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Mitteilung von Höflich (22.6.2012 21:42:00):
>>>>Für Höflich

>>>>Ich glaube, daß Du Dich völlig überhebst mit dem Buch, auf das alle warten. Das fängt schon mit den Themata an. Da war vom Armeegeneral Kessler die Rede, und jetzt von Wirtschaftskapitänen, die schon lange nicht mehr Generaldirektor, sondern CEO heißen – aber sowas weiß Höflich ja nicht. Du schreibst – oder willst schreiben – von etwas, von dem Du nichts verstehst, nichts verstehen kannst. Denn Du hast Dich weder jemals theoretisch, noch praktisch mit dem Militärwesen beschäftigt, noch jemals einen Generaldirektor oder einen CEO auch nur aus weiter Ferne zu Gesicht bekommen – und auch theoretisch weißt Du nichts über diese Leute: wie sie leben, wie sie denken und empfinden. Man kann durchaus »phantastisch« schreiben – die ganze SF-Literatur ist ja phantastisch, kann ja nur phantastisch sein. Aber die Fähigkeit, Welten im Kopf zu bauen, wie sie Poe, Phillip K. Dick, Lem oder wie viele sagen: Tolkien (nie gelesen) zB hatten, ich glaube, die geht Dir ab. Das muß Dich aber nicht an der Schriftstellerei hindern – mein Lieblingsbelletristiker Arno Schmidt hat in seinem Umfangreichen Werk fast ausschließlich die kleine, ihm bekannte Welt von ein paar Dörfern in der Lüneburger Zentralheide beschrieben: wie dort gewandert, geackert, malocht, gefickt, gefurzt und geschissen wird. Seine Texte sind aber eben genau darum so plastisch !
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>>>>Ich meine auch, daß Du Dich sprachlich überhebst. Du hast eine Vorliebe zum expressionistischen Stil, und der ist, wie ich glaube, nur äusserst schwer zu beherrschen, ohne in den von mir unlängst inkriminierten barocken Schwulst abzugleiten. Um mit dem Spachtel die Ölfarbe pfundsweise auf die Leinwand zu klatschen, so daß die Leute Beifall klatschen – da muß man schon van Gogh heißen und 150 Jahre tot sein.
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>>>>Kunst ist, so hat das BVerfG mal in seiner berühmten Entscheidung zu Klaus Manns »Mephisto« geschrieben, sei der Ausdruck inneren Erlebens durch einen schöpferischen Gestaltungsakt. Das kann eine verlässliche Richtschnur sein: es beginnt nämlich beim inneren Erleben. Das innere Erleben ist stets nur ein Reflex des tatsächlich Erlebten. Deswegen erlaube ich mir, anheim zu stellen, bei der Thematik zu bleiben, die Dir geläufig ist. Und wenn es die Welt von Suchtkliniken und Destillen ist: Hans Fallada und Friedrich Glauser haben subtile Meisterwerke aus den Versatzstücken dieser Welt komponiert !
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>>>>Und ich wiederhole meinen Rat, Deinen Stil durch die Lektüre lapidar und völlig unprätentiös schreibender Autoren zu disziplinieren: Solche eben wie Highsmith, Simenon, Marlen Haushofer, Landolf Scherzer – um nur einige äusserst willkürlich zusammenzuraffen aus dem, was ich selbst unlängst mal wieder gelesen habe.
