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Mitteilung von Freno d'Emergenza (9.10.2015 19:33:14):
Peter K. über »hitler«

[zum Original-Text]

> Hitler ist für mich Zeit meines Lebens ein faszinierendes Phänomen gewesen. Aus der Gosse, aus dem schieren Nichts zur »Machtergreifung« in knapp 15 Jahren, die Errichtung einer der beiden brutalsten Tyranneien (die Andere war die von Stalin), einer der beiden grandiosen Massenmörder (der Andere war Stalin), der das Antliz der Erde so grundlegend verändert hat, wie seinerzeit die Revolution von 1789 – die ja auch nichts anderes produzierte, als Massenmord – das kann doch kein Vollidiot gewesen sein; im Gegenteil. Hitler ist für mich der Inbegriff des bösen Genies, ein Extrempol des Menschlichen, den es zu studieren und zu begreifen gilt, wenn man wissen will, was das ist: der Mensch.
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Dieser Text von mir ist 10 Jahre alt – und Adolf Hitler fasziniert mich bis heute. Haffners »Anmerkungen« zu Hitler ist ein Buch, daß ich jedes Jahr mehrfach lese, in mich hineinschlürfe. Es ist für mich immer noch das hellsichtigste Buch über Hitler, auch wenn ich viele Wertungen heute nicht mehr mittrage, auch einige Fehler darin entdeckt habe. Wesentlich ist aber, daß Haffner Hitler als den ernstgenommen hat, der er war: ein Psychopath. Dabei begeht Haffner m.E. jedoch den Fehler, Hitlers Selbststigmatisierung ernst zu nehmen: nämlich daß sein Trauma – und das von Millionen Deutscher – die Niederlage von 1918 gewesen sei. Obschon sich Haffner auch intensiv mit Hitlers Jugendjahren befasst hatte – zumindest stellt er es nicht ausreichend klar dar, daß auch der junge Hitler psychotische Verhaltensweisen an den Tag legte, die man als Symptome der schizoiden Störung auslegen könnte. Sein Sozialverhalten war tief gestört. Er neigte in Gesellschaft seiner Kriegskameraden zB zum dumpfen Brüten, das immer wieder von jähen antisemitischen Tiraden unterbrochen wurde. Auch wurde er als Meldegänger eingesetzt – eine »einzelgängerische« Tätigkeit, die er jedoch sehr gut auszufüllen verstand. Sein EK I, auf das er Zeitlebens stolz gewesen war, hatte er weniger für eine Einzelleistung erhalten, als für jahrelange vorbildliche Erfüllung dieser seinerzeit hochgefährlichen Aufgabe: Schriftliche Meldungen und Befehle im »Stahlgewitter« (Ernst Jünger) von MG-Salven, Granaten und Bajonettangriffen zu übermitteln. Funk war damals noch in den Kinderschuhen, die Feldtelefone unzuverlässig – die Meldegänger die einzige Möglichkeit der Kommunikation, wenn Befehle nicht mehr durch Zeichen oder Zurufe übermittelt werden konnten. Auch Hitler war ja bekanntlich 1918 bei einem Giftgasangriff schwer verwundet worden, war zeitweise erblindet. Auch seine persönliche Bindungsscheu passt da gut dazu: seine Abneigung gegen persönliche Freundschaften, Liebe und Ehe. Auch die inzestuöse Beziehung zu seiner Nichte passt da gut ins Bild, ebenso wie die Willfährigkeit seiner Mutter, die ja auch nicht gerade auf Rosen gebettet gewesen war, gegenüber seinem Bohème-Leben in Wien und München. Und Hitlers unverhohlene Aggressivität passt dazu. Traumapatienten neigen sehr dazu, ihr Trauma mit umgekehrten Rollen zu wiederholen, Aggressor und Täter sein zu wollen, statt der Opferrolle, die sie nie verarbeiten konnten. Es könnte ein Kindheitstrauma gewesen sein. Doch wir werden es wohl niemals erfahren, welcher Art dieses gewesen sein wird.