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Mitteilung von Freno d'Emergenza (7.7.2015 00:12:47):
>>Zur Psychoanalyse @ Bobby

>>Daß man die Psychoanalyse heutezutage nicht mehr sehr mag, ist mir bekannt, und ich glaube auch, zumindest einen ungefähren Überblick über die wichtigsten Ursachen dafür zu haben:
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>>Zunächst ist die Psychoanalyse ein recht aufwendiges Verfahren – die zu bezahlenden „Therapiestunden“ gehen ganz leicht in die hunderte, das Verfahren dauert oftmals mehrere Jahre, während derer der Patient meist nicht mehr arbeitsfähig ist. Das kollidiert mit den Erfordernissen des real existierenden Gesundheits- und Sozialwesens, zumal doch wesentlich effizientere Methoden zur Verfügung stehen, wie zB die verhaltenstherapeutischen Schulen, die – polemisch überspitzt: den Patienten zwar krank, aber arbeitsfähig und sozial angepasst halten. Aktuell behilft man sich noch mit dem Etikett der „tiefenpsychologischen Gesprächstherapie“, unter welchem die Psychoanalyse noch durch die gesetzlichen Krankenkassen finanzierbar bleibt. Es ist jedoch abzusehen, daß sie in wenigen Jahren nur noch Privatpatienten zur Verfügung stehen wird. Daß ich meine Selbstanalyse mit ärztlichem Beistand in knapp sieben Monaten zum Wiedererleben des Traumas führen konnte, dürfte eine Ausnahme sein – genauso wie die Selbstanalyse überhaupt.
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>>Die Psychoanalyse kollidiert ferner auf philosophischer Ebene mit den Grundannahmen des Menschenrechtsfaschismus, indem sie zunächst einen von Geburt an vorliegenden Aggressionstrieb neben dem Sexualtrieb postuliert, dem Sexuellen indessen immer noch das Primat zugesteht. Daß sich auch herere Motive wie Religiösität, „politisches Engagement“, allerlei Bewegungen von „Schützern“ (Umwelt, Klima, Verbraucher, Kinder usw.), Bestreben nach „Emanzipation“, Wissenschaft und „Karriere“ letztlich auf Sublimationen von Sexualität und Aggression – rumsauen und rumprügeln – zurückführen lassen sollen, ist für das Selbstwertgefühl des kultivierten Mitteleuropäers in psychoanalytischer Diktion schlicht: eine unerträgliche narzistische Kränkung.
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>>Die Entwicklung der Psychoanalyse zur akademischen Disziplin (eine Subdisziplin der akademischen Psychologie) hat ihr auch nicht gut getan. Zum einen hat die Logik der Forschung Platz gegriffen, nämlich das Parkinsonsche Gesetz der nach unten wachsenden Pyramide, in der jedes Fitzelchen von eifrigen Heerscharen von Diplomanten und Promoventen „elaboriert“ und „konzeptionalisiert“ wird, so daß ein unübersehbarer Wasserköpfiger Wust an Theorie entstanden ist, durch den keine Sau mehr durchblickt. Eine Selbstanalyse mit der aktuellen Psychoanalyse wäre mir niemals gelungen. Eine Voraussetzung ihres Gelingens war es gewesen, mich „ohne nach links oder rechts zu gucken“ auf die ursprüngliche, klassische Theorien Freuds gestürzt habe: die Psychoanalyse Freuds nämlich ist „die einfachste Psychoanalyse der Welt“. Durch ihre Akademisierung hat die Psychoanalyse sichzum anderen auch der „wissenschaftlichen Kritik“ ausgesetzt, die jedoch völlig fehl am Platze ist, denn die Psychoanalyse ist keine Wissenschaft. Sie ist eine Heilmethode, eine Kunstlehre, die allenfalls als solche wissenschaftlich beschreibbar ist. Die psychoanalytische Forschung indessen ist aufgrund der Einmaligkeit der Beziehungen von Patient und Therapeut der Intersubjektivität entzogen – vom Problem der Schweigepflicht ganz abgesehen.
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>>Schließlich ist die Psychoanalyse eine kulturpessimistische Theorie. Der Mensch „als solcher“ wird von ihr als Produkt einer neurotischen Entwicklung beschrieben, für den „Natürlichkeit“ und „Gesundheit“ grundsätzlich nicht erreichbar sind, weil er an eine grundsätzlich pathologische wie pathogene „Gesellschaft“ angebunden ist. Die in Mitteleuropa herrschenden Ideologien mit menschenrechtsfaschistischem, christlichen oder marxistischem Hintergrund können sich mit einer solchen Sichtweise natürlich nicht einverstanden erklären, zumal ihre Protagonisten von der Psychoanalyse unverblühmt als narzistisch gestörte Psychopathen bezeichnet werden.