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>>>>Zur Kompositionstechnik schließlich empfehle ich allerwärmstens die Essays »Berechnungen I, II« meines Lieblings Arno Schmidt, in welchen er einen ungewöhnlich tiefen Blick in seine Arbeitstechnik gegeben hat, die so originell nun auch wieder nicht ist, wie seine Anbeter stehts zu himmeln pflegen – ich glaube vielmehr, daß seine Technik recht weit verbreitet ist. Nur daß er sie auch einmal theoretisch zu fassen versucht hat.
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>>>Schön, dass dich das Thema so bewegt. Aber ernsthaft, äh... Ich glaube du verkennst mich. Ich wollte nie von Armeegenerälen (von irgendwelchen 'Kesslers' schon gar nicht), noch von Wirtschaftskapitänen schreiben, und in den achtziger Jahren (das Handlung spielt ausschließlich im Spätsommer 1983) hießen die auch noch nicht CEOs – zumindest in Deutschland nicht. Das Passage die ich reingestellt habe hat das eben Zum Thema, aber das ist im Grunde nur der Hintergrund, Staffage. Und Arno Schmidt mochte ich noch nie. Der hat meiner Meinung nach gröbsten Schaden angerichtet, mit seiner ganzen Sprach-SpielerEI. Schrecklich...
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>>>"Deswegen erlaube ich mir, anheim zu stellen, bei der Thematik zu bleiben, die Dir geläufig ist."
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>>>Das ist ein großer Fehler. Deshalb sind die meisten deutschen Bücher der letzten 15 Jahre nur aufgearbeitete Beziehungskisten. Aber was solls.
>>>Nein, nein, ich höre damit nicht auf, ich mache das jetzt jeden Tag, zwei Stunden lang, an freien tagen länger, bei zwei bis drei Seiten am Tag bin ich, in hm... ca 100 habe ich schon, also in maximal hundert Tagen durch. So. Noch Fragen?
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>>>Mahlzeit!
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>>Ach ja, was ich ganz vergessen habe: es soll auch keine hohe Literatur werden, den Schuh ziehe ich mir nicht an. Die Leute sollen sich beim Lesen halt ein wenig wegschmeißen, das wars. So in der Art von '[Hauptfigur] sah in den Spiegel und schrie. Der Ziegelstein Gottes hatte all seine Aspirationen zunichte gemacht... Bonn wurde währenddessen von der untergehenden Sonne in ein zartes Rosa getaucht etc etc' Aus dem einfachen Grund, dass es natürlich nicht schlecht wäre, wenn man, hm... damit vielleicht ein wenig Knete klarmachen könnte, Kohle generieren...ja, das wäre verwegen...schon ein verwegener Gedanke... Das wäre nicht von dieser Welt, das wäre... göttlich! Ja, das wäre schon so ein Traum von mir. Da würde ich nicht nein sagen. Ach, das wäre schön...jaja.
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>Nunja – die Gegenwartsliteratur ist so eine Sache ... ich lese ohnehin sehr wenig Belletristik. Das einzige Büchlein, daß ich aus den letzten 15 Jahren in guter Erinnerung habe, war Sibylle Bergs »Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot« – die Alte ist rattenscharf !

