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voice recorder schrieb am 22.1. 2003 um 17:38:14 Uhr über

analphabeten

1973 begann die peruanische Revolutionsregierung ein Alphabetisierungsprojekt (ALFIN), mit dem Ziel, innerhalb von etwa vier Jahren das Analphabetentum zu überwinden. Man schätzt die Zahl der Analphabeten und Halbanalphabeten in Peru auf drei bis vier Millionen - bei einer Bevölkerung von I4 Millionen.
Einem Erwachsenen Lesen und Schreiben beizubringen ist heikel und schwierig. In Peru ist es vielleicht noch schwieriger, denkt man an die vielen Sprachen und Dialekte. Allein die beiden wichtigsten Eingeborenensprachen Quechua und Aymarä haben 4i Dialekte. Untersuchungen in der Provinz Loreto in Nordperu entdeckten 45 verschiedene Sprachen (nicht Dialekte), und das in der vielleicht am dünnsten besiedelten Provinz Perus.
Analphabeten sind nicht Menschen, »die sich nicht ausdrucken können«. Sie können sich lediglich in einer bestimmten Sprache nicht hinreichend ausdrucken, in diesem Fall in Spanisch. Alle g ' esprochenen Sprachen sind Sprache, aber nicht alle Sprachen sind gesprochene Sprache.
Die Beherrschung einer neuen Sprache eröffnet eine neue Chance, Wirklichkeit zu erfahren und anderen diese Erfahrung mitzuteilen. jede S rache ist unersetzlich. Alle Sprachen ergän-
zen s in der Erfahrung der Wirklichkeit. Von

dieser g man beim Projekt ALFIN aus:

n der Muttersprache und in Spanisch, ohne

zugunsten der zweiten Sprache auf die erste zu verzichten.
2. Alphabetisieren in allen anderen Sprachen. Theater, Marionettentheater, Fotografie, Film, Zeitung.
Die Alphabetisierer stammten jeweils aus den Gegenden, in

denen das Projekt verwirklicht werden sollte: Stadtrandzonen und Slums, Dörfer, Bergarbeitersiedlungen, Gebiete, wo nicht Spanisch als Muttersprache gesprochen wird. Hier leben 4o% der Bevölkerung, davon ist die Hälfte zweisprachig, mit Spanisch als Zweitsprache. Die anderen 20% sprechen kein Spanisch.
Hier geht es mir darum, von meiner Mitarbeit am Projekt ALFIN auf dem Gebiet des Theaters zu berichten und die Experimente und Erfahrungen zu beschreiben, die wir dabei machten. Wir gingen davon aus, daß Theater eine Sprache ist, die von jedem verwendet werden kann, unabhängig davon, ob er künstierische Fähigkeiten besitzt oder nicht. Ich möchte an praktischen Beispielen zeigen, wie das Theater in den Dienst der Unterdrückten gestellt werden kann, damit sie sich ausdrucken

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lernen und damit sie mittels dieser neuen Sprache zugleich neue
Inhalte entdecke,.
Um diese Poetik der Unterdrückten richtig zu verstehen, muß man ihr Hauptziel vor Augen haben: das Volk, den Zuschauer, das passive Wesen im Theater zum Subjekt zu machen, zum Akteur, zum Veränderer der dramatischen Handlung. Aristoteles begründete eine Poetik, in der der Zuschauer eine Figur ermächtigt, für ihn zu denken und zu handeln. Bei Brecht ermächtigt der Zuschauer eine Figur, stellvertretend für ihn zu handeln; das Recht zu denken behält er sich selbst vor, oftmals im Gegensatz zur Figur. Im ersten Fall wird »Katharsis« erzeugt, im zweiten Fall ein Bewußtwerdungsprozeß eingeleitet. Die Poetik der Unterdrückten will die Handlung selbst. Der Zuschauer ermächtigt keine Figur, stellvertretend für ihn zu denken noch für ihn zu handeln, im Gegenteil, er selbst übernimmt eine Hauptrolle, verwandelt die anfänglich vorgegebene dramatische Handlung, probiert mögliche Lösungen, diskutiert Veränderungsmöglichkeiten. Kurz, der Zuschauer probt die wirkliche Handlung. Deshalb meine ich auch, daß Theater zwar nicht in sich selbst revolutionär ist; mit Sicherheit jedoch ist es »Probe« zur Revolution. Der befreite Zuschauer, der ganze Mensch, beginnt zu handeln! Unwichtig, daß es in der Fiktion geschieht; wichtig

allein ist, daß er handelt.

Alle wirklich revolutionären Theatergruppen sollten dem Volk die Produktionsmittel des Theaters übereignen. Das Theater ist eine Waffe - handhaben muß sie das Volk, auf seine Weise und zu seinen Zwecken.
Was Estela Lifiares im ALFIN mit dem Fotografieren bewerkstelligt hat, ist beispielhaft für diese Übereignung. Wie würde das Fotografieren in einem Alphabetisierungsprojekt normalerweise eingesetzt werden? Zweifellos hieße das, Gegenstände fotografieren, Straßen, Häuser, Landschaften, Märkte. Man würde den Alphabetisanden die Fotos zeigen und sie gemeinsam besprechen. Fotografieren würden selbstverständlich die Alphabetisierer, die Lehrer. Bei ALFIN hingegen gab man den Teilnehmern einen Fotoapparat in die Hand und zeigte ihnen, wie er funktioniert. »Wir stellen euch Fragen auf spanisch und ihr antwortet mit Fotos. Das heißt, ihr sprecht @Fotografie<.« Es wurden ganz einfache Fragen gestellt, die Antworten, d. h. die Fotos, hinterher mit der Gruppe besprochen. Auf die Frage: »Wo lebst du

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