?  
  Hoch: [8]
Links: [4]Liste: [5]Rechts: [6]
Runter: [2]
Mitteilung von Freno d'Emergenza (5.7.2015 11:45:58):
Zur Psychoanalyse @ Bobby

Daß man die Psychoanalyse heutezutage nicht mehr sehr mag, ist mir bekannt, und ich glaube auch, zumindest einen ungefähren Überblick über die wichtigsten Ursachen dafür zu haben:

Zunächst ist die Psychoanalyse ein recht aufwendiges Verfahren – die zu bezahlenden „Therapiestunden“ gehen ganz leicht in die hunderte, das Verfahren dauert oftmals mehrere Jahre, während derer der Patient meist nicht mehr arbeitsfähig ist. Das kollidiert mit den Erfordernissen des real existierenden Gesundheits- und Sozialwesens, zumal doch wesentlich effizientere Methoden zur Verfügung stehen, wie zB die verhaltenstherapeutischen Schulen, die – polemisch überspitzt: den Patienten zwar krank, aber arbeitsfähig und sozial angepasst halten. Aktuell behilft man sich noch mit dem Etikett der „tiefenpsychologischen Gesprächstherapie“, unter welchem die Psychoanalyse noch durch die gesetzlichen Krankenkassen finanzierbar bleibt. Es ist jedoch abzusehen, daß sie in wenigen Jahren nur noch Privatpatienten zur Verfügung stehen wird. Daß ich meine Selbstanalyse mit ärztlichem Beistand in knapp sieben Monaten zum Wiedererleben des Traumas führen konnte, dürfte eine Ausnahme sein – genauso wie die Selbstanalyse überhaupt.

Die Psychoanalyse kollidiert ferner auf philosophischer Ebene mit den Grundannahmen des Menschenrechtsfaschismus, indem sie zunächst einen von Geburt an vorliegenden Aggressionstrieb neben dem Sexualtrieb postuliert, dem Sexuellen indessen immer noch das Primat zugesteht. Daß sich auch herere Motive wie Religiösität, „politisches Engagement“, allerlei Bewegungen von „Schützern“ (Umwelt, Klima, Verbraucher, Kinder usw.), Bestreben nach „Emanzipation“, Wissenschaft und „Karriere“ letztlich auf Sublimationen von Sexualität und Aggression – rumsauen und rumprügeln – zurückführen lassen sollen, ist für das Selbstwertgefühl des kultivierten Mitteleuropäers in psychoanalytischer Diktion schlicht: eine unerträgliche narzistische Kränkung.

Die Entwicklung der Psychoanalyse zur akademischen Disziplin (eine Subdisziplin der akademischen Psychologie) hat ihr auch nicht gut getan. Zum einen hat die Logik der Forschung Platz gegriffen, nämlich das Parkinsonsche Gesetz der nach unten wachsenden Pyramide, in der jedes Fitzelchen von eifrigen Heerscharen von Diplomanten und Promoventen „elaboriert“ und „konzeptionalisiert“ wird, so daß ein unübersehbarer Wasserköpfiger Wust an Theorie entstanden ist, durch den keine Sau mehr durchblickt. Eine Selbstanalyse mit der aktuellen Psychoanalyse wäre mir niemals gelungen. Eine Voraussetzung ihres Gelingens war es gewesen, mich „ohne nach links oder rechts zu gucken“ auf die ursprüngliche, klassische Theorien Freuds gestürzt habe: die Psychoanalyse Freuds nämlich ist „die einfachste Psychoanalyse der Welt“. Durch ihre Akademisierung hat die Psychoanalyse sichzum anderen auch der „wissenschaftlichen Kritik“ ausgesetzt, die jedoch völlig fehl am Platze ist, denn die Psychoanalyse ist keine Wissenschaft. Sie ist eine Heilmethode, eine Kunstlehre, die allenfalls als solche wissenschaftlich beschreibbar ist. Die psychoanalytische Forschung indessen ist aufgrund der Einmaligkeit der Beziehungen von Patient und Therapeut der Intersubjektivität entzogen – vom Problem der Schweigepflicht ganz abgesehen.

Schließlich ist die Psychoanalyse eine kulturpessimistische Theorie. Der Mensch „als solcher“ wird von ihr als Produkt einer neurotischen Entwicklung beschrieben, für den „Natürlichkeit“ und „Gesundheit“ grundsätzlich nicht erreichbar sind, weil er an eine grundsätzlich pathologische wie pathogene „Gesellschaft“ angebunden ist. Die in Mitteleuropa herrschenden Ideologien mit menschenrechtsfaschistischem, christlichen oder marxistischem Hintergrund können sich mit einer solchen Sichtweise natürlich nicht einverstanden erklären, zumal ihre Protagonisten von der Psychoanalyse unverblühmt als narzistisch gestörte Psychopathen bezeichnet werden.