten sollte. Daß das Studium im Dienst der
Seelsorge und Predigt stand, versteht sich nach dem Gesagten. Welcher
geistliche Rang ihm zugedacht war, erhellt aus der Verfügung, die sich im
Rahmen der liturgischen Anweisungen befindet: «Alle Horen sollen in der
Kirche kurz und bündig gebetet werden, daß die Brüder ihre Andacht nicht
verlieren und das Studium nicht den geringsten Nachteil erfährt.» Den
Studenten sind im Konvent Räume für die scholastischen Disputationen
zuzuweisen und, wofern sie als begabt erfunden werden, sollen sie Einzelzellen
haben, in denen sie ihren religiösen und wissenschaftlichen Pflichten
nachkommen. Kirchen, Konvente und bescheidener Besitz werden akzeptiert.
Sie sind unerläßliche Mittel für Theologie und Predigt. Gegen die Armut
verstoßen jedoch Grundbesitz und regelmäßige Einkünfte, da sie die Brüder
von der Notwendigkeit, den Unterhalt durch Seelsorge zu erwerben, befreien
würden. Im übrigen vermeiden die Konstitutionen detaillierte Vorschriften. Sie
sind Sache der Generalkapitel. Sie haben den Prozeß der Anpassung an die
Zeitumstände zu steuern. Ein Muster solcher Variabilität ist die Neufassung der
Konstitutionen (1241) unter dem Generalat Raymunds von Pefiafort. Weitere
Merkmale, die nicht wenig zur Flexibilität beitrugen und Observanzstreitigkeiten
vermeiden halfen, liegen in der dem Oberen zugestandenen Vollmacht, von
Vorschriften zu dispensieren, falls sie sich als hinderlich zur Erreichung des
primären Ordensziels erweisen, sowie in der Art der Verpflichtung von
Satzungen. Ordensgesetze binden nicht unter Sünde, sondern nur unter Strafe.
Das ist damals als unerhörte Neuerung empfunden worden. Auch räumte man
dem Untergebenen ein Beschwerderecht ein, das ihn vor Willkür und
Mißbrauch des Gehorsamsgelübdes schützen sollte.
Befremden mag, daß 1228 untersagt wurde, die Seelsorge an Nonnen zu
übernehmen. Der Widerspruch zu Dominikus scheint offenkundig zu sein, zumal
in den Jahren zuvor anderes bezeugt ist. Man denke an das schöne Verhältnis
des Generalmagisters Jordan von Sachsen, des ersten Nachfolgers des Stifters,
zu Diana D'Andalo in Bologna, wie es aus der erhaltenen Korrespondenz
spricht. Was war der Grund für diesen Rückzug? Es war wohl eine
Vorsichtsmaßnahme, da der Orden fürchtete, Bindungen einzugehen, die seiner
Unabhängigkeit und Ortsungebundenheit hinderlich sein würden. Auch war er
besorgt, in ökonomische Probleme verwickelt zu werden, wie sie für
Monasterien typisch waren.
Daß sich der Orden schon wenige Jahre nach dem Tod des Stifters eine so
ausgewogene Verfassung gab, ist kein Zeichen der Verrechtlichung der Ideale
der kleinen Predigerkommunität von einst, sondern ein Beweis für seine innere
Festigkeit und seinen Wunsch, im neuen Umfeld zu bestehen. Die
Nachgeschichte und namentlich der Umstand, daß er vor schweren
Erschütterungen und Zerreißproben verschont wurde, zeigen eindrücklich, was
eine weise und auf Ausgleich bedachte Verfassung zu leisten imstande war. Der
Orden breitete sich - die Zahl der im Jahr 1228 vertretenen Provinzen belegt es
- rasch aus, wobei er große Städte bevorzugte, da sie das gewünschte
Publikum und materielle Ressourcen boten. Wichtig war schließlich, daß es sich
um Orte handelte, die intellektuelle Aktivitäten begünstigten und die
Rekrutierung sicherten. Die englische Provinz mag das illustrieren: Die
Predigerbrüder gingen zuerst (1221) nach Oxford und dann (1224) nach
London. Man hat errechnet, daß bis 1277 etwa 404 Priorate entstanden sind,
eine Zahl, die bis 1303 auf 590 anwuchs.
