Ich will eine Depression!
Die meisten Menschen wollen sie wieder los werden, wenn sie sie haben. Und genauso viele wünschen sich, nie eine zu bekommen: die Depression. Doch Saskia im langen blauen Kleid, mit großer Brille und auftoupierter Frisur wünscht sich nichts sehnlicher als in der emotionalen Achterbahn ganz unten stecken zu bleiben. Für solche Menschen wie Saskia gibt es - Gott sei dank - »Donnerstalk« im Prime Time Theater. In seiner wöchentlichen Talkshow spricht der holländische Showmaster Rudi van de Grachtenhoven (Foto) mit seinen Gästen über die wichtigen Themen des Lebens: Nach letzter Woche »Keiner fickt mich - Die Single-Show« heute nun »Ein bisschen Spaß muss sein - Die Depri-Show«.
Ausverkauft
Der Salon des Theaters ist bis auf den letzten Platz besetzt. Einige Gäste sind sogar aus einer Stadt in Norddeutschland angereist und covern hemmungslos die DonnersTalk-Band, die heute leider ausfällt. Nachdem der Showmaster »Ich bin Rudi van de Grachtenhoven, ich bin ihr Gastgeber und SIE sind meine Gäste!« ins Publikum geschmettert hat, trällern sie dreistimmig auf Handzeichen »Donnerstalk...« Ganz vorn in der ersten Reihe klatscht eine Frau in kurzem hellblauen Rock, mit einer riesigen Sonnenbrille und langen blonden Haaren besonders laut. Später wird sie auf der Bühne als Frau Doktor Jungfreud vorgestellt - dem ersten durch Genfusion im Reagenzglas hergestellten Menschen, aus den Genen von Sigmund Freud und Carl-Gustav Jung gezeugt. (Foto: Frau Doktor Jungfreud therapiert spontan Rudi van de Grachtenhoven)
Schnüffeln nach Depressionen
Doch zurück zu Saskia. Die Stammgäste - die DonnersTalk ohne Zweifel hat - kennen sie schon aus früheren Shows. Saskia war bereits »Gastin« (Zitat: Rudi) bei »Ich bin eine Randgruppe«. Schon damals stellte sich heraus, dass ihr leiblicher Vater Helmut Kohl, ihr Ziehvater Alkoholiker und ihr Freund bisexuell sei - aber auch dieses geballte Wissen bescherte Saskia nicht die ersehnte Depression. Deshalb wird - weil es ja live ist und außerdem wie im Fernsehen - ihr Freund Ronnie Horror auf die Bühne geholt: Sein Astralkörper (Zitat: Ronnie) - in den Schluchten der Karpaten geboren - steckt in einer schwarzen Lederjacke, hat lange schwarze Haare und einen ausgeprägten schwarzen Kajalstrich. In hastigen und offensiven Schnüffelattacken versucht er, die depressiven Gefühle von Rudi und Publikum einzusaugen. Er ist Künstler im Prenzlauer Berg, wo sich die Depressiven massenweise aus den Fenstern stürzen (Zitat: Saskia) und sammelt diese Gefühle in seinem großen Rohr (Zitat: Saskia). (Foto: Skurrile Typen in jeder Show: Das Medium Chloe sucht Klaus in »Keiner fickt mich« die perfekte Partnerin aus dem Publikum aus)
Ein Heiratsantrag mitten auf der Bühne und kurz darauf der abstoßende Satz »Ich will dich nie mehr sehen!« sollen Saskia LIVE in die Depression stürzen - was auch kurz funktioniert, jedoch dann in den glücklichen Ausruf »Ich bin depressiv! Danke, Ronnie, du machst mich so froh!« umkippt. Nun, Saskia werden wir wohl wiedersehen, vielleicht bei »Dem Glück entkommen - die Selbstmord-Show«.
Ohrfeige für Holländer
Dass Rudis Gäste sorgsam ausgewählt werden, zeigt sich nicht erst in der Prominenten-Runde. (Hier äußert sich Uschi Glas (Foto links) deprimiert darüber, dass sie statt Schauspielerin lieber Kosmetikerin sein würde.) Karoline - mit Igelfrisur, Haarspange und Zopf - ist eine multiple Persönlichkeit, findet Frau Doktor Jungfreud nach eingehender Analyse heraus. Urplötzlich verwandelt sie sich in den berlinernden Frank Neuwald aus Reinickendorf, der bei der Deutschen Bahn putzt, Motorrad fährt und die Klobrille immer oben lässt. Und dann wieder in die dreijährige Annika, die gern Ball spielt. Schuld sei, wie Doktor Jungfreud (Publikationen: »Das Ich und Wir im Sinne des Seins«, »Nihilismus für Anfänger«) entdeckt, eine Holland-Phobie bei Karoline: Zu viele Haschisch-Kekse und Wohnwagen hätten ihr im Kindesalter zu stark zugesetzt. (Publikation: »Die Niederländer, das Kokain und der Wohnwagen«). Da hilft nichts als schnurstracks mit dem Donnerstalk-Hubschrauber zur Therapie in die Privatklinik Frau Doktor Jungfreuds nach Konstanz geflogen zu werden - nicht ohne Verabschiedung an Rudi: »Du blöder Holländer!« Es setzt eine Ohrfeige.
Total gaga
»Total gaga«, findet Zuschauerin Regine Vogel, die im Wedding wohnt, das Ganze. Christa Ippach aus Essen findet es »nicht so abgekippt« - was immer das heißen mag - und die Schauspieler sehr gut. Keiner weiß, dass die Besetzung wie sie alle gesehen haben, erst am selben Morgen stand - da zwei Schauspieler krank geworden sind. Was in der Show am Donnerstag gezeigt wird, das wissen die Akteure sowieso erst am Montag derselben Woche. Dann setzen sie sich zusammen, tauschen Ideen aus, überlegen sich Kostüme, Rudi schreibt ein Konzept - und Donnerstag stehen sie auf der Bühne. Was bei der kommenden Show »Ich habe einen IQ in Berlin« passieren wird, ist deshalb nicht nur für das Publikum eine Überraschung. Nur eins bleibt immer gleich: »Ich zieh' die Perücke an, und dann bin ich Rudi«, sagt Peter Denlo alias Showmaster. - Bis zum Ende, wenn es heißt: »Ich bin Rudi van de Grachtenhove, ich war ihr Gastgeber und SIE meine Gäste!« (Foto: »Total gaga« auch bei »Keiner fickt mich«: Roma Adlon und Paris Hilton kämpfen um Forrest - den Mann auf allen Vieren)
Stand: 11.10.2005 Autor: Katrin Arnholz Fotos: Matthias von Hoff
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