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>Ich wuerde nicht mal sagen dass man die Psychoanalyse nicht mehr »mag«, das waere falsch. Aber im Gegensatz zur Euphorie die Freud damit ausgeloest hat kann man sie nicht mehr als Allheilmittel ansehen. Vielleicht wird sie in der Tat sparsamer eingesetzt – den Zunehmenden Verbrauch der Deutschen (bzw. Weltweit) was Psychopharmaka angeht sehe ich durchaus kritisch.
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>Die Professionalisierung der Psychotherapie war durchaus ein Segen durch den die Methodik stark verbessert werden konnte. Wie ich schon mal sagte – Freud lag nicht in allen Dingen falsch – in vielen Belangen hat er aber wohl nur geraten oder von sich selbst auf andere geschlossen.
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>Freud hat sehr stark schwarz weiss gezeichnet, vereinfacht und in Schubladen gesteckt. War der Patient eine Frau dann war es zumeist die »hysterie« (Was auch immer Freud darunter verstand) die an allem Schuld war. Bei Maennern eigentlich immer Sex und Agression.
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>Vielleicht gibt es einfache Gemueter bei denen das Freud'sche Modell genuegt um einen psychischen Zustand zu skizzieren. In der Realitaet sind die tiefen der Psyche aber (leider) sehr viel komplexer – Freud war aber immer wieder ueberzeugt von der Idee der »einfachen Erklaerung«. In den fruehen Jahren hat er Beispielsweise den »sexuellen Missbrauch als Kind« seiner Patienten durchaus ernst genommen und diesen auch als solchen verbucht. Spaeter hat er das als »Phantasien« abgetan. Wider viel spaeter hat er das als Oedipus Komplex abgetan. Die Wahrheit? Wohl von patient zu Patient unterschiedlich. Aber genau diese Individualitaet hat nicht in das Bild von Freud gepasst. Was der Physiker mit der String Theorie bis heute vergebens sucht (Die eine Therei die alle physikalischen Gesetzmaessigkeiten erklaert) hatte Freud stets mit seinen Theorien gefunden – auch wenn sich diese im Laufe der Zeit immer wieder stark aenderten.
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>Was Freud nie akzeptierte ist die Tatsache dass die Psyche und das gehirn bei jedem Individuum verschieden sind – wie bei einem Fingerabdruck. Das macht es gerade schwer und ist die Herausforderung der modernen Psychoanalyse. Freud hat das nie verstanden – er hatte ja auch »Homosexualitaet« als »Entwicklungsstoerung« betrachtet und war ueberzeugt dass homosexualitaet in wirklichkeit der »Stillstand« in einem fruehen sexuellen Stadium ist. Wuerden sich diese patienten sexuell weiterentwickeln dann wuerden sie schon »normal« werden. Da hat er wohl -wie so oft – von sich aus auf andere geschlossen.
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>Freud war nicht »bloed« im klassischen Sinne, aber es ist ihm sichtlich schwer gefallen Fehler einzugestehen und das von ihm propagierte »ueber-ich« konnte man an ihm wirklich gut erkennen.
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>Ja heute ist man sicherlich »sparsamer« mit der Psychoanalyse, da man nicht mehr alles als »Krankheit« ansieht was sich von der Psyche Freuds unterscheidet (Homosexuelle werden es der Medizin danken!). Nicht jeder ist der sexsuechtige Aggro den Freud gerne gezeichnet hat (Genug Kinder hatte er ja...), auch wenn das sicherlich heute noch auf manchen Patienten passt.
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>Heute versucht man den Patienten nicht mehr so sehr in Schubladen zu stecken, meist hilft es (so dumm das klingt!) schon ungemein wenn der patient sich dem Psychater offenbart, ein grossteil der »Therapie« ist es einfach nur zuzuhoeren. Nachdem Lobotomie, Kokain und Elektoschocks (Gott sei Dank) nicht mehr angewandt werden ist neben Psychopharmaka oder Agessionsbewaeltigungsseminaren aber auch sonst wenig angeboten.
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>Wenn es um aeltere Methoden der Psychotherapie geht mag ich immer noch den Rorschachtest, da er es oft ermoeglicht ein paar Stichworte zu erhaschen um ins Gespraech zu kommen. Was genau der Patient in den Tintenklecksen sieht ist fast nebensache, wobei es natuerlich in gewisse Richtungen deuten kann. Aber immer noch ist es am wichtigsten dass man im Gespraech bleibt.