Der erstaunliche Erfolg verdankt sich dem Desiderat der Stunde, der Predigt.
Der Orden hat auch dafür einen institutionellen Rahmen geschaffen, indem er
den Oberen strikte Auflagen bei der Auswahl und Bildung der Brüder machte.
Die Konstitutionen von 1228 sehen vor, daß nur geeignete und geprüfte
Kandidaten den Autoritäten präsentiert werden, wie es dem hohen Amt -
gesprochen wird von der «Gnade der Predigt» - angemessen ist. Sie müssen
wenigstens ein Jahr Theologie studiert haben. Sie haben sogar einen Anspruch
darauf, von allen sonstigen konventualen Pflichten befreit zu werden. Die
Approbation seitens des Ordens genügte freilich nicht. Obschon es Dominikus
gelungen war, seine Gemeinschaft unter den Schutz des Apostolischen Stuhls zu
stellen, der nicht gezögert hatte, sie mit dem bisher den Bischöfen reservierten
Titel «Predigerorden» zu bezeichnen, war allen Beteiligten klar, daß dahinter
Probleme von beträchtlichem Gewicht standen. Die dem einzelnen
Predigerbruder von seinem Orden gegebene Erlaubnis setzte die Einwilligung
des jeweiligen Diözesanbischofs voraus. Wurde sie verweigert, sollten die
Brüder päpstliche Schreiben vorweisen, die als übergeordnetes Recht zu
betrachten waren. Gleichwohl sollten sie Konflikte nicht provozieren, sondern
Einvernehmen suchen. Daß dies noch keine allseits akzeptierte Lösung war,
sollte sich indessen bald zeigen. Deutlich ist hingegen, daß der Orden aufgrund
eines universalkirchlichen Mandats einen starken Rückhalt im Papsttum hatte,
das er seinerseits nach Kräften zu verteidigen suchte.


Zurück zum Anfang.

.


2. Die theologische Festlegung des Ordens. Daß der Orden in kurzer Zeit
dauerhafte und nie kontroverse Fundamente legen konnte, hat seinen Grund
gewiß auch in dem Umstand, daß er während des 13. Jh.s Generalmagistri
hatte, die als Prediger, Gesetzgeber und Adminjstratoren ungewöhnlich reiche
Persönlichkeiten waren. Ihnen gelang es, hochbegabte junge Leute anzuziehen
und schließlich in Positionen zu bringen, die es ihnen gestatteten, den zunächst
auf die kirchliche Praxis zielenden Predigtauftrag so in Philosophie und
Theologie zu integrieren, daß ihnen eine neue Sendung erwuchs, die die alten
Ideale nicht zu verleugnen brauchte. Der Prozeß einer allmählichen
Umorientierung, der gleichzeitig eine Konsolidierung bedeutete, nahm seinen
Ausgang an der Pariser Universität. Der in den Kanonisationsakten Dominikus
zugeschriebene Satz, die sieben Bruder sollten in die Seinemetropole gehen,
«um zu studieren, zu predigen und einen Konvent zu gründen», hatte eine
unvorhersehbare Wirkung. Dort unterrichtete sie Johannes von St. Albans,
wahrscheinlich ein Engländer. Das ihnen geschenkte Hospiz St. Jacques sollte
für den Orden schicksalhafte Bedeutung erlangen. Als Dominikus 1219 nach
Paris kam, hatte der Konvent bereits etwa dreißig Bruder. Zahlreiche
Studenten, darunter Jordan von Sachsen und Reginald von Orleans, wurden
gewonnen. Mit Johannes von St. Giles und Roland von Cremona, beide vorher
Weltpriester, kamen die ersten Dominikaner zur Magisterwürde an der
Universität. Seit 1245 ist Albertus Magnus als Magister bezeugt. Über die
Fakten und Personen hinaus bedeutet das: Der Orden stellt sich der
intellektuellen Herausforderung des Jahrhunderts, die mit dem Stichwort
«Aristotelesrezeption» nur unzureichend charakterisiert ist. Entscheidender wird
für ihn, daß unter Führung einiger seiner Mitglieder die Theologie als
Wissenschaft konzipiert wird, die der Verteidigung und der geistigen
Durchdringung des Kirchenglaubens ebenso wie der Reflexion auf die Sendung
des Ordens dient. Das wird ihm eine Aufgabe auch in einer Zukunft sichern, in
der die Predigt zurucktritt.
