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wuming schrieb am 23.4. 2003 um 00:48:45 Uhr über

Trümmer








Normative Trümmer und solche aus Stein

Goedart Palm 19.04.2003

Enzensberger, Habermas und der Irak-Krieg: Zum komplexen Geflecht von
Macht, Moral und Recht

Jürgen Habermas und Hans Magnus Enzensberger, beide ausgewiesen als
langjährige Oberbescheidwisser und Letzterklärer des Weltgeschehens, haben in der
FAZ (Printausgabe vom 16. bzw. 17. April) den Irak-Krieg essayistisch
nachbearbeitet. Die Ergebnisse sind so kontrovers wie paradigmatisch. Enzensberger
verglich bereits anlässlich des ersten amerikanischen Golfkriegs Saddam Hussein mit
Adolf Hitler. Die militärische Demontage des Tyrannen aus Bagdad ist folglich ein
Freiheitsakt, der ihn mit moralischer Genugtuung erfüllt - wie immer, wenn
Tyrannen fallen.




Enzensberger erinnert an die Befreiung der Deutschen durch die Alliierten, die auch einen
Krieg legitimiert hätte. Dagegen konstatiert er ein »Blamage der Warner und Mahner«,
deren Befürchtungen sich allesamt nicht bestätigt hätten. Ein Krieg von dieser Dimension
habe noch nie so wenige Opfer gefordert wie dieser. So wie sich auch Bush höchst
befriedigt zeigte, dass sich Tyrannen zukünftig nicht mehr hinter unschuldigen Zivilisten
verstecken könnten, glaubt auch Enzensberger an den Krieg als humanitäres Nullmedium,
zumindest soweit es um die Zahl der Opfer geht. Ende gut, alles gut?
Schriftsteller-Kollege Julian Barnes sieht das anders: This war was
not worth a child's finger.




»Die normative Autorität Amerikas liegt in Trümmern«

Für den Vater des herrschaftsfreien Diskurses Jürgen Habermas verläuft die Frontlinie
dagegen woanders. Zwar respektiert er das moralische Gefühl, das sich nun bei
Freiheitsfreunden einstellt, eine Menschheitsgeißel entsorgt zu haben. Der
völkerrechtswidrige Krieg ( Der Wille zum Krieg triumphiert über das
Recht) legitimiere sich dadurch aber längst nicht. Habermas verweist vor allem auf die
Selbstwidersprüche eines Freiheitsprogramms, das verordnet wird.

Für den in den USA hoch angesehenen Chefdenker aus Frankfurt widerspricht der
universalistische Kern der Menschenrechte gerade ihrer imperialen unilateralistischen
Durchsetzung. Freiheit und Recht sind keine Exportgüter, sondern entfalten sich erst in der
Selbstbestimmung von Gesellschaften. »Befreiung« verlängert sich danach nicht
automatisch zu gesellschaftlicher Freiheit und echter Demokratisierung. Der
Freiheitsgebrauch sei einzubetten in die konkreten kulturellen Lebensumstände einer
Gesellschaft. Zu Recht stellt Habermas daher die provokative Frage, wie die USA denn
auf einen Freiheitsgebrauch reagieren würden, der sich gegen die Freundschaft und
Kooperation mit den Vereinigten Staaten richtet. Wie oft können Gesellschaften
zwangsbefreit werden, bis sie so frei sind, dass die Befreier zufrieden sind? George W.
Bushs Antwort darauf möchte man eher nicht einholen.

Das habermasianische Modell der Freiheit als Selbstbestimmung ist nicht allzu weit von
der - vormals von Bush Senior und vielen Amerikanern geteilten -Hoffnung nach dem
ersten US-Golfkrieg entfernt ( Der Angriff der Klonkrieger), die Irakis
würden das fallende Regime von Saddam Hussein endgültig stürzen. Die Austreibung des
Tyrannen im heiligen Volkszorn blieb aus, nicht zuletzt weil die Aufstände gegen das
Regime von den USA nicht unterstützt wurden. Vor einigen Tagen dagegen stürzte Saddam
Hussein zeitgleich sowohl als Monumentalstatue wie als realer Machthaber. Zum Symbol
irakischer Freiheit wurde die medienwirksam inszenierte Demontage eines
Führer-Denkmals - aber eben auch diese Abstrafung in effigie war nur unter tatkräftiger
Mithilfe der US-Army möglich. Das sind indes nicht die einzigen Trümmer der "Operation
Iraqi Freedom». Nach Habermas dürfen wir uns nichts vormachen: «Die normative
Autorität Amerikas liegt in Trümmern."

Nun erklärt Habermas aber auch nicht, ob das für die unilaterale Machtpolitik Bushs mehr
als eine marginale Ruine ist oder sich negativ auf Amerikas zukünftige Hegemonialträume
von einer Welt freier Gesellschaften auswirken wird, in der alle Wege des Öls nach Rom
führen. Für Habermas gibt es zur kosmopolitischen Fortentwicklung eines Völkerrechts
keine Alternative. Doch hat Amerikas selbstgewisser Pragmatismus im Umgang mit
fremder Freiheit nicht gerade die schlagfertige Alternative zur durchsetzungsschwachen
UNO demonstriert?

