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Bettina Beispiel schrieb am 27.11. 2002 um 22:40:02 Uhr über

waswürdestdumiteinermillionmachen

Klaus Hurrelmann, Universität Bielefeld

Legale und illegale Drogen - Wie kann ihr Missbrauch verhindert werden?

Der Konsum von psychoaktiven Substanzen ist in unserem Kulturkreis seit Generationen stark verbreitet. Legale Substanzen, wie sie in Arzneimitteln, Zigaretten und in alkoholischen Getränken enthalten sind, werden oft schon vor Eintritt in die Jugendphase konsumiert. Die legalen psychoaktiven Substanzen scheinen in dieser Umbruchphase des Lebensalters, die durch die körperliche Geschlechtsreife und die seelisch-psychische Identitätssuche charakterisiert ist, eine hohe Attraktivität zu besitzen, weil sie geeignet sind, den schwierigen Umordnungsprozess mit seinen körperlichen, psychischen und sozialen Unsicherheiten und Aufbruchperspektiven zu begleiten.

Die wachsende Bedeutung der illegalen Substanzen

In den letzten vier Jahrzehnten hat sich die Angebotspalette der psychoaktiven Substanzen erheblich erweitert. Neben den legalen, in unserem Kulturkreis meist schon seit Jahrhunderten verbreiteten Substanzen treten immer mehr neue Substanzen, von denen die meisten ursprünglich einmal als Arzneimittel auf der Basis künstlich hergestellter oder natürlicher Rohstoffe entwickelt worden sind. Fast alle diese Substanzen sind in den westlichen Industrieländern von den Gesetzgebern als illegal eingestuft worden, sie dürfen also nicht wie die legalen Substanzen frei gehandelt und verkauft werden.

Eine besonders starke Verbreitung mit kräftigen Zuwachszahlen haben in den letzten drei Jahrzehnten vor allem die Produkte auf der Basis von Cannabis (Haschisch, Marihuana) und auf der Basis von Amphetaminen (Ecstasy, Speed) erreicht, aber auch der Konsum von Substanzen aus den Gruppen Heroin und Kokain gewann ein beträchtliches Ausmaß. Im Unterschied zu den legalen Drogen Tabak und Alkohol ist die Forschung noch nicht so weit, das Abhängigkeitspotential von Cannabis und Amphetaminen genau zu beschreiben. Es besteht Unsicherheit darüber, welche Wirkungen auf Körper und Psyche diese Substanzen tatsächlich haben und ob und wie sie zu körperlicher und psychischer Abhängigkeit führen können.

Aus den Untersuchungen über Konsummuster lässt sich deutlich ablesen: Wer zu den illegalen Alltagsdrogen Cannabis und Ecstasy greift, der hat meist zuvor sehr intensiv die legalen Alltagsdrogen Arzneimittel mit psychotropen Wirkstoffen, Tabak oder Alkohol konsumiert. Und: Wer die illegalen Alltagsdrogen Cannabis und Ecstasy regelmäßig nutzt, der gehört mit hoher Wahrscheinlichkeit zu denen, die anschließend Substanzen wie etwa LSD, Opiate, Heroin oder Kokain nutzt. Bei diesen illegalen psychoaktiven Substanzen kann kein Zweifel bestehen, dass sie bei regelmäßiger und intensiver Nutzung für die körperliche und psychische Gesundheit riskant oder schädlich sind und ein erhebliches Abhängigkeitspotential in sich bergen.

Drogenkonsum als Selbstmanipulation

Nicht nur im Jugendalter, sondern in jedem Lebensabschnitt sind in unserem Kulturkreis psychoaktive Substanzen in die Lebensbewältigung und der Herstellung der Gesundheitsbalance einbezogen. Verstehen wir Gesundheit als die produktive, immer wieder erneut betriebene Lebensbewältigung, dann besteht sie aus der Balance zwischen den inneren körperlichen und psychischen Bedingungen (Veranlagung, Temperament, Anforderungen des Körpers, psychische Bedürfnisse und Antriebe, Selbstwertgefühl) und den äußeren Lebensbedingungen der sozialen und natürlichen Umwelt (Familie, Freundschaftsgruppe, schulische, Situation, Arbeitssituation, Wohnumwelt, ökologische Lebensbedingungen). Jeder Mensch bemüht sich in jeder Lebensphase darum, die Gesundheitsbalance herzustellen, also die Risikofaktoren im körperlich-psychischen und im sozial-ökologischen Bereich zurückzudrängen und individuelle und soziale Schutzfaktoren aufzubauen, um eine produktive Lebensbewältigung herzustellen (Hurrelmann 2000).