Als Thomas von Aquin 1256 in Paris eintrifft, sind die Orden der Franziskaner
und Dominikaner in einer höchst gefährlichen Situation, da ihr Existenzrecht
bestritten wird. Vertreter aus dem Weltklerus werfen ihnen vor, päpstlich
privilegierte Gemeinschaften, die das Recht hätten, überall zu predigen, stünden
mit dem traditionellen Mönchtum in Widerspruch, das eben dies nicht zum Ziel
gehabt habe, weil solche Aktivitäten nur Bischöfen und Pfarrern zukämen.
Gegenstand des Angriffs war weiterhin das akademische Lehren der
Mendikanten, die - wie die Gläubigen - in Wahrheit zur hörenden Kirche zu
rechnen seien. Was auf den ersten Blick als kleinlicher Streit anmutet, war
tatsächlich mehr, nämlich ein Konflikt um das rechte Kirchenverständnis, das
durch den Papst tiefgreifend verändert worden war, als er die Bettelorden als
ortsunabhängige Personalverbände bestätigte. Was in der Empfehlungsbulle
Hononus' III. scheinbar harmlos geklungen hatte, war von der Leitung des
Dominikanerordens schon 1228 als Schwierigkeit gesehen worden. Eine
befriedigende theologische Rechtfertigung stand freilich noch aus. Thomas von
Aquin hat sie mit einer Klarsicht gegeben, die nicht nur die Gegner in die
Schranken wies, sondern dem Orden ein Selbstverständnis vermittelte, das ihn
beinahe ebenso prägte, wie das die Verfassung von 1228 auf rechtlicher Ebene
getan hatte:
Daß Religiosen, die das Erbe der evangelischen Bewegung angetreten hatten,
dozieren dürfen, hat seinen Grund in deren vertrautem Umgang mit der hl.
Schrift und in der buchstäblichen Nachfolge des Herrn. Schließlich bestehen
engste Beziehungen zwischen denen, die kraft ihres Standes der Kontemplation
zu obliegen haben, und der akademischen Unterweisung. Nicht zuletzt fordert
die gegenwärtige Situation mit einer höchst mangelhaften theologischen Bildung
des Klerus, daß sich kompetente Professoren der Sache annehmen, zumal das
Dozieren als ein Akt der Barmherzigkeit zu gelten hat, den man denen nicht
verweigern darf, die nach dem Wort Gottes verlangen. Die Predigt bleibt gewiß
den Bischöfen vorbehalten, aber auf Geheiß des Papstes müssen sie Gehilfen
beiziehen, die in seinem und in ihrem Auftrag verkünden. Das Oberhaupt als
Vorsteher der Gesamtkirche trägt Verantwortung für das Ganze, die über die
der Ortskirchen hinausweist. Thomas sieht zwar die Bettelorden in dieser
universalen Sendung des Primats verankert, doch geschieht das stets im Blick
auf die Bischöfe. Anstoß erregte schließlich die ökonomische Basis der
Mendikanten: der Bettel oder, wie man zutreffender sagen sollte, der Erwerb
des Unterhalts durch Seelsorge und Wissenschaft, die im Dienst der Gläubigen
stehen. Handarbeit und Grundbesitz, die klassischen Quellen, aus denen das
Mönchtum lebte, scheiden aus. Eine arbeitsteilige Gesellschaft, wie sie sich im
13. Jh. voll zu entfalten beginnt, ist in der Lage, diejenigen zu finanzieren, die für
das Wohl der Allgemeinheit tätig sind.
Das sind in groben Zügen die Grundgedanken der von Thomas vorgetragenen
Apologie, die ihre Wirkung nicht verfehlte, weil er rational und theologisch
überzeugend zu argumentieren verstand. Gewiß traten ähnliche Probleme auch
später auf, aber die Tatsache, daß man prinzipiell zu den damals gefundenen
Lösungen zurückkehrte, bestätigt, daß das Fundament solide gelegt war.
