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Mitteilung von baumhaus (14.5.2012 23:22:47):
tootsie über »Todesnähe«

[zum Original-Text]

> Es ist schon ein interessantes Gefühl, das eigene Leben versaut zu haben. Ich wünsche es niemandem, aber es ist interessant. Vor allem die Frage, wie es weitergeht, macht mich ein wenig unruhig. Da ist man 27 Jahre alt, hat die letzten 20 Jahre in verschiedenen Bildungseinrichtungen zugebracht und plötzlich geht die Welt in Scherben. Ich verfüge über keinerlei Qualifikation. Ich habe keinen Berufsabschluss. Nichts! Ich habe mich voll auf mein Studium konzentriert.
>
> Nun kann es aber durchaus passieren, dass ich es nicht schaffe. Was geschieht denn dann? Insgesamt habe ich die Nase voll von Prüfungen und Angst. Und wenn ich nun endgültig herausfalle aus dem großen Bild? Wenn ich versage? Dann müsste ich mich arbeitsuchend melden und eine neue Wohnung finden. Dann hätte ich Freizeit ohne Ende! Nun ja. So einfach ist es dann doch nicht. Für den Rest meines Lebens, für etwas über fünfzig Jahre also, müsste ich mir mein Scheitern vorwerfen lassen. Aber wäre das denn so schlimm? Wäre es so schlimm, ausgelaugt, verbraucht und kraftlos, wie ich bin? Ist es mein Versagen oder das der Welt? Ich habe es zumindest versucht. Ich habe versucht, mir ein Leben aufzubauen, auf eigenen Beinen zu stehen, etwas zu leisten! Offensichtlich bin ich nicht leistungsfähig genug, und Fließbänder gibt es nur noch in Osteuropa. Aussortiert! Mich braucht niemand, und ohne Scheiß-Diplom bin ich für nichts qualifiziert. Wäre ich doch nur durch das Vordiplom gefallen! Nun falle ich durch das Diplom und bin zu alt, um noch was Neues anzufangen. Ich bin fast dreißig. Niemand kann von mir verlangen, dass ich nochmal irgendeine Ausbildung anfange. Da mache ich nicht mit.
>
> Bisher habe ich alle Prüfungen bestanden. Was aber, wenn das nicht so weitergeht? Sicher, ich bin vorbereitet, vorbereitet, vorbereitet... Und inzwischen reicht mir eine Vier, die ja auch drin sein sollte. Was aber, wenn ich letztlich doch auf der Strecke bleibe?
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> Dann wird mich das Arbeitsamt quälen. Aber ich hätte vielleicht auch wieder Zeit für Dinge, die wichtig sind: Lesen, Töpfern, Malen, Spazierengehen. Die Aussicht, nicht mehr lernen zu müssen, hat etwas Beruhigendes. Einfach durchatmen. Ich brauche mich nicht umzubringen, nur weil ich ein schwacher Versager bin. Die Leistungsgesellschaft kommt mir ausgesprochen nazi vor. Die Leistungsgesellschaft ist schlimmer, als es das Dritte Reich je sein konnte! Damals hat man sich auch angemaßt, darüber zu bestimmen, wer etwas wert ist und wer nicht. Und heute behauptet jeder, dass das nicht so sei – ha! – Heuchler. Allesamt. Für die Gesellschaft bin ich nun eine Last. Aber ist das meine Schuld? Ich konnte doch nicht ahnen, dass ich scheitern würde. Als hätte ich das absichtlich getan. Stimmt aber nicht! Ich habe immer die Arschbacken zusammengekniffen. Und nun? Bin ich den Maßstäben der Gesellschaft nach nichts wert. Eine Last. Aber es geht doch vielen so! Wo sind die denn alle? Da müssen doch fast sechs Millionen Menschen sein, denen es ähnlich geht! Was wohl passiert, wenn die alle DieLinke wählen?

Ja, wo sind sie?

Vor der Glotze. Und offenbar zu faul zum Wählen.