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Mitteilung von Ein Bürger (27.2.2012 21:37:40):
Die Deutsche Bahn!

Ich bin unglaublich aufgebracht! Ich hatte heute das Misvergnügen, einmal mehr die Dienste der Deutschen Bahn in Anspruch nehmen zu müssen! Ich wäre ja sonst gerne mit einer über das Internet aufgespürten Mitfahrgelegenheit in einem stinkenden Mercedes-Van an mein Ziel gefahren, allein, so kurzfristig gab es nichts mehr.

Da ich über diverse Umstände zu einem für meine Verhältnisse recht ansehnlichen Geldbetrag gekommen bin, hatte ich mir gedacht, dass ich die 93 Euro für eine elende Bahnfahrt doch ohne große Pein zum Fenster hinauswerfen könne. Großzügig zu sein, ohne dass hierfür auch nur im entferntesten eine materielle Basis bestünde, ist eine meiner wesentlichen, ich will sagen: eine meiner vorzüglichsten Charaktereigenschaften. Ich halte große Stücke hierauf und habe noch am Vorplatz des Hauptbahnhofs dieser scheußlichen mittleren Großstadt einer bettelnden alten Mutter einen Euro und zwei Zigaretten zugesteckt.

Ich habe mich daraufhin sehr gut gefühlt, denn nichts lässt einen mit einem zufriedeneren Gefühl zurück, als eine ohne Not begangene Wohltat! Im vorbeigehen habe ich mich im Hauptbahnhofsgebäude selbst aus dem Augenwinkel in einer verspiegelten Glastür einer Reisebank betrachtet. 'Sieh an! So sieht ein guter Mensch aus! Ich gefalle mir wohl! Ich habe hier diesem alten Weib, das bestimmt Tag für Tag unter schrecklichsten Entbehrungen zu leben hat, nicht nur eine Zigarette, sondern zwei abgegeben, dazu noch eine beträchtliche Summe Geldes! Wenn jeder so gut wäre wie ich, ach, dann ließe es sich auf der Welt gut leben!'

Ich bin nun jemand, der zwar nicht abergläubisch ist, der aber an die kleinen Zusammenhänge im Leben glaubt, an das unsichtbare Band, das uns Menschen über das Schicksal verbindet, an den Lohn der guten Tat und an die goldene Regel des Jesus Christus. Ich gehe also in freudiger Erwartung durch die Wandelhalle, ja, ich springe geradezu wie ein junger Hund dem 'Reisezentrum der Deutschen Bahn' entgegen, denn was würde hier geschehen, ob meiner Wohltat? Aufgenommen in freundliche Arme würde ich werden, denn wer gibt, dem wird gegeben. Möglicherweise würden mir die Schalterangestellten der Deutschen Bahn meine Fahrkarte in Absehung aller hierdurch entstandenen Kosten für Nichts überreichen, wenn ich, strahlend und gekrönt durch die Gloriole der guten Tat und der menschlichen Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit, in der Schalterhalle erscheine. Ich hätte alle Menschen herzen können...

Ich betrete also die Schalterhalle, oder, wie man heute sagt, das 'Reisezentrum'. Es erscheint mir unendlich aufgeräumt, nicht viele Menschen und vor allem: keine Schlange! Ich hatte in solchen oder ähnlichen Schalterhallen schon gräßliche, nein gräßlichste Szenen erlebt, Reihen von Menschen, die von der Halle aus bis weit auf den Bahnhofsplatz anstanden, um eine Fahrkarte zu lösen. Rentner, die sich, neugierig wie die Rentner eben sind, alle bestehenden Verbindungen für eine Fahrt von hier nach Spitzbergen haben ausdrucken und dann Station für Station erläutern lassen, nur für den Fall, dass man vielleicht einmal als Rentner – aus welchem Grund auch immer – unbedingt nach Spitzbergen fahren müsse.

Ich konnte mein Glück also kaum fassen! Es war, auf Deutsch: unfassbar, dieses Glück! Es war so unfasslich und unfassbar, ich kann es kaum in allgemein verständlichen Worten ausdrücken. Es musste ein Geschenk des Himmels ob meiner Hilfsbereitschaft sein! Ich stellte mir die arme Bettlerin vor, wie sie verzückt meine beiden Zigaretten raucht, um dann den von mir überhändigten Euro zu einem großen Schatz, zu einem seit Jahren angehäuften finanziellen Grundstock, hinzuzufügen, welcher ihr die Rückkehr in die Gesellschaft der ehrbahren Bürger ermöglicht, oder vielmehr: garantiert. Sie würde möglicherweise Unternehmerin werden, mit diesem großen Schatz an 50 Cent und Eurostücken, der, ausnahmslos gehortet in einer riesigen Schatulle, vergraben im Erdreich einer Brachfläche auf der Nürnberger Insel Schütt.

Ich war so also ganz in Gedanken über die Wohltat, die ich gerade verübt hatte, als ich des ursächlichen Grundes gewahr wurde, warum es in der Schalterhalle keine Schlange gab. Ich sah hinauf zu einer leuchtenden Tafel, auf der zwei Nummern angezeigt wurden. Nummer und Platz. Platz und Nummer. Es hatte keiner zehn Sekunden benötigt, bevor ich erfolgreich eins und eins zusammenzuzählen vermochte. Nummer und Platz! Platz und Nummer! Die Sprache der Ämter! Bürgeramt, Meldeamt, Patentamt, ALGII-Amt!