Thomas hat Jahre später (ab 1269) in Auseinandersetzung mit radikalen
Kreisen eine Synthese aller mit dem Ordensstand verbundenen Probleme
vorgelegt, in der er Aufgaben und Zweck seines Ordens in die berühmte
Formel gebracht hat: «Beschauen und das in der Beschauung Erkannte an
andere weitergebenTheologie, Seelsorge und Predigt werden zu einer Einheit
gefügt, die die Ideale des Stifters in die gelehrte Sprache einer späteren Zeit
übersetzt, um ihnen Dauer zu verleihen.
Als Generalkapitel von 1309 und 1313 die Doktrin des Aquinaten in den
Schulen des Ordens für verbindlich erklärten, wollte man damit auch zum
Ausdruck bringen, daß er ihm ein spirituell-theologisches Programm gegeben
hat, das geeignet war, an das Wesentliche der ursprünglichen
Predigergemeinschaft zu erinnern. Wie der Blick auf parallele Entwicklungen
zeigt, haben Konstitutionen und Theologie entscheidend dazu beigetragen, den
Orden vor Spaltungen zu bewahren. Trotz der überragenden Rolle, die der
Aquinate seither gespielt hat, hat es immer wieder Anhänger anderer
Richtungen gegeben. Zu nennen sind im 14. Jh. Dietrich von Freiberg, Berthold
von Moosburg und Ulrich von Straßburg, die bedauerlicherweise als
Außenseiter galten und schließlich in Vergessenheit gerieten, bis sie die
Forschung unserer Tage entdeckt hat. Auch andere Dominikaner haben sich
verdient gemacht. Hugo von Saint-Cher († 1263) verfaßte Bibelkorrektorien
und eine geschätzte Bibelkonkordanz. Moneta von Cremona († ca. 1250)
schrieb eine Darstellung und Widerlegung der katharischen Häresie. Die
intensive Beschäftigung mit Aristoteles wäre ohne die Übersetzungen Wilhelms
von Moerbeeke († vor 1286) nicht möglich gewesen. Weite Verbreitung fand
die historische, theologische und naturkundliche Enzyklopädie des Vinzenz von
Beauvais († ca. 1264). Die Rolle des Albertus Magnus († 1280) in der
Rezeption des Aristoteles und in der Vermittlung antiken Wissens kann nur
angedeutet werden. Raymund von Peñafort († 1275) sammelte die Dekretalen
Gregors IX. Martin von Troppau († 1278) ist der Autor einer bis 1277
reichenden Chronik, die im Spätmittelalter oft zitiert wurde. Die Opposition von
Theologen aus dem Minoritenorden (Franziskaner) gegen fundamentale
Positionen des hl. Thomas von Aquin provozierte eine Reihe von
dominikanischen Gegenschriften, die wesentlich zur Bildung von zwei großen
Schulen führten. Die in diesem Zusammenhang entstandenen Kontroversen
über die Ordensarmut sind eine wichtige Ursache für den «Armutsstreit» unter
Johannes XXII. (1316-1334), der die Kirche erschütterte. Daß dieser Papst
Thomas 1323 heiliggesprochen hat, bedeutete für den Thomismus eine
folgenschwere Anerkennung. In den Kämpfen zwischen Philipp dem Schönen
von Frankreich und Bonifaz VIII. schrieb Johannes Quidort von Paris († 1306)
einen für die Entwicklung der Staatstheorie hochbedeutsamen Traktat «Über
königliche und päpstliche Gewalt», in dem auch Thesen vorgetragen wurden,
die für die Unterordnung des Papstes unter ein Konzil plädierten.
Obschon vom Orden nicht gewünscht, konnte es doch nicht ausbleiben, daß
Dominikaner schon bald Bischöfe und Kardinäle wurden. Mit Innozenz V.
(1270) und Benedikt XI. (1303-1304) stellte er zwei Päpste. Die Nähe zum
Papsttum und solide Bildung, die für komplizierte Prozesse notwendig war, sind
die Ursache, daß vornehmlich Dominikaner mit der Inquisition betraut wurden.
Daß man den Orden oft mit ihr identifizierte, war seinem Ruf - zumal im
historischen Rückblick - abträglich.
