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elfboi schrieb am 9.12. 2002 um 22:46:19 Uhr über

Shinto

Im Namen des Tennos
Religion und Staat in Japan

Von Dr. Ulrich Dehn

1999 trat die Shinkomeito in eine Koalitionsregierung mit der Liberalen Partei (Jiyuto) und der Liberal-Demokratischen Partei (LDP) ein. Die 1964 gegründete Partei gilt als der politische Arm der großen buddhistischen Laienorganisation Soka Gakkai. Die Sorge der Öffentlichkeit, bis hin zu deutschen Medien, war groß: Wurde nun die Trennung von Staat und Religion aufgegeben, die Japan seit dem verlorenen Pazifischen Krieg geprägt hatte? Würde Japan nun bald von der Soka-Gakkai-Leitungsfigur Daisaku Ikeda regiert werden? Die Empörung der Presse ebbte bald ab, und im August 2001 war die Shinkomeito unter denen, die Premierminister KOIZUMI (vergeblich) daran erinnern mussten, dass ein regierungsoffizieller Besuch zum Yasukuni-Schrein das besagte Prinzip verletzt.

Wie hat es mit Religion und Staat in Japan in seiner Geschichte gestanden? Wie weit her ist es heute mit der Trennung? Die Stimmen mehren sich, dass Japan diese Trennung nie wirklich gelungen ist, und diese Unfähigkeit, die es mit vielen Kulturen und Ländern (unter anderem mit Deutschland) teilt, hat eine lange Tradition.

Wenn in Japan insbesondere von christlichen und buddhistischen Organisationen eine saubere Trennung eingefordert wird, steht dahinter das Trauma der Verquickung von Staat und Shinto bis 1945 und der Benutzung des Shinto für die Zwecke einer vom Militär dominierten Regierung. Nach langer Zeit der Abschottung und des gesellschaftlichen Stillstands wurde durch eine kaisertreue Revolte in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts das Kaiserhaus in seine alten Rechte eingesetzt. Shinto wurde Staatsreligion, die Tenno-Ideologie (Ideologie des himmlischen Kaisers) zur staatstragenden Idee. Der Kaiser war (und ist für viele Japaner noch heute) höchster Shinto-Priester der Nation sowie ideeller Vater der japanischen Familie und Zentrum der Nation wie auch des Kosmos. Shinto-Riten wurden durchgeführt, die die neu konsolidierte Stellung des Kaiserhauses religiös manifestierten. Allen voran steht das Daijosai, das Fest, das den Tenno in die dynastische Linie der Sonnengöttin Amaterasu Omikami aufnimmt, d.h. seinen göttlichen Rang als kami bestätigt. Kami als Begriff aus der Naturreligiosität ist im Sinne eines verehrungswürdigen, erhabenen Wesens mit außerordentlichen Kräften zu verstehen und nicht vergleichbar mit dem transzendenten Gottesbegriff unserer Breiten. Aber er hat sich insbesondere in Zeiten des japanischen Kolonialismus seit 1905 umso deutlicher auf die Untertanen ausgewirkt. Teil der kolonialistischen Maßnahmen, etwa in Korea, war der verbindliche Besuch eines Shinto-Schreines; seine Verweigerung wurde hoch bestraft.

Politik fand statt im Namen des Tenno, Soldaten wurden im Namen des Tennos in den fast unvermeidlichen Tod geschickt. Die Loyalität gegenüber dem himmlichen Kaiser kannte keine Grenzen, bis hin zur Operation »Kamikaze« im Krieg gegen die amerikanische Flotte. Dieses Trauma der Staat-Shinto- Verquickung führte - auf dem geduldigen Papier der Verfassung - zur radikalen Trennung von Staat und Religion nach 1945 und somit zur Entstaatlichung des Yasukuni-Schreines. Diese Trennung hatten die alliierten Mächten erzwungen, zuvorderst die Amerikaner, die sich seit Pearl Harbor selbst als Opfer des vom Tenno befohlenen Krieges betrachteten.

