Soeben sehe ich von meinem Hinterstübchen etwas, was ich doch nicht für möglich gehalten hätte. Ein 5jähriger Knabe, Sohn des nebenan wohnenden Buchbinders, hatte in einer kleinen Boutike, die im Garten steht, ein Mädchen von etwa sechs Jahren auf den Arbeitstisch seines Vaters gelegt, ihr die Röcke aufgehoben, — natürlich mit ihrer Einwilligung, denn sie sträubte sich nicht im geringsten — sie völlig entblößt und betastete nun ihren Leib und ihre Geschlechtsteile. Dies dauerte wenigstens zwei Minuten, da wurde das Mädchen, durch das Fenster blinzelnd, mich gewahr. Nun huschte sie vom Tisch herunter, der Knabe trat heraus, aber nur, um die bis dahin offen gewesene Tür mittels eines Spatens, den er von außen vorsetzte, zuzumachen. Jetzt schlüpfte er wieder mit großer Behutsamkeit, damit der Spaten nicht umfalle, hinein, ich behielt die Boutike im Auge und es dauerte nicht lange, als die Tür wieder aufging, weil das Mädchen nun rücklings auf der Erde liegend, sie in einer Bewegung mit dem Kopf aufgestoßen hatte. Der Knabe kam wieder heraus, setzte den Spaten vor und schlüpfte abermals vorsichtig hinein. Jetzt blieb die Tür geraume Zeit zu, darauf erschien der Knabe wieder, das Mädchen aber, zu meinem Fenster hinaufspähend, wagte sich nicht heraus, sondern kuckte nur von Zeit zu Zeit um die Ecke, ohne Zweifel, weil sie die Verführerin war und ein Bewusstsein für die Sache hatte, das dem Knaben noch abzugehen schien.
Friedrich Hebbel, Tagebucheintrag vom 22. Juni 1843
|