Die sieht irgendwie krass aus. Das ist anscheinend so eine von den Frauen, die, vom Gesicht her, aussehen, als ob die sich zig mal unters Messer, Schönheitschirurgie begeben haben, aber die wohl komischerweise so geboren wurden.

http://www.de-cn.net/mmo/priv/8455405-STANDARD.jpg



>Ich bin da eher konservativ, und halte mich an diejenigen, die schon tot sind.


So. Ja, ich finde auch, dass die deutsche Gegenwartsliteratur spätestens seit den neunziger Jahren an einem ziemlich toten Punkt angekommen ist. Ich habe seit zwei Stunden jetzt vier Tage frei, saufe also wieder, deshalb fließen die Gedanken etwas freier, und deshalb fühle ich mich bemüßigt, hier mal ein paar Sachen hierzu anzumerken.

Das klingt jetzt abgeschmackt, aber ich habe wirklich den Eindruck, dass seit 1933 überhaupt keine Annehmbare deutsche Hochliteratur mehr aus unserem Land, der Bundesrepublik gekommen ist. Alles was deutschsprachig kam, kam entweder aus Österreich (Bernhard, Handke, Jelinek) oder der Schweiz (Frisch).

Z.B. wieder Arno Schmidt: ich kann das beim besten Willen nicht lesen, das ist meiner Meinung nach eine einzige Ansammlung von Herrenwitzen, gut abgedichtet, aber bis heute ein Modell für zahlreiche hochsubventioniert Literaten, die sich von Leuten wie Reinhard Jirgl bis Donald Duck. Momentan ist ja, spätesten seiz dieser Nullnummer, dem Foer (der zwei schreckliche Bücher und dann, mangels Inspiration, ein Lob des Vegtarismus verfasst hat und jetzt von dem Geld in einem townhouse in New York sitzt), der magische Ralismus in, wie z.b. der Kehlmann, der fast die ganze Architektur seines Megasellers aus Mason & Dixon (Pynchon) klaut, die direkte Rede durch indirekte Rede und den Überschwang durch ein paar eingeworfene Flunis ersetzt, um dann gefeiert zu werden wie der neue Jesus. Jesus! Gerade mit diesem unsäglichen Jesus habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen. Aber da will ich jetzt eher nicht darauf eingehen.

Aber anderes:

Beispielsweise der Amerikaner: der hat meiner Meinung nach den Vorteil eines rieseigen, sehr abwechslungsreichen Naturraums. Wenn da zum Beispiel jemand wie Jonathan Frantzen zwei fast identische Bücher schreibt, über sehr mondäne (im Sinne von engl. 'mundane', alltäglich) Probleme wie zum Beispiel innerfamiliäre und unterfamiliäre Verwerfungen, dann kann er das aufziehen vom mittleren Westen, wo meinetwegen diese endlosen Gras- und Weizenwüsten sind, bis in diese Städte an der Ostküste etc. Wenn dann der alternde Ingenieur ob seiner Kinder verzweifelt oder der liberale Politikberater ob seines eigenen Lebensentwurfs, dann hat das schon über den Effekt der Landschaft etwas ungleich heroischeres, als, sagen wir, wenn der pensionierte Lehrer aus Stuttgart von einer zerrütteten Ehe aus der Bahn zwischen Sindelfingen und Esslingen geworfen wird.

Das ist überhaupt, meiner Meinung nach ein großes Problem, dass es in der deutschen Literatur kaum heroische Sujets gibt. Damit meine ich gar nicht die große Tragödie, das kann durchaus alltäglich, geradezu stinklangweilig sein, es müsste nur ein wenig leuchten. Das tut es aber so gut wie nie, egal, ob Matratzenverkäufer in die DDR fliehen, Ehen in Phillipsburg scheitern oder russischdeutsche Einwanderer über ihre Identität nachsinnen oder Unternehmerssöhne in München oder Berlin auf diese und jene Party gehen und sich dann irgendwie leer fühlen. Na Mensch. Das ist alles von einer solch ungrandiosen Durchschnittlichkeit, dass es kaum auszuhalten ist. Dem geht jedes Kolorit ab. Jeder Humor auch. Bei mir, wenn ich z.B. nur einen Satz des Bernhard lese, wie er die 'Höllersche Dachkammer' preist, also die Dachkammer des Hans Höller, dann ist das in meinen Augen, also dann muss ich mich da wegschmeißen, das ist in gleichem Maße heroisch und lustig, witzig! 'Die Höllersche Dachkammer'! 'Der Kegel'! Ich könnte das feiern, bis zum Ende. Ich habe mal auf dem Klo einer Discothek, Jahre her, mit einem Edding auf die Tür geschrieben »Sie befinden sich jetzt in der Höllerschen Dachkammer...« Das fand ich unendlich witzig, ja ich habe mir vor Lachen auf die Schuhe erbrochen (was nicht mehr so witzig war, denn es gab kein Klopapier)... Naja, eigentlich ein blöder, ein geistloser Spruch.

