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Wer sich für Psychoanalyse interessiert, dem empfehle ich wärmstens Sigmund Freuds »Zur Psychopathologie des Alltagslebens«. Das ist ein ziemlich dickes Buch - über 300 Seiten in meiner TB-Ausgabe - aber wohl das lustigste Werk des Begründers der Psychoanalyse. Man kann es ohne weiteres im Bett, in der Bahn oder auf dem Klo lesen. Freud erklärt, warum wir immer wieder saudoofe kleine Fehler machen: unseren Schlüsselbund nicht finden, obwohl er genau auf seinem Platz liegt oder hängt, uns peinlich verschreiben oder versprechen (»Und so trinken wir nun alle auf das Wohl unseres sehr verkehrten Herrn Direktors!«), irgendwas vergessen, kaputtschmeissen usw. Es sind »kleine« Psychoanalysen, die idR nicht bis zum Kern des Pudels vordringen, aber nicht nur die Funktionsweise der Psychoanalyse illustrieren, sondern auch, wie sehr unser Alltagsleben von Einflüssen des unbewußten Teils unserer Psyche beeinflußt wird.
Ich erinnere mich noch gut an meine erste »kleine Analyse« in einem Psycho-Forum:
Eine Frau, die sich für »total normal« erklärte, hatte sich angemeldet in der Hoffnung auf Hilfe bei einem merkwürdigen Phänomen: »Wir haben ein neues Auto bekommen« - und mit diesem Auto einer ihr wohlvertrauten Marke unterliefen der routinierten, sicheren, jahrzehntelang unfallfreien Fahrerin en suite die peinlichsten Fehler: beim Einparken den Rückwärtsgang nicht reinkriegen, beim Ampelstart abwürgen, an der Zapfsäule den Tankdeckel nicht aufkriegen usw usw. Die Frau war sehr selbstbewußt, selbstironisch und der thread zog sich lustig über einige Seiten hin und dann kam Freno.
Es ist ganz einfach: eine Instanz im Unbewußten dieser Frau lehnt das Auto vehement ab. Für die Gründe habe ich nur fiktive Beispiele aufgeführt: etwa die Farbe, die an eine Person erinnert (Farbe von Haaren, Augen, bevorzugte Kleidungsfarbe usw), mit der man sehr unangenehme »verdrängte« Erfahrungen machen musste: sexuelle Belästigung, mobbing usw - aber vielleicht auch Umstände des Autokaufs, wie eine verletzende Äusserung des Verkäufers, ein Unterliegen in der internen Entscheidungsfindung über den Autokauf usw usw.
Das Ergebnis hat mich selbst überrascht: niemand schrieb mehr in diesem thread, auch jene Frau nicht mehr. Ich hatte vielleicht sogar zu tief ins Schwarze getroffen gehabt.
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