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Ramona Leise schrieb am 8.4. 2019 um 05:28:10 Uhr über

Theater

Wie begegnet man einem Engel? Mit Staunen und Schweigen, mit leiser Auflehnung oder innerer Zustimmung? Haben alle Engel Flügel? Und worin unterscheidet sich ein Seraph von einem Cherub?

Von all diesen Fragen - und handfesten Theaterproblemen - hatte Tony Kushner noch nicht die geringste Ahnung, als er sich, 1987, hinsetzte, um ein Stück über Aids zu schreiben. Fünf Personen, rund 90 Minuten Spieldauer, ohne Pause. Ach ja, RoyCohn, der New Yorker Prominentenanwalt, sollte drin auftauchen.

Dann ist Kushner von seinem Material, von Figuren und Dämonen überwältigt worden. Fünf Jahre später gab er ein siebenstündiges Mysterienspiel in zwei Teilen ab, ein Stück über den Zustand der amerikanischen Gesellschaft vor der Jahrtausendwende.

Mittlerweile hat es den Theaterpreis des Londoner »Evening Standard« erhalten und kürzlich den Pulitzerpreis, und Autor Kushner posiert auf riesigen Billboards für das Jeans-Imperium »GAP« und ist eine Berühmtheit - seine »Engel in Amerika« werden schon jetzt als wichtigstes Theaterereignis der neunziger Jahre gefeiert.

Lange ist das Theater nicht mehr so aufs Ganze gegangen. Kushner setzt Himmel und Hölle in Bewegung. Er führt durch ein apokalyptisches Spiel, das von Aids handelt und der Liebe, von Schizophrenie und Verrat. Er führt nach Salt Lake City und an die Antarktis. Er liefert eine Vivisektion des verrotteten Nihilismus der Reagan-Jahre und der selbstgerechten, politisch korrekten Besserwisserei der neuen Ära. Er debattiert jüdischen Selbsthaß und christliche Bigotterie. Und er beendet seinen ersten Teil mit einer Offenbarung. Der Engel erscheint.

Wer sagt, daß Kritiker immun gegen Erlösungsphantasien sind? Schon in der Uraufführung der »Engel in Amerika« in LosAngeles sah Frank Rich, Chefkritiker der NewYorkTimes, das Theater gerettet und die Gesellschaft revolutioniert. Selten hat ein amerikanisches Stück schon vor seiner Broadway-Premiere derartig auf ganzer Linie gesiegt.

Und es siegt mit seinem dunkelsten Zentrum, mit dem Scheusal RoyCohn, dem Celebrity-Anwalt und Schwulenhasser, der 1986 an Aids gestorben war und der seine homosexuelle Veranlagung bis zum Schluß zu verbergen gesucht hatte.

Cohn war der eigentliche Anstoß für das Stück, diese »schwule Phantasie über gesellschaftliche Themen«, wie es im Untertitel heißt - Tony Kushner hatte einen Nachruf auf den Anwalt gelesen, den er »so homophob« fand, daß er untersuchen wollte, ob an Cohn nicht doch etwas theatralisch gutzumachen sei.

Keiner hatte den sittlichen Verfall der Reagan-Ära so verkörpert wie RoyCohn, der seine politische Karriere als McCarthys eifrigster Kommunistenhenker begann und der sich später damit brüstete, er habe dafür gesorgt, daß EthelRosenberg wegen Spionage auf den elektrischen Stuhl kam. »RoyCohn«, schrieb Robert Sherrill in jenem berüchtigten Nachruf in The Nation, »war der Jude, mit dem man andere Juden fing

RoyCohn hasste sein Judentum. Und er wußte es gleichzeitig clever als Karrierespielmarke zu nutzen. Als einige Senatoren auf McCarthy Druck auszuüben begannen, er möge Cohn entlassen, drohte der mit seinen guten Beziehungen zum jüdischen Zeitungsestablishment, das einen solchen Schritt als »antisemitisch« brandmarken würde.


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