Aber ich schweife ab. Ich finde ja, und das wollte ich sagen, dass der Bernhard der bundesdeutschen Literatur den Weg hätte weisen können, eigentlich hätte müssen! Denn der Weg der bundesdeutschen Literatur hätte, wenn man es genau nimmt, nach innen, also nach INNEN, führen müssen. Den Bernhard lesen, das ist ja im Grunde wie Kant lesen. So ein Verstand, der beständig nur um sich selbst kreist, aber dann auch wieder gerade dieser Absurdität dieser Denkbewegung gewahr wird, und diese dann als das erkennt, was sie ist: ein schlechter, wenn auch sehr unterhaltsamer Witz nämlich. Aber was haben die Bundesdeutschen daraus gemacht? Entweder ein Befindlichkeitskino, oder, wenn es ganz schlimm abgeht, eine Kinovorstellung aus der die Insassen nach dem Ende des Ganzen wie Verrückte die Freitreppe hinunterpoltern um sich mit einem Bier in der Hand gegenseitig auf die Schultern zu klopfen. Rainald Goetz war so einer, der nach einem passablen, epigonisch bernhardischem Erstlingsroman dann irgendwann als Mittvierziger nur noch als Kirmestechnokasper unterwegs war. Mitte vierzig, auf dem 'rave'... alter Schwede. Wovon DER seine Miete bezahlt, das möchte ich auch mal wissen... Da komme ich überhaupt auf so ein abschüssiges Gleis, einen Nebenstrang, der aber wohl nicht von allgemeinem Interesse ist, den ich aber jetzt doch: in dieser betrunkenen Stunde, ausbreiten will:

die 'Clubkultur'! Ein schreckliches Grauen. Ich male mir die so aus wie eine Art Vampir, der alles Leben aus den Leuten aussaugt, welche sich zu mindestens zweit oder dritt in deren Namen versammeln. Eine innere Vergnügungsmeile für zukünftige Unternehmensberater und , ah, ich mahne! Lasst mich mahnen! Ist es ein Wunder, dass es circa seit dem Ende der neunziger Jahre keine, im großen und ganzen, ich sage, hörenswerte Musik aus der Stadt Berlin gibt? International gibt es seit mindestens dem Jahr 2009 Blaupausen, so will ich mahnen, welche selbst dem Unverständigsten die Mittel an die Hand liefern, im Geiste des Jahres 1981 die göttliche Musik des no wave wieder aufleben zu lassen. Allein, überall klebt diese ganze Kacke wie Flüssigklebstoff drüber, erstickt alles in ihrem ballaballa und minimal und »wir feiern«. Nein, Freunde, Ihr sollt nicht feiern, ihr sollt euch eingedenk der Tragik des Lebens werden! Wir brauchen ein Mahnmal! Ich habe da, so denke ich in meinem Größenwahn, zumindest ein gutes solches abgegeben, als ich mitte letzten Monats zuckend zwischen den Stühlen der Café-Gäste zusammenbrach, bis mich der Krankenwagen aufsammelte. Das war eine wahrhaft heroische Stunde. Ich möchte sie nicht missen. (obwohl das dann noch ziemlich scheiße wurde, naja...)

Ave. (Ich glaube, ich bin vollkommen wahnsinnig geworden...)

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>Die Frage nach der Thematik möchte ich noch mit einem meiner Lieblingswitze illustrieren:
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>Wie fängt ein Mathematiker einen Löwen ?
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>Er schlägt einen ausreichend großen Einheitskreis, und guckt dann, ob der Löwe drinnen ist. Ist das nicht der Fall, stellt er sich selbst in den Einheitskreis, und spiegelt sodann das Kreisinnere an der Kreislinie nach aussen, und das Äussere an der Kreislinie nach innen. Dann ist der Löwe drinn im Kreis – und der Mathematiker draussen !
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>Um das Innere und Äussere an der Kreislinie spiegeln zu können, ist die Wahl der »Einheit« des Kreises von größter Wichtigkeit. Er kann zu groß sein oder zu klein. Hier beginnt das Bild natürlich zu hinken, weil der Radius eines Kreises ja nur eine einzige Dimension hat, während die Thematik eines Textes ja stets mehrdimensional ist, und die nichteuklidische Mathematik mir als logischem Simplizissimus stets verschlossen geblieben ist.