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mcnep schrieb am 25.6. 2003 um 11:35:55 Uhr über

höflich

Haltung oder Entfaltung: [Sein] Unwille (sich) zu entfalten - statt dessen die Konstruktion einerrichtigen«, anders auch gar nicht möglichen) Haltung. Die Gefahr einer Haltung in der Literatur: daß man sich schreibend von vornherein so im Recht glaubt, daß man nichts mehr »von sich zu geben« braucht; Haltung des Vor-Verständnisses mit mir Lesendem: »Dir brauche ich ja nichts mehr zu erzählen
Wenn man nichts entfalten mag, müssen aber die Sätze lauter Trümpfe sein: Auftrumpfliteratur.
Langer Schmerz des Lebens: daraus kann, wenn eine Person nur als Redefigur sich äußern will, eine Lebenshaltung der selbstbetörten Geschmerztheit, auch eine lebenslange Schreibhaltung werden.
Abgesicherter, von anderen abgesegneter Trotz: »Ich schreibe, was mir paßtIst eine solche Freiheit nicht auch ein Trick?
Von daher wird [er] jedenfalls verständlich als Beispielfigur für gewisse Zeitungsschriftsteller, die da eine gegängelte Zweitexistent von sich selber tagtraumhaft ein bißchen im sogenannten Freien herumtollen sehen, in Scheingefechten durchspielend, was sie dann »anarchistische Schreibweise« nennen: ihre Zweitwohnung (manchmal auch meine).
Dazu gehört: ja kein Pathos über ein paar Sätze hinaus: wo's gefährlich wird, rasch ein Witz herbeigezogen (Geheiligter Karl Valentin) - so hält [er stolz] als Zeichen der Ergebung die Kehle hin (denen, die das Meinen haben). Pathos würde den genauesten Mut in der Kunst verlangen; der Witz sticht in den fliegensollenden Ballon, bevor er ganz aufgeblasen ist (und sich so vielleicht lächerlich machen könnte.
Sorgfältig erarbeitete, auffällige Sätze - die freilich oft mit Feuerzungen reden; letzte Schreie in einem Doppelsinn. Mein Vertrauen zu [seinem] absoluten Modebewußtsein (wie zu absolutem Gehör): weil ich weiß, daß ein solches Bewußtsein das schärfste, klarste, auch das erbarmungsloseste, asozialste sein kann - er ist da tatsächlich »am weitesten«, und »Mode« ist nur der Medienname. (Trotzdem meine Wunschvorstellung, daß die Sätze der Kunst, damit mit ihnen eine Menschenmöglichkeit erscheinen kann, in genauer Unauffälligkeit vergehen sollten; man müßte sie erleben ohne den Impuls, sie sich merken zu wollen.)
Betreibt [er] nicht nur ein ständiges »tabula rasa« mit den abgelebten »topoi« des Trivialen, die er dabei doch weiterbenutzt (als hätten sie noch Mythenkraft)? Selten: der Mut zu einer andern, unerhörten Erfindung, weil eine solche, vor allem durch die Dauer, pathetisch wirken muß - jedenfalls Ansprüche macht (und solcherart lästig werden könnte).
[Sein] Grundkonzept demnach: die täglichen jammertal-Situationen, interessant und lustig gemacht durch ein, zwei, üblicherweise in diesen Situationen nicht vorkommende Details: bloße Phantasie-Pantomime durch Tischrücken mit typischen Situationen, bis sie als Slapstick gleichsam letztmals aufzucken - statt daß vielleicht eine Phantasie geduldig eben nicht den letzten Zuckungen nachgäbe, sondern unerhört alltägliche Situationen erfände, in denen wir (oft) lebenden Toten allesamt wiederauferstehen (mein Leserbekenntnis).
(...) Oder sind seine Travestien der Plastikmythen ein Widerstand? (Ich jedenfalls will diese Mythen, die nichts von mir mehr umgreifen, nicht einmal mehr travestiert sehen.)
Andrerseits (und das ist seine immer stärker werdende Kraft): Seine Durchbrüche manchmal durch die Ergebenheitsadressen an die definierte Welt: und dann doch wieder ein Sich-Aufspielen mit dem Ernst der Sekunde: »Wieder ein vehementer Text!« (stimmt schon), statt neue Gestalten in einer anderen Landschaft: wovon zu lesen mein Wunsch ist, seit meinem Menschengedenken.
So aber wird die eigne Person, indem nämlich Leben und Schreiben zu eins das andre betörenden Haltungen geraten, auch nur zu einer Art Parteibüro organisiert (wo Widerstand geduldet wird, aber nichts mehr in Frage gestellt). [Seine] Direktive für einen neuen Text: wieder eine Unorganisiertheit, gefälligst! (Gefällige Unorganisiertheit)
Dabei weiß er das meiste wirklich besser, er tut nicht nur so. Aber er tut auch so - und das macht seine Sachen oft nur schlau.
Er ist intelligenter als »wir« - und erniedrigt diese durchdringende (seine durchschauende) Intelligenz zu schön schnellen Sätzen, die sogleich mauern: sich rasch als bloße Haltung aufrichten - und solch eine Haltung, sage jetzt ich, ist beim Lesen kein Abenteuer - wenn sie auchanarchistische Schreibweise«) gerade Abenteuerliches suggeriert. Der Autor zu oft als sein eigener Kumpan (bei Schnaps, Bier und Bayern): das ist natürlich wieder schlau, aber auch ein Verrat. (...)
Im durchgehaltenen Ernst ist er groß; wäre er groß. Also Forderung nach dem Durchbruch des Missouri!
Als jemand, der schreibt, beneide ich ihn oft: für die Sätze im Schwarzen, aus dem Stand geschossen.
Als Leser gebe ich ihm manchmal verdrossen, in einem Aufblicken woandershin (auch nur in Bäume, auf eine Straße) gesammelter weiterlesend, unrecht: Und es handelt sich hier um Recht und Unrecht. Also habe vielleicht ich unrecht.
»Das Leben! Das Leben! Wie feierlich Sie reden! Zum Kotzensagte Kajetan.
»Zum Kotzen«, wiederholte ich unbeirrt..., »nun gut

Aus: Peter Handke, Das Ende des Flanierens, S. 101 ff.


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