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Mitteilung von Höflich (1.7.2016 23:16:55):
Mein Ausflag nach London... in Sachen Furtz!

Ich lief südlich der Themse entlang, Southbank, und überquerte den Fluss auf einer reichlich geschmückten Brücke. Herrje, dachte ich mir da, dies London, da geben sich ja alle Damen und Herren der Welt ein Stelldichein! Der Chinamann schüttelt dem Araber die Hand, der Araber dem Neger, der Neger dem Italiener und so fort. So geht es in einer Tour! Ich kam aus dem Staunen kaum mehr heraus, da baute sich vor mir schon ein großer Museumsbau auf. Ein Büttel, der offenbar von der Stadtregierung angestellt war, um Touristen in die Sehenswürdigkeiten der Stadt zu locken, rief mir zu:

»come in, come in!«

Ich sagte nur:

»I hef no mani! I känt komm in!«

Er bedeutete mir dann aber, dass der Eintritt frei, also: kostenlos sei...

Ich, eine Falle wähnend, war äußerst vorsichtig, da zog mich der Idiot schon in den Museumseingang und schubste mich ins Foyer.

Ich dachte mir nur: »Na, Höflich, wenn du schon mal hier bist...«

Ich lief also durch die Hallen und bewunderte die zahlreichen Bildwerke. Da plötzlich ging es mir auf:

DAS ALLES WAR RAUBKUNST! Die Tommies hatten uns all diese herrlichen Bilder im Kriege gestohlen, aus München, Dresden, Berlin!!! Ich lief rot an vor Wut!

Ich schrie:

»This is Raubkunst! RAUBKUNST!!!!«

Ich tobte. Dann kam einer dieser Museumswächter, ein kleiner aber muskulöser Mann in seinen sechzigern.

»What do you want?«

»RAAAAAUUUBKUNST!!!!«

Ich zeigte mit einem feurigen Finger auf ein Gemälde des urdeutschen Malers Lucas Cranach.

Dass die Engländer in dieser Sache keinen Spass verstehen, merkte ich recht schnell, als einige Typen der Metro Police aufkreuzten. Von deutschen Polizisten unterscheiden die sich vor allem darin, dass sie stets große Funkgeräte mit hohen Antennen bei sich tragen, wenn auch keine Schusswaffen. Ich fand mich bald also in einem wahren Antennenwald wieder und wurde unsanft aus dem neoklassizistischen Gebäude hinauskomplimentiert.

Ich dachte schon, der Tag wäre gelaufen. Ich irrte also wie ein Depp umher zwischen Bankern und Ölscheichs bis ich in eine ruhigere Gegend kam. Ich kaufte mir bei einem indo-pakistanischen Händler eine Flasche »Irn-Bru« nur um es kurz danach wieder zu bereuen, vulgo, auf den Bordstein zu speien, während ein Maserati mit lachenden und auf ihren IPhones Bilder von mir aufnehmenden Saudis vorbeifuhr.

Ich sah auf das Straßenschild:

»Nichol St.«

Dann sah ich, dass ein Mann an der Mauer des Gebäudes vor mir lehnte. Er sah etwas jünger als ich mit meinen 36 Jahren aus, zumindest kam er mir so vor. Deshalb blieb mir auch ein wenig die Spucke weg, als er sagte, dass er schon 1860 (!) geboren sei.

»Mein Lieber«, sagte ich, »das sieht man Ihnen gar nicht an, 1860, dann sind sie ja...«

»Über 150 Jahre alt, hehe, ja! Hehehe!«

Ich habe erstmal beschlossen, mir nichts dabei zu denken. Um das Gespräch, das im übrigen in feinstem Hochdeutsch geführt wurde, in andere Bahnen zu lenken, fragte ich ihn, in welchem Viertel der Stadt London ich mich befände.

Er sagte: »Oh, das ist das East End!«

Das East End! Ich schluckte! Das durfte nicht wahr sein. Das alles war nicht weit vom Zentrum entfernt, bis zum Finanzdistrikt hätte ich spucken können. Ich sagte:

»Hähä, ihr Londoner seid lustig, da gibt es einen Stadtteil der sich mehr oder weniger mitten im Zentrum der Stadt befindet, und ihr nennt es 'East End', Oostende! Hahahah HIHIHIHI!«

Ich klopfte mir auf die Schenkel vor Lachen.

Der Mann schien unbeeindruckt.

»Nun, vor vielen hundert Jahren war dies in der Tat das östliche Ende der Stadt. Wovon der Name East End zeugt!«

»Jaja«, schrie ich, denn ich war nun plötzlich ob so viel Unlogik in grässlichster Wut entbrannt, »DAS SIND ALLES AUSREDEN, AUSREDEN, UND NICHTS ALS AUSREDEN, IHR KUNSTRÄUBER!!!«

Der 150 Jahre alte, jugendlich wirkende Mann nahm es gelassen.

»Wussten sie, dass hier dereinst die Ärmsten der Armen lebten?«

Ich sah, wie aus den Häusern Leute liefen und in ihre Lexusse und Landrover und Ferraris einstiegen. Es war zwei Uhr Nachmittags wohlgemerkt, niemand dieser Typen schien einer geregelten Arbeit nachzugehen.

»So arm, mein Lieber, sieht mir das aber nicht aus...«

Der rätselhafte Mann lachte.

»AHAHAHA! Dann hätten sie es hier sehen sollen, als ich jung war, 1865!«

»Ja?«

»O ja! Die Leute haben hier mit zehn Familienmitglieder auf jeder Etage, was sage ich, in jeder Wohnung gewohnt, gehaust, muss ich sagen, und im Keller! Und Gänge haben sie gegraben, unter der Straße zur Latrine. Hohoho!«

Ich überlegte kurz. Dann schrie ich:

»SIE WOLLEN NUR ABLENKEN; SIE WOLLEN DAVON ABLENKEN, DASS IHR ENGLÄNDER EIN GEMÄLDE DES GROSSEN MEISTERS LUCAS CRANACH AUS DER RESIDENZ IN DRESDEN GEKLAUT HABT, PFUI, PFUI, PFUI!«

Der Mann lachte nur, klopfte mir auf die Schulter und ging seines Weges. Aber ich SCHRIE WEITER! Ich war ausser Rand und Band. Ich lief zur nächsten U-Bahn, sprang über die Turnstiles (haha, ohne zu bezahlen) und fuhr wie ein Blöder, sabbernd und saufend, stundenlang bis in irgendeine Vorstadt, wo ich mich mit Jugendlichen anlegte. Einen Tag später, auf dem Ryanair Flug zurück nach TXL dachte ich immer nur den selben Gedanken:

»ICH BEREUE NICHTS!«