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Mitteilung von rekonstruktion (24.4.2024 09:30:02):
eines gestohlenen Textes

zweiter anlauf

Bei meinem Spaziergang über den alten Friedhof, seit langem mal wieder, es war ein sonniger Frühlingstag und viele Kinder saßen auf Decken mit ihren Kindermädchen auf dem grünen Rasen und es war ein allgemeines Jauchzen und Lachen in der Luft

auf den Wegen und Plätzen wurden von Stadtarbeitern die Papierkörbe geleert, in fast geräuschlos fahrende neue Elektrofahrzeuge,

an den Bänken und Unterständen bei den ganz alten verfallenen Gräbern waren im gegensatz zu früher keinerlei Marihuanakippen zu finden, wahrscheinlich wird nun wo es „erlaubt“ ist mehr in der Wohnung geraucht, nun, wo man keine Denunziation durch den Nachbarn mehr zu fürchten braucht,

die zwei runden Unterstände, ein Dach, sechs Stabile Holzpfosten, halb geschlossen, in denen eine halbrunde Bank stand, da steht nun keine Bank mehr. es ist also nur noch ein Unterstand vor Regen und bietet keine Sitzgelegenheit mehr um im Regen sitzend sein Brot zu essen.

In diesen Unterständen waren auch besagte Kippen zu finden, nun ist alles sauber. Kinderlärm im Hintergrund nähere ich mich einem der Unterstände, will gerade einen Schritt näher in die halboffene Hütte machen, zwischen zwei der Pfosten hindurchlaufen, da wird mir eine Angelschnur gewahr. Eine von der Sorte die einen Mehrkilofisch aus dem wasser zu ziehen in der lage ist, eine stabile Nylonschnur. Die ist gespannt zwischen den zwei Holzpfosten in Stolperhöhe, etwa fünfzehn Zentimeter über dem Boden.

als ein an Kinderstreiche Gewöhnter, (auch ich hätte als Kind leicht auf eine solche idee kommen können) stelle ich mich dorthin und beginne die schnur abzuknoten, von weit hinten höre ich zwei Kinderstimmen laut rufen „nein nein“, ich reagiere nicht und entknote weiter. Ich wickele die Schnur auf, stecke sie in meinen Rucksack und gehe. Ich verlasse den alten Friedhof.

auf dem Weg nach unten Richtung Stadt erzähle ich die Geschichte mit der schnur einem etwa dreissigjährigen Mann mit großem Mops, der sagt „Sie haben alles richtig gemacht“, dem Buchhändler bei dem ich einen Scholl-Latour zu dreifünfzig kaufe und meinem Musikalienhändler.

Auf dem Weg vom Buchhändler zum Musikalienhändler komme ich an einer Neueröffnung in der langgasse vorbei die wirbt mit „kostenloser Sehtest“. ich denke, den hab ich grade hinter mir.

Beim Musikalienhändler erwerbe ich ein kleines heft von Kühnl mit der abstrakten zeichnung eines Kopfes in roter Farbe mit dem Titel Anverwandlung/ Doppelblick. ich erzähle dem Buchhändler von einer seltsamen Art die partitur zu sehen, das drei und vierzeilige lesen der partitur zu erleben, ich sagte, ich konnte das nie, dreizeilig lesen oder gar vierzeilig, aber plötzlich saß ich da und kam mir wie zweigeteilt vor, wie wenn ich der Länge nach halbiert mit zwei Blickrichtungen auf dem Klavierstuhl sitze und gleichzeitig sah ich alles Nötige in den Vier zeilen, ich sah es einfach und konnte alles seheh und lesen und es kam mir auch völlig natürlich und richtig vor.

Mein Musikalienhändler antwortet, das dauert lange bis man so sieht.

Ich war über diese Antwort noch im nachhinein glücklich. Anscheinend wußte er wovon ich spreche.