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Märchenonkel, am 7.11. 2015 um 22:35:46 Uhr
Zehenkäse

Vor langer, langer Zeit lebte in dem winzigen Dörfchen Güllbach der Bauer Schmitz mit seiner Frau. Der Bauer war ein angesehener, tüchtiger Mann, doch seine liebe Gattin, die wie die meisten Frauen nie so recht mit dem Tun ihres Mannes zufrieden war, nörgelte ständig an ihm herum. Dabei hatte Schmitz die beste Kuh von ganz Güllbach und Umgebung, deren reichlicher Milchfluss es sogar zuließ, Käse allererster Güte zu bereiten und auf diese Weise den Lebensunterhalt zu bestreiten. Aber selbst daran hatte seine liebe Frau etwas auszusetzen. Sie meinte, mit immer dem selben Käse ließe sich auf Dauer ohnehin nicht das rechte Geld machen, und er solle doch gefälligst mal was richtig Neues auf den Markt bringen, so eine Art ultimativen Turbokäse vielleicht, von dem keiner je genug bekommen konnte. Bauer Schmitz dachte ernsthaft darüber nach, sann und grübelte, und erfand schließlich eine völlig neue Rezeptur, die einen ganz und gar schwarzen Käse ergab. Ja, solch einen Schwarzkäse hatte wahrlich noch keiner jemals probiert! Das Rezept freilich behielt der Bauer Schmitz für sich, er hatte es auf ein winziges Zettelchen gekritzelt, welches er in der Hosentasche stets bei sich trug und wie einen Schatz hütete. Überdies mundete der Schwarzkäse ganz vortrefflich, und nachdem seine liebe Frau ein Stückchen gekostet und für gut befunden hatte, machte sich Bauer Schmitz alsbald auf den Weg zum Markte des nahegelegenen Städtchens Kaliputtel, um dort seine außergewöhnliche Spezialität feilzubieten. Es war die heißeste Zeit des Jahres, und Bauer Schmitz hatte aus diesem Grunde auf Schuhwerk verzichtet. Ferner war der Schwarzkäse von derart gewaltiger Größe, dass es Bauer Schmitz nicht erspart blieb, ihn zum Transport vor sich her zu rollen. Heiß brannte die Junisonne und ließ den Schwarzkäse immer weicher werden, wodurch ständig etwas als dunkler Belag auf der steinigen Straße zurückblieb. Und als Bauer Schmitz notgedrungen darauf trat, blieb der Käse zu allem Übel auch noch an seinen nackten Füßen kleben. Selbst seine Hände waren ganz verkleistert, auch die Kleidung hatte etwas abbekommen. So wurde der Schwarzkäse unterwegs kleiner und kleiner, und als Bauer Schmitz schließlich auf dem Marktplatz von Kaliputtel ankam, war von der Köstlichkeit nichts mehr übrig. Dafür verband nun eine breite Straße mit einem dicken, schwarzen Belag das Dörfchen Güllbach mit dem Städtchen Kaliputtel, und auch an Händen und Füßen des Bauern klebte noch allerhand von dem Schwarzkäse. Nur gut, dass Schmitz wenigstens noch das Zettelchen besaß und sicher in der Hosentasche bei sich trug! Betrübt begab er sich auf den Heimweg, und als er dort ankam, schalt ihn seine Frau, weil er so schmutzig aussah. Bauer Schmitz wusch sich, so gut er konnte, während sich seine liebe Frau kurzerhand seiner schmutzigen Kleidung annahm. Freilich wurde auch seine Hose gewaschen, und das wohlbehütete Zettelchen, welches sich in der Hosentasche befand und von dem die Frau gar nichts wusste, überstand diese Prozedur bedauerlicherweise nicht. Dem Bauern Schmitz war es unterdessen gelungen, zumindest seine Hände reinzubekommen, doch zwischen den Zehen war das schwarze Zeug trotz aller Mühe und dreier Stücken bester französischer Seife nicht wegzubekommen. Ganz gleich, was er tat, der schwarze Käse kam immer wieder, und Schmitz musste damit leben, ob er nun wollte oder nicht. Jahre später schenkte ihm seine Frau einen Sohn, glückliche Zeiten brachen an. Aber, ach, zwischen den Zehen des Söhnleins entdeckten Schmitz und seine Frau alsbald schwarze Krümchen, die gänzlich jenen seines Vaters glichen. Ja, es war vererbt worden, und selbst die Kinder und Kindeskinder des Bauernsohnes fanden bisweilen noch schwarzen Käse zwischen ihren Zehen. Das Rezept für den köstlichen Schwarzkäse war mit dem Waschen der Hose in Vergessenheit geraten, auch das Dörfchen Güllbach und das Städtchen Kaliputtel gibt es inzwischen längst nicht mehr, doch das, was die beiden Örtchen seit damals miteinander verbunden hatte, war die erste asphaltierte Straße der Welt. Und noch etwas ist seit jenen Tagen bis in die heutige Zeit geblieben, liebe Leute. Zieht die Socken aus und schaut mal zwischen eure Zehen. Sind dort schwarze, käsige Krümchen zu finden, so ist das Beweis genug, dass unsere Geschichte wahr ist und die lieben Nachfahren des Bauern Schmitz aus dem Dörfchen Güllbach noch immer unter uns weilen!


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