Die faktische Trennung jedoch fand nie statt. Auch nach dem Antritt des neuen Kaisers AKIHITO (Heisei) 1989 wurden zahlreiche Tenno-bezogene Shinto-Riten durchgeführt und staatlich bezuschusst. Im Herbst 1990 wurde erneut mit staatlicher Finanzierung ein Daijosai gefeiert, das den Tenno zu göttlichen Würden emporhebt, jährlich stattet ein mehr oder weniger repräsentativer Teil des Regierungskabinetts zum Gedenktag der Kapitulation am 15. August dem 1869 errichteten Yasukuni-Schrein einen Besuch ab: Hier sind viele Gefallene des Pazifischen Krieges »eingeschreint«, einschließlich verurteilter Kriegsverbrecher. Zum Yasukunischrein gehört unter anderem ein kleines Kriegsmuseum mit einem Bombenflieger von dem Typ, mit dem die »Kamikaze«-Einsätze geflogen wurden. Die Shintoistische Ideologie des einen »Staatskörpers« (kokutai) ist nach wie vor prägend in Japan.

Aber es ist nicht immer der Shinto gewesen, mit dem sich der Staat liierte, auch wenn das kurze kollektive Gedächtnis es meist so sieht. Schon zu staatsShintoistischen Zeiten leistete auch der Buddhismus seine Loyalitätsübungen gegenüber dem Staat, und der auch im Westen berühmt gewordene Zen- Buddhist DAISETZ Teitaro Suzuki schrieb in jungen Jahren zu Beginn des 20. Jahrhunderts: »Die Religion sollte zu allererst versuchen, die Existenz des Staates zu erhaltenUnd SOGAKU Harada, ebenfalls Zen-Buddhist, schrieb 1939: »Wenn befohlen wird, zu marschieren: marsch, marsch; wenn befohlen wird, zu schießen: peng, peng. Das ist die Manifestation der höchsten Weisheit (der Erleuchtung)«.

Wechselnde politisch-religiöse Allianzen hatte es seit dem Mittelalter bis in die frühe Neuzeit gegeben: buddhistische Mönchsarmeen traten in den Dienst von Landesfürsten (daimyo). Aber die guten Beziehungen zum Staat rühren bereits von den Anfängen des Buddhismus in Japan her. Seine Einführung im 6. Jahrhundert geschah auf staatlich-diplomatischer Ebene, und schon bald wurde ihm durch den »Kaiser Konstantin« des japanischen Buddhismus, Prinz SHOTOKU (574-622), massive Förderung auf der Basis der Lotus-Sutre, eine der wichtigsten Schriften des Mahayana-Buddhismus, zuteil. Auch wenn die Verknüpfung zwischen Buddhismus und Staat nicht immer so offenkundig war, konnten jedenfalls auch die prächtigen Tempelbauten in Kyoto oder Kamakura nicht ohne staatliche Förderung errichtet werden. DOGEN, der im 13. Jahrhundert den chinesischen Soto-Zen-Buddhismus in Japan etablierte, zog sich zwar im Unterschied zum konkurrierenden Rinzai-Zen aus der Kaiserstadt Kyoto zurück, bedurfte aber für die Errrichtung seines Tempels in den Bergen von Fukui der massiven Unterstützung der dortigen Aristokratie und der Kriegerklasse. Erst NICHIREN, der zornige Prophet des 13. Jahrhunderts und Gründer eines streng auf die Lotus- Sutre gründenden Buddhismus, verzichtete nicht nur völlig auf staatliche Förderung, sondern wandte sich kritisch gegen den Staat und die von ihm ausgehende soziale Ungerechtigkeit. Die Ashikaga-Regierung (14.-16. Jahrhundert) neigte deutlich dem Zen-Buddhismus zu und förderte die zahlreichen Einflüsse des Zen auf die japanische Kultur (Architektur, Gartengestaltung, Kalligraphie, Teezeremonie).

Diese staatliche Bevorzugung des Buddhismus wurde radikalisiert in der Zeit der japanischen Abschottung durch die Dynastie der Tokugawa-Shogune (1603- 1868). Als Maßnahme der Abgrenzung gegen ausländische Einflüsse musste jede Familie sich bei einem buddhistischen Tempel registrieren lassen. Tempel wurden per Zwangsmaßnahme zu »Meldebehörden«, was zwar ihren Status und Wohlstand, nicht jedoch ihre Beliebtheit steigerte. Die staatliche Funktion mit den damit verbundenen Einnahmen ließ neue Tempel entstehen, die aufgrund der Zuständigkeit für Toten- und Bestattungsrituale eine Blütezeit erlebten.

