?  
  Hoch: [8]
Links: [4]Liste: [5]Rechts: [6]
Runter: [2]
Mitteilung von Höflich (24.1.2013 01:18:56):
>König Rudolf oder Höflich über »Neukölln«

>[zum Original-Text]
>
>> War heute Morgen vor der Arbeit in Neukölln, Termin für Wohnungsbesichtigung.
>>
>> Tatsächlich: die Wohnungen dort sind mittlerweile, was die Neuvermietungen angeht, teurer als in Prenzlauer Berg, von Ausnahmen (wie der Wohnung heute) abgesehen. Einzimmerwohnung, 35 qm, geht selten unter 420 Euro ab. Mietsteigerung von knapp 20 Prozent per annum. Über die letzten drei Jahre.
>>
>> Jetzt sagt man eben, das hat sich alles da so furchtbar 'gentrifiziert'. Einen Scheiß hat es sich! Ich hatte fast das Gefühl, seitdem ich da vor zehn Jahren weggezogen bin, wäre es schlimmer geworden. Gut, es gibt jetzt im 'Schillerkiez' gefühlte 2,5 'hippe' 'Pizzabars' und wohl auch 1,5 hoffnungslose off-off-off-Galerien. Jetzt ist es natürlich so, dass diese verzweifelten Versuche, abseits von Spielotheken, Wettbüros und schlecht sortierten Kiosken ein paar Akzente zu setzen, dass also diese sogenannte 'Gentrifizierung, dass die also diese unglaubliche Tristesse zwischen den goldbrandgestählten Nazischlägern auf der linken und den prügelnden, jungen arabischen Anabolikatwens auf der rechten Seite der Hermannstraße in einem nur noch krasseren Licht vor das Auge des entsetzten Betrachters stellt. [Die örtliche autonome Szene – heutzutage wohl berufssoziologisch einzugrenzen auf Informatiker, Webdesigner und gut verdienende Handwerker (kannte da mal einen flüchtig, der war Bootsbauer, irgendwas mit 17 Euro die Stunde in seinem Betrieb) versäumt es natürlich nicht, noch die abgeschmacktesten Schuppen, die bereits zwei Straßenzüge gegen den Wind nach Insolvenz, gescheitertem Unternehmertum, nach einer grandiosen Miskalkulation und einem harten Erwachen auf einem 'P-Konto' stinken, zum Hohn noch mit einem Eimer Farbe und grenzdebilen Parolen zu bedenken. Der Spaß sei ihnen gegönnt. Wie auch immer.]
>>
>>
>> Für die sogenannten 'hipster' in ihren engen hochgekrempelten Hosen bleibt da natürlich nur der Einbruch der Dunkelheit am frühen Winterabend, wenn die Säufer sich vor den ersten nächtlichen Ausrastern – zur Stärkung gewissermaßen – zur Ruhe legen und die örtliche Hamas vom Muezzin in die Moschee zum Abendgebet gerufen wird. Dann gilt es, schnell und unerkannt nach Kreuzberg einzureisen – ins gelobte Land!
>>
>> Je nachdem: als ich heute um halb zehn vom Hermannplatz die Wissmannstraße hochgetölpelt bin, und der erste kapuzenverpulloverte Jugendliche, der meinen Weg kreuzte, folgendes sprach: 'alter, dickker, brauchste Gras!?!?', da musste ich fast schon wieder lachen. Oder weinen. Ist ja alles das selbe. Ich habe Neukölln aus meinem Wohnungsinserats-E-Mail-Abonnement auf Immobilien24.de gleich wieder dick gestrichen. Ich glaube, mittlerweile würde ich eher noch nach Hellersdorf ziehen... wär auch billiger! Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, wieso ich es vor Jahren in Neukölln so lange ausgehalten habe. Wieso bin ich eigentlich weggezogen? Ach ja! ein Galtzkopf wollte mich auf offener Straße verprügeln. 2003 war das. Kurze Zeit später musste ich feststellen, dass er im Nachbargebäude quer über dem Hinterhof, einen Steinwurf nur, von mir entfernt wohnt. Glückliches Neukölln. Wo man gentrifizieren kann, ohne das gentrifiziert wird. Es bleibt alles so scheiße wie es ist, es wird nur enorm viel teurer. Das lobe ich mir. Prost!
>>
>> Ach ja, die Wohnung heute habe ich natürlich nie von innen gesehen, da der Makler es wohl vorgezogen hat, bei der Kälte zu so früher Morgenstunde nicht zu erscheinen. Mir nur recht.
>

Das mit dem Glatzkopf war im übrigen eine wirklich krasse Geschichte. Das war in den ersten Tagen des dritten Irakkriegs damals, Frühjahr 2003. Ich hatte gerade Besuch von außerhalb, und wie das so ist, wollten wir ausgehen, wie man das so macht, wenn man jung ist. Wir laufen also die schon erwähnte Wissmannstr. hinab. Zum Hermannplatz hin ist auf der rechten Straßenseite so ein Kiosk (an dem ich heute auch wieder vorbeigelaufen bin). Steht so ein Erznazi mit Schnapsflasche davor, gerade in dem Stadium, wo alle Hemmungen abgebaut aber die motorischen Fähigkeiten noch nicht nennenswert beeinträchtigt sind und redet auf die Besitzer, alles Türken, ein, die ihn so ein wenig ratlos beäugen. So auf zehn Meter höre ich schon, dass er den Saddam Hussein lobpreist, denke mir nichts dabei, normal, gegen Amis und Juden etc. Wir laufen vorbei, auf einmal merke ich, wie ich ein wenig, einen Zentimeter vielleicht nur, vom Boden abhebe. Was war geschehen? Der Asso hat mir von hinten in vollem Anlauf einen Arschtritt verpasst. Ich, als schon physisch zum Schläger wenig geeigneter Zeitgenosse, um wenigstens den Schein zu bewahren, drehe mich um und beschimpfe ihn. Wenn ich schon so ein Alki gewesen wäre wie wenige Jahre später, ich hätte ihm wohl direkt in die Fresse geschlagen (Lob des Alkohols. man begegnet allen Säufern da eher von gleich zu gleich. Ein sehr demokratisches Gefühl...). So habe ich aber in meinem Denkwerk einige übliche Gleichungen aufgemacht, 'was wenn er ein Messer hat, würde mich eigentlich wundern, wen er kein Messer hat, was, wenn er total wahnsinnig ist, wie eigentlich eher üblich unter diesen ranzigen Typen etc etc.' Die Türken waren, ehrlich gesagt, da keine große Hilfe. Haben nur verlegen gelächelt. Ende vom Lied war, dass ich, während er mir Todesdrohungen hinterhergebrüllt hat, mit dem anderen die Straße hinabgedackelt bin, denkend 'o o o, was für eine Scheiße, was für Wichser hier...'. Gegen meinen Kumpel hatte er komischerweise überhaupt nichts. Naja, jedenfalls habe ich ihn nur kurze Zeit später, einige Wochen vielleicht, vor meinem hauseingang rumlungern sehen. Bin dann erst mal eine Runde ums Quarree gelaufen, bis er weg war. Später ist mir dann noch aufgefallen, dass der Lärm, der von der andern Hofseite kam, kein, wie bisher immer gedacht, normaler Death Metal war sondern Nazirock. Ich habe mir nur gedacht 'LOL' und fröhlich die Immobilienbeilage der Berliner Zeitung aufgeschlagen.

Ach ja. Herrliche Erinnerungen.