Also erstens ging es um Psychoanalyse im allgemeinen und nicht um Freud im speziellen. Die Psychoanalyse von heute besteht aus einer Vielzahl von Schulen, ich sagte dazu bereits etwas. Die »Klassische Psychoanalyse nach Freud« ist nur eine davon. Festzuhalten bleibt aber, daß sie immer noch klinisch und theoretisch gepflegt wird. Ich beschäftige mich zB gerade sehr viel mit einem psychiatrischen Analytiker namens Mathias Hirsch, der sehr viel seit etwa 1990 über sexuellen Mißbrauch – was ja mein Thema ist – publiziert hat. Er ist ein klassischer »Freudianer«, was mir die Lektüre seiner Texte sehr erleichtert.

Zu Deinen Positionen zu Freud im einzelnen kann ich hier kaum Stellung nehmen – das sprengt jeden Rahmen. Sie sind jedoch zT schlicht falsch. Freud hat sehr früh eine Lanze für die Entpathologisierung der Homosexualität gebrochen – sehr gerne wird stets sein Brief an eine über die Homosexualität ihres Sohnes verzweifelte Mutter zitiert, in welchem Freud die Pathologisierung explizit zurückweist. Noch bedeutsamer erscheint mir, daß er das lesbische coming-out seiner eigenen Tochter Anna in deren Analyse begleitet und ihre – lebenslang gehaltene – Beziehung zu ihrer Lebensgefährtin aktiv gefördert und geschützt, sie selbst als Analytikerin ausgebildet hat. Anna Freud ist übrigens neben ihrem Vater eine der für mich wertvollsten Autorinnen – ihr Kompendium »Das Ich und die Abwehrmechanismen« steht auch heute noch bei jedem Analytiker im Regal.

Jeden Menschen als unverwechselbares, einzigartiges Individuum sehen zu wollen, ist die Kernthese der »Humanistischen Psychotherapie«, die ich in der »Einführung in die Psychodermatologie« meines guten Kurt Seikowski (mein »Über-Psycho«) kennengelernt habe. Es ist ja gut gemeint, aber leider nur ein Propagandaspruch. Die Realität des real existierenden Gesundheitswesens sieht leider völlig anders aus, und die Schubladen sind noch viel gröber, als diejenigen, die man Freud und der Psychoanalyse unterstellen kann.

Richtig ist es aber zu unterstreichen, daß die Psychoanalyse kein Allheilmittel ist – ein Anspruch, den Freud selbst übrigens nie erhoben hat. Sie vermag schon theoretisch nur einen Teil der psychischen Störungen zu erfassen – dieser Teil ist aber ziemlich groß, es ist wohl der Löwenanteil. Der bereits genannte Mathias Hirsch schätzt, daß etwa jedes 10. Kind in den »entwickelten Gesellschaften« Opfer eines sexuellen Mißbrauchs wird. Das alleine sagt eigentlich schon genug.

Die Psychoanalyse als diagnostische und therapeutische Methode kommt schließlich rein praktisch nur für einen Teil der Patienten infrage. Freud selbst wollte sie von vorneherein auf die gebildeten – und zahlungskräftigen – Kreise und Schichten beschränkt wissen. Das hat etwas für sich. Durch eine Psychoanalyse wird der Patient auch meiner Meinung nach vor Aufgaben gestellt, die unterhalb eines gewissen Bildungslevels nur noch ausnahmsweise zu bewältigen sind. Das schließt jedoch nicht aus, eine Gesprächstherapie auf psychoanalytischer Grundlage in den geeigneten Fällen auch dann sinnvoll durchzuführen, wenn die eigentliche Analyse, das Bewußtmachen von Verdrängtem, nicht stattfinden kann, bzw. nicht erforderlich ist, weil die Ursache der Störung nie verdrängt war, zB in Vergewaltigungsfällen.

»Rent a friend« hat man die Psychotherapie mal ironisiert. Auch da ist etwas dran, und es ist der Kern jeder Psychotherapie, dem Patienten einen Raum zu geben, in dem er über sich selbst und seine Probleme offen reden und nachdenken kann. Freud war nicht der einzige, der das seinerzeit so gesehen hat. Seine Zeit war eine Zeit des Umbruchs der Behandlung von psychisch Kranken, die zB auch mit den Namen von Bleuler und Möbius verbunden ist. Zuvor war man da äusserst hemdsärmelig gewesen, soweit man die Arbeit an der Psyche nicht sowieso den Kirchen überlassen hatte, die diese Funktion ja auch über lange Jahrhunderte garnicht so schlecht wahrgenommen hatte – die katholische Kirche wohlgemerkt, denn nur diese kennt die »Ohrenbeichte«, die man als zumindest eine der Wurzeln der heutigen Psychotherapie ansehen kann.