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Yadgar schrieb am 17.3. 2008 um 14:03:18 Uhr über

Fernweh

Es begann mit Afrika. Ostafrika, um genau zu sein, höchstwahrscheinlich Kenia... aber für eine so präzise Lokalisierung reichten meine Geographiekenntnisse als 5jähriger Dreieinhalbkäsehoch noch nicht aus, ich vermutete den Ort meiner kindlichen Sehnsucht mal in Kamerun, mal in Algerien, von dem ich einmal in der 1. Klasse auf einer Fotokopie den östlichen Teil als »Daktariland« markierte. Denn dies war der Auslöser: die Fernsehserie um den Tierarzt »Daktari«, mit der Schimpansin Judy und dem schielenden Löwen Clarence auf der Wameru-Station. »Daktari« begeisterte mich damals derart, dass ich verrückt war nach allem, was zebraartig schwarzweiß gestreift war und erst Ruhe gab, als mir meine Eltern irgendwann einmal einen derart lackierten Matchbox-Geländewagen mit Anhänger schenkten...

Im ersten Schuljahr, es war am damals (1975) brandneu aus dem Boden gestampften Kölner Montessori-Zentrum, gab es regelmäßig sogenannte »Freistunden«, in der die Lehrerin der Klasse aus »Urmel aus dem Eis« vorlas - prompt hatte ich ein neues Traumziel, nämlich die (fiktive) Insel Titiwu, auf der der größte Teil der Handlung des Buches spielte. Titiwu musste dem Klima und der Vegetation nach irgendwo in der Südsee liegen, im Buch hieß es »Die Insel Titiwu liegt unter dem Äquator, deshalb ist es auf ihr sehr warm«... als wir Erstklässler einmal nach unseren Lieblings-Urlaubszielen gefragt wurden, trug ich auf das Arbeitsblatt folglich »Titiwu« ein und ergänzte »Titiwu ist 7851,24 Kilometer von der Schule entfernt« - das reichte Luftlinie nicht ganz bis nach Polynesien (obwohl mein - nicht sonderlich atlantenbelesener - Vater damals zu dieser Entfernungsangabe meinte, das müsse wohl Hawaii sein), aber immerhin bis in die Karibik, als Straßenentfernung wäre es sogar ungefähr... aber lassen wir das, bis dahin sind es noch etliche Jahre hin.

Bei der Inspiration zu neuen »Traumländern« ließ ich mich damals hauptsächlich von Klang oder Schriftbild des Wortes leiten... so auch mit knapp 8 Jahren, als ich, angeregt durch eine Schulfernsehsendung der Reihe »Wir lernen Russisch« auf den Sibirien-Trip kam. »Sibirien«, das klang schon weitschweifend, da gab es riesige Wälder, klirrende Kälte und Schnee (was ich in Köln schmerzlich vermisste), da lebten Füchse und sogar Tiger - vom Archipel Gulag und seinen nach Millionen zählenden Leichenbergen wusste ich damals natürlich nichts, und dass im Gegensatz zu Kenia oder irgendwelchen Tropeninseln die Länder jenseits des Eisernen Vorhangs so gut wie unerreichbar waren, focht mich nicht im Geringsten an.

Aber der Globus bot ja auch noch andere Attraktionen, Äthiopien zum Beispiel... das war mit so 9, 10 Jahren nicht mehr unbedingt die Fortsetzung von Daktari-Kenia mit anderen Mitteln, sonder durchaus eine neue Faszination, ein Land, das sich schon durch Name und Topographie deutlich vom übrigen Afrika abhob (die historischen und religiösen Besonderheiten waren mir damals aber nur vage bekannt), mit hohen Bergen (Ras Dashen, 4620 m) und tiefen Schluchten, viel Steppe und Wüste... ich erinnere mich noch, wie ich aus dem Weltatlas meiner Eltern (mit dieser herrlichen Bertelsmann-Kartographie, die physischen Karten in kräftig bunten Höhenstufen - sowas gibt es heutzutage kaum noch!) die Quellregion des Blauen Nil mit dem Tana-See, Debre Markos und dem Birhan-Bergmassiv vergrößert nachzeichnete...

Steppe, Wüste und hohe Berge, noch dazu schier unendliche Weite gab es natürlich erst recht in Zentralasien, so etwa vom Kaspischen Meer bis zur Chinesischen Mauer, und so fand ich mich bald wiederum ganze Nachmittage lang mit besagtem Atlas die Seidenstraße entlang träumend, während die Stereoanlage dazu »Spanish Eyes« und diverse Theodorakis-Lieder (freilich in Bearbeitung von James Last) spielte...

Zwischendurch hatte ich einen kurzen Flirt mit Irland (daran waren eindeutig Cindy & Bert mit ihrem Lied »Ian Kelly« schuld), aber insgesamt wurde die Richtung meiner zukünftigen Sehnsucht schon deutlich, zumal allmählich auch die Hormone erwachten und die Skythen wie auch Ralph Siegels Poptruppe »Dschinghis Khan« (mit Leslie Mandoki, diesem prototypischen langhaarigen schnauzbärtigen Sumpfzigeuner!) für dazu passende Anregung sorgten.

Schließlich dann, mit 13 Jahren, jener schicksalhafte Ethnologie-Wälzer, die »Neue große Völkerkunde« von Hugo A. Bernatzik, und darin dann im Zentralasien-Kapitel:

»Die Tadschiks sind ein schöner Menschenschlag von hohem oder wenigstens mittelgroßem Wuchs, das Haar und der meist prächtig entwickelte Bart sind schwarz...«

Da gab es für mich dann kein Halten mehr... allerdings war dabei wiederum das Problem, dass die Sowjetrepublik Tadschikistan in jenen Jahren kurz vor Gorbatschow für westliche Touristen praktisch »off-limits« war, und auch Literatur über das Land mehr als spärlich war...

Aber das Siedlungsgebiet der Tadschiken reicht auch weit über den Amu-Darja nach Süden hinaus, und als ich dann im Zusammenhang mit Tadschikistans südlichem Nachbarland (ich glaube, den Namen zu nennen erübrigt sich hier...) von dessen Kult-Status unter den Hippies und Alternativ-Globetrottern erfuhr, was es endgültig um mich geschehen - ich hatte die Liebe meines Lebens gefunden.


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