Seit der Öffnung in den 1870-er Jahren, unter dem Meiji-Tenno, wendete sich das Blatt dramatisch: Die Tempel wurden entmachtet, Konversionen zum Christentum untergruben zusätzlich das buddhistische Gefüge, der Shinto stieg zur Staatsreligion auf. Bis hin zu Verfolgungen und Tempelverwüstungen erlebte der japanische Buddhismus eine Zeit des Niedergangs, von der er sich nur langsam erholte.

Aber auch der Shinto ging in der Meiji-Zeit nicht einfach in der Rolle des StaatsShinto auf. Bis heute wird zwischen Staats-Shinto und Sekten-Shinto unterschieden, und mit »Sekten-Shinto« sind insbesondere 13 Schulrichtungen gemeint, die als je eigenständige Traditionen mit unterschiedlichen, zum Teil auch synkretistischen Ausrichtungen existieren. Einige davon sind klein, mitunter politisch linksorientiert, beteiligen sich an Bürgerinitiativen und passen keineswegs in das Klischee des staatstreuen, dem Tenno hörigen Shinto, das auch unter vielen Japanern grassiert.

Es gibt bis heute eine weitverbreitete Mentalität, dass Shinto - als ein Sammelbegriff für viele kleine lokale Frömmigkeiten, Kulte und Feste - einfach »japanisch« sei und nicht Religion. Dieser Meinung schließt sich auch gerne die Regierung an, wenn es wieder einmal Kritik an einem staatsoffiziellen Schreinbesuch gab. Die christlichen Kirchen sehen seit langem mit Sorge einen Trend zur ungebrocheneren staatlichen Umarmung des Shinto bis hin zu Rufen, den Yasukuni-Schrein heute wieder zu verstaatlichen. Die Erinnerung an unheilige Allianzen verblasst, und auch ist hier ein intensives Kräftespiel von Lobbyisten am Werk, etwa die Vereinigungen der Kriegsveteranen und der Hinterbliebenen.

An vielen anderen Stellen jedoch zeigt sich, dass Japan sich mit der Präsenz zahlreicher Religionen weniger schwer tut als Deutschland: das gleichberechtigte Nebeneinander von Erziehungseinrichtungen des Buddhismus, des Shinto, des Christentums, Unterricht über die Religionen in der allgemeinen Studieneingangsphase der Universitäten, freie Religionsausübung ohne die Unterschiede, die in Deutschland durch die Einteilung in öffentlich-rechtliche Körperschaften und Vereine entstehen. Staatliche Förderung darf es für religiöse Aktivitäten geben, wenn sie als Kultur-, Erziehungs- oder sozialdiakonische Maßnahmen allgemeinnützig sind.

So wie die westlichen Kulturen zutiefst christlich geprägt sind, ist die japanische Kultur und Mentalität von den in Japan seit alters präsenten Religionen geprägt, und eine völlige Trennung von Religion und Staat wird immer ein Balanceakt bleiben. Ein Verfassungsgericht, das den Staat zur Räson rufen könnte, gibt es nicht. In Japan reißen viele Kräfte von jeder Seite des Drahtseils: rechtsradikale Tenno-treue Gruppierungen, die mit schwarzen LKWs durch die Straßen fahren und die Innenstädte mit nationalistischen Reden und Liedern beschallen, sowie die weit rechts orientierten Segmente der LDP-Klientel, die nichts gegen einen konservativen Ruck zurück zum Staatsshinto hätten, ältere Menschen, die aufgrund der natürlichen Menschlichkeit der heutigen Tenno-Familie keinen Grund zur Kritik am »Tennoismus« und seinen angeblichen Gefahren sehen. Hohepriesterliche Funktionen des Tenno werden als Folklore im Fernsehen betrachtet. Auf der anderen Seite sind es in erster Linie die christlichen Kirchen und buddhistischen Vereinigungen, die eine striktere Trennung von Staat und Religion einfordern, besonders dann, wenn wieder ein kaiserlicher Shinto-Ritus aus dem Staatssäckel bezahlt wurde. Ohne diese kritische Öffentlichkeit droht die Balance zu fallen. Da geht es Japan nicht anders als vielen anderen Ländern.

Quelle: EMW (Hrsg.): Länderheft Korea und Japan: Der schwierige Weg der Versöhnung, Hamburg 2002, S. 143-146.


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