Die Machtlogik der gegenwärtig unbezwingbaren US-Armada, die mit einem
beispiellosen Blitz-Sieg belohnt wurde, spricht vordergründig dafür, dass die normativ
beschädigte Autorität Amerikas das geringste Problem der neokonservativen
Globalkrieger ist, wenn es jetzt um »nation-building«, Demokratie, Freiheit und eine
Großtankstelle mit Discount-Preisen geht. Hat Hans Magnus Enzensberger Recht, dass die
Freiheit mitunter einen kräftigen Anstoß von außen benötigt, um sich schließlich
mustergültig zu entfalten? Oder sollte Bushs Freiheitstour durch die autoritär beherrschten
Länder des Nahen wie Mittleren Ostens nur ein Intermezzo sein, bis nach Chaos und
Bürgerkrieg neue orientalische Despoten die obrigkeitshörige Mentalität ihrer Landsleute
wieder erfolgreich ausnutzen?

Der Kampf zwischen Recht und Macht ist noch nicht zugunsten der
USA entschieden

Historische Belege sind zumeist nicht mehr als fragiler Legitimationsstoff und
Glaubensangelegenheit für die Gegenwärtigen. Weder ist der Regionalpotentat Saddam
Hussein mit dem Weltherrschaftträumer Hitler zu vergleichen, noch sind die
gesellschaftlichen Konturen im Nachkriegs-Deutschland denen des ethnisch und religiös
heterogen strukturierten Iraks auch nur annäherungsweise ähnlich. Muss nicht die
universalistische Freiheitsmoral, die Enzensberger gegen die Tyrannen der Welt ins Feld
führt, gegenüber den Besonderheiten von Land und Leuten kapitulieren? Der Blick nach
Kabul bleibt trübe. Enzensberger spricht von der »Resozialisierung ganzer Völker«, als
handele es sich um einen historisch zwangsläufigen Prozess, der nicht schließlich auf den
Haupt- und Nebenwegen der Weltgeschichte auch wieder in Rebarbarisierung und neuen
Katastrophen enden könnte.

Selbst wenn nach Krieg, Satz und Sieg die Gesellschaften des Westens mit Bushs
Selbstermächtigung als UNO-Treuhänder gegenwärtig weniger hadern mögen, bleibt die
Logik seines Unternehmens - auch an den eigenen Prämissen gemessen - höchst
fragwürdig. Rückhaltloser Machtgebrauch verbraucht sich schließlich selbst und ist
gefährdet, an seinen eigenen Widersprüchen zu kollabieren. Sowohl die innenpolitischen
Verschärfungen in den Heimatländern der Demokratie, vor allem in den USA, und die
oktroyierte Freiheit für die islamische Welt könnten explosiver sein als die flüchtigen
Massenvernichtungswaffen.

Stößt Amerikas Präventionskriegsdoktrin ( Zur neuen Präventionsmoral
alter Krieger) schließlich an die "Grenzen der eigenen Organisationsfähigkeiten und
Ressourcen" (Jürgen Habermas), wenn sie nicht bald wieder gegen zivile
Verständigungsweisen und demokratische Koordinationsformen ausgetauscht wird?
Immerhin belegt Bushs gegenwärtiger Ruf nach der UNO, die Sanktionen gegen den Irak
aufzuheben, dass die Falken den »Debattierzirkel« nicht völlig aus ihren Überlegungen
ausblenden können. Zwar geht es wie immer um das Öl, aber eben mit der Nebenfolge,
dass die Vereinten Nationen wenigstens mittelbar wieder aufgewertet werden.

Auch der gegenwärtige Umgang mit Nord-Korea belegt, dass selbst die
Bush-Administration jenseits der Kriegspolitik politische wie diplomatische Lösungen
noch kennt. Vor allem aber die erregten und längst nicht erledigten Diskussionen zum
Irak-Krieges machen klar, dass der Diskurs über die Völkerrechtswidrigkeit eines Krieges
so vehement wie vielleicht nie zuvor geführt wurde. Auch wenn das Völkerrecht vorläufig
eine empfindliche Niederlage erlitten hat, ist damit der Kampf zwischen Recht und Macht
längst nicht entschieden. Diese Alternative könnte ohnehin zu kurz gegriffen sein, weil
auch das Recht eine Machtform ist so wie die Macht historisch immer auf ihre rechtliche
Einhegung gestoßen ist.

Die von Enzensberger und Habermas aufgeworfenen Fragen, die brennpunktartig die
teilweise verunsicherten Fronten von Kriegsgegnern und -befürwortern nachbelichten,
werden erst in der weiteren Geschichte beantwortet werden. Macht und Recht bleiben
weiterhin innig verbundene Mitbewerber in der Gestaltung zukünftiger Gesellschaften.
Gerade die Entwertung fremder Souveränität, die historisch noch nie so explizit formuliert
und praktiziert wurde wie in Bushs Doktrin des amerikanischen
Internationalismus, könnte die Entwicklung eines stärkeren Völkerrechts fördern. Denn der
laute Ruf nach der schwachen UNO artikuliert die Furcht vor einer
ausgreifenden US-Hegemonialstrategie, die Souveränität von Nationalstaaten höchst
gering zu achten.

So könnten Bushs globale Freiheitsmissionen im eigenen nationalen Interesse gerade neue
transnationale Achsen, ein stärkeres politisches Europa und langfristig
auch eine mächtigere UNO fördern. Im Aberwitz der Geschichte verstecken sich mitunter
Logiken, denen auch die jeweiligen Herren der Welt unterworfen sind, so wenig
historische Momentaufnahmen das vermitteln mögen.






























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last modified: 18.04.2003
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