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wuming schrieb am 6.4. 2003 um 00:39:26 Uhr über

Mutter


Die Mutter aller Aufmerksamkeitsschlachten

Goedart Palm 04.04.2003

Zum »21st-Century Blitzkrieg« der Medien

Selbst der texanische Internationalismus verleitet uns nicht zum ontologischen
Glauben, dass der Krieg der Vater aller Dinge sei. Dass dieser Krieg dagegen als
Mutter aller Aufmerksamkeitsschlachten in die Geschichte eingehen könnte, wird in
diesen Tagen zur banalen Wahrnehmung. Umfragen belegen, dass die globale
Gemeinde der Medienbürger der Faszination dieses Echtzeit-Krieges inzwischen
mehrheitlich erliegt.









Unstillbarer Hunger nach Kriegsbildern




Jeder hat gute Gründe für seinen großen Hunger nach Bildern: Journalisten kommen
vorgeblich ihrer Aufklärungspflicht nach. Die Informationsgesellschaft habe einen
Anspruch darauf, dass der Krieg auf objektive Fakten, enthüllende Bilder, bittere
Wahrheiten getrieben wird. Die Kriegsgegner auf den Straßen, auf Websites und
Leserforen folgen ihren humanen Gesinnungen, wenn sie ihren Widerstand mit den üppig
sprudelnden Anklagebildern des Schreckens erhärten. Die Befürworter des Krieges rüsten
ihren illegitimen Krieg nach, in dem sie solche Darstellungen unter Bildverbot stellen. Die
Kriegsherren brauchen die richtigen Bilder, um ihren Krieg als humanes Unternehmen, als
fast blutfreien Ausflug hin zu einer besseren Zukunft zu glorifizieren. In welche Lager sich
die unzähligen Zaungäste dieses Krieges auch verteilen: Alle reden vom Krieg.

Aufklärungspflichten, Informationshunger, Kriegsanklagen und Apologetik erklären längst
nicht ausreichend, warum dieser Krieg bereits seit seinem Anbeginn zu einer kollektiven
Wahrnehmungsobsession wurde, die von medialer Sucht nach immer neuen
Kriegereignissen kaum mehr zu trennen ist. Stockt die angloamerikanische Armada auf
ihrem Vormarsch nach Bagdad, wird dieser Kampf des westlichen Kriegselefanten gegen
die irakische Kampfmaus sofort besorgt, lüstern oder schadenfroh mit Horrorszenarien
von Stalingrad bis Vietnam überblendet.






Setzen die Amerikaner ihre Wunderwaffen ein, überbieten sich die Berichte über die
neuesten gadgets des Vernichtungsdesigns. Winkt ein irakischer Junge den heranfahrenden
Abrams-Panzern zu, löst sich der Kampf der Kulturen wenigstens für die Dauer einer
Nebelkerze in Rauch auf. Verkündet Saddam Hussein auf dem allpräsenten Screen seine
Durchhalteparolen nicht in personam, wird unverzüglich über seinen Tod spekuliert. Je
weniger Fakten, desto besser? Die Schnellschusserkenntnisse und -theorien, die diesen
Krieg und seine diversen Wahrheiten journalistisch unterfüttern, werden oftmals mit der
nächsten Meldung obsolet, ohne dadurch die öffentliche Wahrnehmungswut im Geringsten
zu irritieren.

Warum eigentlich schenken wir dem Krieg noch in seinen kleinsten Details unsere ganze
Aufmerksamkeit, wenn sich seine fundamentale Wahrheit - Menschen töten Menschen,
Kinder verhungern, Flüchtlinge krepieren - auch durch die ohnehin täglich widerlegte Doktrin humaner Kriegführung nicht verflüchtigt? Warum brauchen Kriegsgegner wie
Kriegsapologeten alle diese »Breakings-News«, interaktive Grafiken, Slide-shows,
War-Tracker, Kriegstagebücher, Expertenrunden, um sich ein Bild über den Krieg zu
machen? Click icons for more target details!

Zum Generalverdacht der Öffentlichkeit gegen offizielle
Kriegswahrheiten

Die Kriegsberichterstattung steht seit dem zweiten Golfkrieg, dem ersten echten
Medienkrieg (Colin Powell), unter dem Generalverdacht der Zensur und Fälschung von
Bildern, der Eindämmung unabhängiger Berichterstattung, der Verlogenheit eines
weitgehend opferfreien Waffengangs. So glaubte das Pentagon den Krieg von 1991 medial
gewonnen zu haben, weil man zumindest während der Kampfphasen die Öffentlichkeit
erfolgreich hinter das Licht der Dauerbombardements geführt hatte. In den
Nachbetrachtungen wurden die blutfreien Bilder und Erzählungen, wie etwa die
berüchtigte Brutkastenlüge über die schändlichen Taten irakischer Soldaten, entlarvt. Vom
medial so siegreichen Golfkrieg 1990/1991 blieb nicht viel mehr übrig als eine "Schlacht
der Lügen" (John R. MacArthur). Und die Medien traf der Vorwurf, in ihrer Aufgabe
rückhaltloser Aufklärung völlig versagt zu haben.