Von vorsichtigen Äußerungen zur Schwesternseelsorge haben wir bereits
gehört. Der Auftrag Innozenz' IV., der Orden solle seine Konstitutionen auch in
den Frauenklöstern einführen, stieß auf lebhaften Widerspruch des
Generalmagisters Johannes Teutonicus, da die einzugehenden Verpflichtungen
geeignet waren, die Predigt zu behindern. Die Weigerung hatte zunächst Erfolg,
doch mußte der Orden schließlich auf Drängen der Kurie nachgeben, so daß
auf dem Generalkapitel 1257 akzeptiert wurde, daß alle dem Orden
unterstellten Klöster das Recht auf dominikanische Seelsorge hatten. Das sollte
auch für die Zukunft gelten, wofern drei Generalkapitel zustimmten oder der
Papst eine entsprechende Verfügung traf. Humbert von Romans gab 1259 den
Schwestern Konstitutionen, die auf denen der Brüder beruhten. Der Orden
bemühte sich, die wirtschaftliche Lage der Klöster zu festigen, eine Maßnahme,
die erhebliche Bedeutung haben sollte. Vom Gewicht der mit dieser
institutionellen Reorganisation verbundenen Probleme mag man sich ein Bild
machen, wenn man die Statistik betrachtet: Die beiden deutschen Provinzen,
Teutonia und Saxonia, hatten im Jahre 1303 nicht weniger als 81
Frauenklöster, während sich unter der Obhut des Ordens insgesamt 141
befanden. Nachdem die Predigerbrüder die Verpflichtung zur
Schwesternseelsorge eingegangen waren, haben sie sich ihr mit Hingabe
gewidmet und dazu fähige Männer bestellt. So übertrug man 1303 Meister
Eckhart nach Abschluß seiner Pariser Lehrtätigkeit die Aufsicht über die
süddeutschen Frauenklöster mit Sitz in Straßburg. Die deutsche mystische
Literatur verdankt dieser Sorge entscheidende Impulse. Von Eckhart beeinflußt
sind Heinrich Seuse († 1366) und Johannes Tauler († 1361), deren Predigten
und Bücher - so etwa Seuses «Büchlein der ewigen Weisheit» - zu den
verbreitetsten Schriften des Mittelalters zählen.
In den Kontroversen um die franziskanische Armutsauffassung verfaßten
Dominikaner - namentlich Hervaeus Natalis und Durandus de S. Porciano -
bedeutsame Abhandlungen, die ihren Eindruck auf Papst Johannes XXII. nicht
verfehlten, so daß er die These von der absoluten Armut Jesu und seiner Jünger
als häretisch verwarf. Es versteht sich, daß solche Ereignisse alte Rivalitäten
förderten. Der mit Hilfe der Dominikaner erlangte Sieg über die Minoriten hatte
indirekte Folgen für einen wichtigen Aspekt mittelalterlicher Frömmigkeit.
Gemeint ist die seit Duns Scotus († 1308) favorisierte Lehre von der
Unbefleckten Empfängnis Mariens, die in leidenschaftlichen Predigten ins Volk
getragen wurde. Unter Berufung auf Thomas stieß sie auf scharfe Ablehnung
seitens der Dominikaner. Die heftigen Debatten gelangten auf dem Basler
Konzil zu einem ersten Höhepunkt, als die nicht mehr als ökumenisch
anerkannte Synode 1439 die «neue Meinung» definierte. Der Umstand, daß
der Franziskanerpapst Sixtus IV. 1476 das Fest für die ganze Kirche
vorschrieb, bedeutete für die Ordensdoktrin einen schweren Rückschlag,
obwohl die Kontroversen anhielten. Auch wenn es sich eher um ein
Nebenthema der mittelalterlichen Theologiegeschichte handelt, markieren die
Diskussionen doch einen tiefen Einschnitt, insofern sie anzeigen, daß die
ehemals so starke Position der Dominikaner dem Ende entgegenging. Im
Inneren zeichnet sich ebenfalls eine Krise ab. Wie die anläßlich des Streites um
das Armutsverständnis angefertigten Gutachten zu erkennen geben, ist die
gemäßigte These von der Erlaubtheit des konventualen Gemeinbesitzes, der
den wissenschaftlichen und seelsorglichen Bedürfnissen angemessen sein soll,
von den strikten Prinzipien, wie sie Thomas formuliert hatte, in eine eher
pragmatische Deutung abgesunken. Beträchtliche und regelmäßig fließende
Einkünfte, die ehedem als mit der Mendikantenarmut unvereinbar galten,
werden mehr und mehr toleriert. Die Verpflichtung, den Unterhalt jeweils durch
Seelsorge zu erwerben, hat sich gelockert. Der Wandel ist nicht einfach
Laxheit, er geht vielmehr zunächst auf das veränderte soziale und wirtschaftliche
Umfeld der Mendikantenklöster zurück, denen vom Bürgertum neue Rollen
zugewiesen werden. Kirchenbau und Studium waren kostspielige
Angelegenheiten geworden. Theologie und Predigt, einst aufeinander bezogen,
gingen häufig getrennte Wege. Prior und Doctor begannen sich zu entfremden.
