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Mitteilung von Die Leiche (19.6.2012 11:04:02):
>>>Für Höflich

>>>Ich glaube, daß Du Dich völlig überhebst mit dem Buch, auf das alle warten. Das fängt schon mit den Themata an. Da war vom Armeegeneral Kessler die Rede, und jetzt von Wirtschaftskapitänen, die schon lange nicht mehr Generaldirektor, sondern CEO heißen – aber sowas weiß Höflich ja nicht. Du schreibst – oder willst schreiben – von etwas, von dem Du nichts verstehst, nichts verstehen kannst. Denn Du hast Dich weder jemals theoretisch, noch praktisch mit dem Militärwesen beschäftigt, noch jemals einen Generaldirektor oder einen CEO auch nur aus weiter Ferne zu Gesicht bekommen – und auch theoretisch weißt Du nichts über diese Leute: wie sie leben, wie sie denken und empfinden. Man kann durchaus »phantastisch« schreiben – die ganze SF-Literatur ist ja phantastisch, kann ja nur phantastisch sein. Aber die Fähigkeit, Welten im Kopf zu bauen, wie sie Poe, Phillip K. Dick, Lem oder wie viele sagen: Tolkien (nie gelesen) zB hatten, ich glaube, die geht Dir ab. Das muß Dich aber nicht an der Schriftstellerei hindern – mein Lieblingsbelletristiker Arno Schmidt hat in seinem Umfangreichen Werk fast ausschließlich die kleine, ihm bekannte Welt von ein paar Dörfern in der Lüneburger Zentralheide beschrieben: wie dort gewandert, geackert, malocht, gefickt, gefurzt und geschissen wird. Seine Texte sind aber eben genau darum so plastisch !
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>>>Ich meine auch, daß Du Dich sprachlich überhebst. Du hast eine Vorliebe zum expressionistischen Stil, und der ist, wie ich glaube, nur äusserst schwer zu beherrschen, ohne in den von mir unlängst inkriminierten barocken Schwulst abzugleiten. Um mit dem Spachtel die Ölfarbe pfundsweise auf die Leinwand zu klatschen, so daß die Leute Beifall klatschen – da muß man schon van Gogh heißen und 150 Jahre tot sein.
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>>>Kunst ist, so hat das BVerfG mal in seiner berühmten Entscheidung zu Klaus Manns »Mephisto« geschrieben, sei der Ausdruck inneren Erlebens durch einen schöpferischen Gestaltungsakt. Das kann eine verlässliche Richtschnur sein: es beginnt nämlich beim inneren Erleben. Das innere Erleben ist stets nur ein Reflex des tatsächlich Erlebten. Deswegen erlaube ich mir, anheim zu stellen, bei der Thematik zu bleiben, die Dir geläufig ist. Und wenn es die Welt von Suchtkliniken und Destillen ist: Hans Fallada und Friedrich Glauser haben subtile Meisterwerke aus den Versatzstücken dieser Welt komponiert !
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>>>Und ich wiederhole meinen Rat, Deinen Stil durch die Lektüre lapidar und völlig unprätentiös schreibender Autoren zu disziplinieren: Solche eben wie Highsmith, Simenon, Marlen Haushofer, Landolf Scherzer – um nur einige äusserst willkürlich zusammenzuraffen aus dem, was ich selbst unlängst mal wieder gelesen habe.
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>>>Zur Kompositionstechnik schließlich empfehle ich allerwärmstens die Essays »Berechnungen I, II« meines Lieblings Arno Schmidt, in welchen er einen ungewöhnlich tiefen Blick in seine Arbeitstechnik gegeben hat, die so originell nun auch wieder nicht ist, wie seine Anbeter stehts zu himmeln pflegen – ich glaube vielmehr, daß seine Technik recht weit verbreitet ist. Nur daß er sie auch einmal theoretisch zu fassen versucht hat.
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>>Schön, dass dich das Thema so bewegt. Aber ernsthaft, äh... Ich glaube du verkennst mich. Ich wollte nie von Armeegenerälen (von irgendwelchen 'Kesslers' schon gar nicht), noch von Wirtschaftskapitänen schreiben, und in den achtziger Jahren (das Handlung spielt ausschließlich im Spätsommer 1983) hießen die auch noch nicht CEOs – zumindest in Deutschland nicht. Das Passage die ich reingestellt habe hat das eben Zum Thema, aber das ist im Grunde nur der Hintergrund, Staffage. Und Arno Schmidt mochte ich noch nie. Der hat meiner Meinung nach gröbsten Schaden angerichtet, mit seiner ganzen Sprach-SpielerEI. Schrecklich...
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>>"Deswegen erlaube ich mir, anheim zu stellen, bei der Thematik zu bleiben, die Dir geläufig ist."
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>>Das ist ein großer Fehler. Deshalb sind die meisten deutschen Bücher der letzten 15 Jahre nur aufgearbeitete Beziehungskisten. Aber was solls.
>>Nein, nein, ich höre damit nicht auf, ich mache das jetzt jeden Tag, zwei Stunden lang, an freien tagen länger, bei zwei bis drei Seiten am Tag bin ich, in hm... ca 100 habe ich schon, also in maximal hundert Tagen durch. So. Noch Fragen?
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>>Mahlzeit!
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>Ach ja, was ich ganz vergessen habe: es soll auch keine hohe Literatur werden, den Schuh ziehe ich mir nicht an. Die Leute sollen sich beim Lesen halt ein wenig wegschmeißen, das wars. So in der Art von '[Hauptfigur] sah in den Spiegel und schrie. Der Ziegelstein Gottes hatte all seine Aspirationen zunichte gemacht... Bonn wurde währenddessen von der untergehenden Sonne in ein zartes Rosa getaucht etc etc' Aus dem einfachen Grund, dass es natürlich nicht schlecht wäre, wenn man, hm... damit vielleicht ein wenig Knete klarmachen könnte, Kohle generieren...ja, das wäre verwegen...schon ein verwegener Gedanke... Das wäre nicht von dieser Welt, das wäre... göttlich! Ja, das wäre schon so ein Traum von mir. Da würde ich nicht nein sagen. Ach, das wäre schön...jaja.

Nunja – die Gegenwartsliteratur ist so eine Sache ... ich lese ohnehin sehr wenig Belletristik. Das einzige Büchlein, daß ich aus den letzten 15 Jahren in guter Erinnerung habe, war Sibylle Bergs »Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot« – die Alte ist rattenscharf ! Ich bin da eher konservativ, und halte mich an diejenigen, die schon tot sind.

Die Frage nach der Thematik möchte ich noch mit einem meiner Lieblingswitze illustrieren:

Wie fängt ein Mathematiker einen Löwen ?

Er schlägt einen ausreichend großen Einheitskreis, und guckt dann, ob der Löwe drinnen ist. Ist das nicht der Fall, stellt er sich selbst in den Einheitskreis, und spiegelt sodann das Kreisinnere an der Kreislinie nach aussen, und das Äussere an der Kreislinie nach innen. Dann ist der Löwe drinn im Kreis – und der Mathematiker draussen !

Um das Innere und Äussere an der Kreislinie spiegeln zu können, ist die Wahl der »Einheit« des Kreises von größter Wichtigkeit. Er kann zu groß sein oder zu klein. Hier beginnt das Bild natürlich zu hinken, weil der Radius eines Kreises ja nur eine einzige Dimension hat, während die Thematik eines Textes ja stets mehrdimensional ist, und die nichteuklidische Mathematik mir als logischem Simplizissimus stets verschlossen geblieben ist.