Der neue Krieg wurde daher sofort als totaler Medienkrieg begriffen, der anders geführt
werden sollte als sein diskreter Vorläufer, dem das Pentagon eine Bildladehemmung
vorinstalliert hatte. Diesmal ist der Medienkrieg, wenn man den unzähligen Diskursen
über die Authentizität der Berichterstattung folgt, mindestens eben so wichtig wie der
reale Krieg. Der reale Krieg? Der existiert jenseits der Front ohnehin nur als
Medienkrieg. Und deshalb leben wir Live-Fernseh-Krieger alle in einem
selbstreferenziellen Zirkel: Der Dauerverdacht gegenüber den Bildern dieses Krieges
folgt der medialen Logik, dass die Bilder der Vernichtung und der Opfer nicht verdrängt
werden dürfen. Insofern gibt es diesmal ein Medien-Apriori für Kriegswahrheiten, das
Pentagon, Rumsfeld-Briefings und die verbliebenen Hofberichterstatter nicht mehr
erfolgreich austreiben können.

Ein Kommentator betitelte die neue Mission der US-Marines militärtaktisch als den
»Kampf der Sehenden gegen Blinde«. Das ist zugleich das politisch-propagandistische
Motto, das nach dem Willen der bushistischen Medienkrieger auch diesmal wieder die
Wahrnehmungsverhältnisse der Monitorwelt prägen sollte. Durch al-Dschasira und
wachsende Gegenöffentlichkeiten im Internet, aber mindestens ebenso durch den massiven
Druck der Straße ist die US-amerikanische Informationsdominanz von Anfang an aber
weniger als eine Fiktion gewesen. Da die Neuedition des Golfkriegs zudem militärisch
schlecht geplant ist und schon nach wenigen Tagen von zahlreichen Friktionen,
militärischen Rückschlägen und Verzögerungen, vor allem aber permanenten Berichten
über Ziviltote, geschüttelt wird, werden unsere Vermutungen über die Blut- und
Dreckwahrheiten des Krieges ständig bestätigt.






CNN ist nicht länger die Mutter aller Bilder. Und selbst CNN marschiert nicht mehr im
Gleichschritt, seitdem der Sender etwa die chaotischen Bilder der humanitären Brot- und
Wasserverteilungsaktionen der selbst ernannten Befreier als »survival of the fittest«
zynisch-kritisch kommentiert und auch im wachsenden Konkurrenzdruck die Berichte über
Zivilopfer nicht mehr unterdrücken kann. Die Quote drückt und medienoptimistisch scheint
diesmal zu gelten, als habe sich der Kampf um die Informationshoheit mit den brutalen
Kriegswahrheiten frühzeitig verbündet.

Die böse Achse globaler Medien

Medien sind in ihren konkurrierenden Aufmerksamkeitsschlachten auf immer krassere
Affektbilder angewiesen. Nur Schock- und Opferbilder, Bilder des Chaos und der
Verzweiflung kitzeln die katastrophenkonditionierte Weltöffentlichkeit hoch. Der wilde
Krieg wird zum letzten Menschheitsabenteuer, wenigstens zur Unterhaltungsbombe der
Megatonnen-Klasse. Krieg ist auch Unterhaltung, solange wir über seine Bildsurrogate
und die ihn umspielenden Diskurse reden. Wessen Einbildungskraft da nicht mitkommt,
darf sich an der schlecht kaschierten Kriegstrunkenheit des Heers der Experten
nachberauschen. »Full coverage« sind oft nichts anderes als die nachinszenierten
Zinnsoldatenschlachten der ausgemusterten Generäle und Admiräle, die mit dem üblichen
Hightech-Geschwafel die Blutspur der Armada in den unzähligen Brennpunkt-Studios
nachziselieren dürfen.

Auch aus diesem Grund ist die antiquierte Propaganda alter wie neuer Kriegstreiber auf
den neuen Gefechtsfeldern der Bilder relativ chancenlos. Der weitere Verlauf des Kriegs
könnte die sich jetzt bereits abzeichnende Medienniederlage der angloamerikanischen
Kreuzritter endgültig machen. Der Medienpraktiker Don Rumsfeld hat jedenfalls Recht:
»Was sie im Fernsehen sehen, ist nur ein kleiner AusschnittDie fundamentale Wahrheit
dieses Krieges wie die seiner Vorgänger ist indes so einfach, dass Erfahrung und Fantasie
selbst ohne Bilder völlig ausreichen, die Ausschnitte zum blutigen Vollpanorama zu
komplettieren.
















Kommentare:
Kontakt nach Bagdad (zapperlot, 4.4.2003 11:50)
Phantasielos (Lord Chao, 4.4.2003 11:30)
Vorbilder sein? Warum? (VelvetGreen, 4.4.2003 11:21)
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