Die Leitung des Ordens hat die Probleme mit großer Klarheit gesehen, aber
wirkungsvolle Mittel zur Lösung der Spannungen hat sie nicht gefunden.
Obschon sich Symptome eines allmählichen Absinkens mehren, gibt es immer
noch zahlreiche Beispiele für ein geistliches Leben mit bemerkenswerter
Ausstrahlung. Im Vergleich zu den deutschen mystischen Autoren hat man den
italienischen nicht immer die ihnen gebührende Aufmerksamkeit geschenkt. Ihr
hoher Rang ist indessen unbestreitbar. So etwa Domenico Cavalca († 1342),
dessen volkssprachliche Schriften in Manuskripten und frühen Drucken weit
verbreitet gewesen sind. Ferner Giacomo Pasavanti († 1357), der einen
«Spiegel der Buße» schrieb und eine umfangreiche lateinische Predigtsammlung
hinterließ. Als großer Prediger war Venturino von Bergamo berühmt. In seiner
Person begegnen sich deutsche und italienische spirituelle Traditionen. Er
unterhielt eine reiche Korrespondenz mit deutschen Dominikanern. Giovanni
Dominici († 1419) verfaßte zahlreiche lateinische und italienische Schriften. Er
war einer der eifrigsten Ordensreformer aus dem Geist evangelischer Armut. In
dieses Umfeld gehören schließlich Katharina von Siena († 1380) und ihr
Seelenführer Raymund von Capua († 1399). Welche Rolle sie als Mitglied des
Dritten Ordens (Terziaren) für die Erneuerung der Kirche und des Papsttums
gespielt hat, braucht hier nicht gesagt zu werden.
Umfang und Einfluß der italienischen literarischen Hinterlassenschaft, die bis in
die Reformbemühungen des beginnenden 16. Jh.s nachwirkte, bestätigen die
These, daß man nicht undifferenziert von einem Niedergang des Ordens
sprechen kann, auch wenn wahr bleibt, daß das Exil der Päpste in Avignon, die
Pest von 1348 und das Abendländische Schisma zum Verfall der Disziplin und
der Theologie führten. Welches Echo der Ruf nach Reformen gefunden hat,
bestätigt sich eindringlich an einigen Gestalten aus der Zeit des Basler Konzils.
Zu nennen sind Johannes de Montenigro († 1445/46), Provinzial der
Lombardei, der für die Freiheit der Mendikanten stritt. Er hielt auch die erste
große Rede gegen den Versuch, das Fest der Unbefleckten Empfängnis
allgemein vorzuschreiben. Heinrich Kalteisen († 1465) trat gegen die Hussiten
auf. Eine der dominierenden Figuren war Johannes Torquemada († 1468), der
den König von Kastilien in Basel repräsentierte. Er schrieb einen umfangreichen
Traktat gegen die Unbefleckte Empfängnis, in deren Dogmatisierung er einen
Bruch mit der patristischen und scholastischen Tradition sah. Sein Hauptwerk
ist die Summa de Ecclesia, die eine immense Nachwirkung hatte. Er gilt als
einer der klassischen Theoretiker des päpstlichen Primats. Obschon sich der
Orden seit seinen Anfängen auf eine Linie festgelegt hatte, gab es immer wieder
Außenseiter. So auch in Basel, wo Johannes von Ragusa († 1443) einen
konziliaristisch inspirierten Traktat herausgab.
Bemerkenswert und in die nahe Zukunft weisend ist der Umstand, daß in
Basel und in den Jahren danach eine Renaissance des Thomismus erfolgte, die
Ende des Jahrhunderts in Köln zu einer folgenschweren Neuerung führte. Man
begann nun an den Hochschulen die Summa Theologiae des hl. Thomas
kommentieren.


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