Ungläubig starrte ich auf die Ziffern auf den überall im Saal angebrachten, leuchtenden Anzeigetafeln. Ich, der ich schon auf dem Weg zu einem freien Schalter mich in voller Bewegung begriffen hatte, ging verwirrt, aber Böses ahnend, zurück zum Eingang des Saals. Ich stand plötzlich vor einer Art Automat, der sich mittels eines großen roten Knopfes (im Internet wäre dies eine Art 'Button' gewesen) bedienen ließ. Voll Schrecken drückte ich den Knopf, den großen roten Knopf, bevor sich, in aller bei einem solchen Prozess waltenden Gottlosigkeit, ein 'Ticket' aus dem Automaten fraß. Ich nahm es in die zitternde Hand. Platz und Nummer, Nummer und Platz. 'Bei Gott!' fluchte ich. Ich setzte mich auf eine der Bänke oder Banken in der Mitte des Raums und wartete.

Mein Kopf war schrecklich leer. Sollte die Deutsche Bahn, dieses großartige Unternehmen, seine Bittsteller zu den gleichen Konditionen behandeln wollen, wie das sich mir in ungute Erinnerung eingeprägte 'Job-Center'? Wie, o Schrecken, das Bürgermeldeamt – Ausgeburt der teuflischsten Fantasien deutschen Beamtenfleißes, gar?

Nach einiger Zeit erschien meine Nummer in brennenden, in lodernden Buchstaben auf zahlreichen Displays. Ich fuhr hoch wie ein Besessener. Wie ein wahrhaftig Besessener, denn zwei Mächte stritten in meinem Schädel.

Die eine besagte: 'dies, bei Gott, ist eine Gängelung des zahlenden Kunden und Bürgers!"

Die andere sagte: 'dies, bei Gott, ist eine Maßnahme, welchen dem Kunden und dem Kunden allein zugute kommt. Vergessen sind die Zeiten des gewissenlosen Vordrängelns und Übervorteilens der anderen Kunden durch gewisse Ruchlose. Durch gewisse kriminelle Elemente, welche den aufrichtigen Kunden nur schaden und nicht nützen wollen, welche der Deutschen Bahn auf der Nase herumtanzen. Zum Schaden des Bürgers und des Kunden und zum Nutzen ihrer eigenen kriminellen, ihrer verbrecherischen Energie.

Die letztere Stimme obsiegte. Es war, als ob mir ein Mühlstein vom Herzen fiel. Ach weh! Ich tänzelte, nein! ich schwebte zum mir angezeigten Schalter und schmiss das Billet, wie es in Ämtern so üblich ist, der Schalterangestellten schwungvoll auf die Arbeitsfläche, damit auch niemand behaupten konnte, ich hätte mich ungerechtfertigt und ohne dass meine fragliche Nummer aufgerufen wurde, an den Schalter begeben, was fraglos ein großes Verbrechen gewesen wäre.

Sie war mir sofort sympathisch. Mitte 50, tiefe Augenringe, und 'Hüftgold', das ihre schicke blaue Bahnuniform zum vorteilhaftesten zu zersprengen schien. Ich war gleich 'in Liebe'. Ich hatte nur Sekundenbruchteile, um mir zu überlegen, wie ich sie gewinnen könnte. Ich entschied mich für den 'Witz', dass heißt, im Sinne von engl. 'Wit', die geistreiche Bemerkung.

»Haha, hihi, dass ist ja jetzt wie auf dem Amt hier, nicht wahr, hihi!«

Vor meinem Inneren Auge war bereits vor der Äußerung folgende Szene abgelaufen:

die nette Dame würde sich etwas auf ihrem Stuhl räkeln, ihr hennarotes Haar zurückwerfen, und mit einer Hand mit grellrot lackierten Fingernägeln sachte kichern: 'jaja, so ist es halt...'

Zu menem allergrößten Entsetzen kam dann in einem geifernden, in einem wahrhaft hasserfüllten Ton die nicht sehr geistreiche Bemerkung, dass sich jeder anstellen muss, sonst gibts halt nix. Jeder nach der Reihe. Oha.

Ja, ja also. Mein etwas, zugegeben, realitätsferner Sinn fiel von mir ab. Na okay dann, eine Karte nach da und da. Die für 93 und nicht für 120 Euro.

'Haben Sie eine Bahncard??!?'

'Nein...'

'Wieso?'

In meinem Kopf hat es da nur noch 'LOLOLOL' gemacht.

LOLOLOLOLOL!

LOLOLOLOLOL!

'WIESO?'

LOLOLOLOLOL!

'Ja, ööh, fahre nicht so oft mit der Bahn...'

So eine unglaubliche Fotze! In jedem Call-center der Bahn wegen Beschwerdescheiß werden die Insassen geknechtet bis zum geht nicht mehr und dann kommt da so eine fette Sau, die für Ihren Trotteljob festangestellt bei der Bahn wahrscheinlich 2500 Euro mitnimmt daher und herrscht mich an, wieso ich keine Bahncard habe.

Alle entlassen und outsourcen, die Penner. Die untere Mittelschicht ist sowieso das schrecklichste, was jedem Land auf Erden passieren kann. Ich wüte immer noch. Ficker! Das selbe die BVG! Ich befinde mich in einem wilden Strudel der Empörung, es ist unglaublich!!!!