Psychoaktive Substanzen sind seit Menschengedenken in diese Balance einbezogen: Der Tabak- und Alkoholkonsum hat die subjektive Logik, die Gesundheitsbalance zu befördern. Die psychoaktiven Substanzen wirken als stimulierende und/oder beruhigende Mittel, um die psychischen Bewältigungskapazitäten zu stärken und einen Schutz gegen die Risikofaktoren von Innen und von Außen aufzubauen. Alle diese Substanzen haben zugleich aber ein hohes Gefährdungspotential für die Gesundheit. Sie selbst sind Risikofaktoren im körperlichen und psychischen Bereich, denn bei regelmäßigem Gebrauch kann es zu einer Abhängigkeit kommen.

Psychoaktive Substanzen, also legale und die illegale Drogen dienen dem Konsumenten alsMedium" bei der Herstellung der Gesundheitsbalance. Die Eigenschaft der psychoaktiven Substanzen, direkt auf das zentrale Nervensystem zu wirken und dabei willentliche Steuerungsprozesse auszuschalten, wird hierbei vom Konsumenten instrumentell genutzt. Die Substanzen haben je nach stofflicher Zusammensetzung und Kontext der Nutzung die Funktion der Stimulation, der Beruhigung oder der Dämpfung, entweder um eine interessante Erfahrung und ein starkes Sinneserlebnis zu befördern oder auch, um eine subjektiv unerträgliche Situation nicht mehr in ihrer ganzen Tragweite wahrnehmen zu müssen. Der Drogenkonsum dient subjektiv dem Bestreben eines Menschen, mit der eigenen Lebenssituation umzugehen (Hurrelmann und Bründel 1997).

Diese Mechanismen wirken im Jugendalter besonders intensiv, weil in der Pubertät - die heute bei den meisten Mädchen zwischen 11 und 12 und bei den meisten Jungen zwischen 12 und 13 Jahren eintritt - eine hohe Sensibilität für innere und äußere Impulse der Lebensgestaltung vorherrscht. Wie unsere Untersuchungen zeigen, werden sowohl die legalen als auch die illegalen Substanzen von Jugendlichen hauptsächlich als Hilfsmittel für die Lebensgestaltung und die Lebensbewältigung eingesetzt. Die illegalen Substanzen erweitern die Ausdrucksmöglichkeiten über das Spektrum hinaus, das mit den legalen Substanzen schon seit Jahrzehnten gegeben ist (Freitag und Hurrelmann 1999).

Kommt es zu einer intensiven gewohnheitsmäßigen Nutzung von Drogen, dann ist das meist ein Zeichen dafür, dass die spontanen Fähigkeiten und Kompetenzen der Lebensgestaltung und Lebensbewältigung zurückgedrängt und nicht etwa, wie es sich der Konsument wünscht, gestärkt und gekräftigt werden. Der Konsument bewältigt seine alltäglichen Entwicklungsaufgaben nicht mehr ohne die psychoaktive Substanz. Er benötigt für Lebensfreude, Kreativität und Konzentration den Stoff, der Gebrauch der Substanz ist in einen Missbrauch umgeschlagen. Das stoffliche Abhängigkeitspotential der Substanzen fordert nun ebenso seinen Tribut wie das psychische Abhängigkeitspotential, das in den Nutzungsmustern liegt.



Entwicklungsaufgaben und Drogengebrauch

Fast alle legalen und illegalen psychoaktiven Substanzen werden zum ersten Mal im Lebens- abschnittJugend" konsumiert. Eine Ausnahme bilden die Arzneimittel mit psychoaktiven Elementen, deren Erstkonsum bereits im Kindesalter stattfindet.

Die Jugendphase ist ganz offensichtlich durch Veränderungen des Hormonhaushaltes, des Körperbaus und durch das Selbstständigkeits- und Unabhängigkeitsstreben mit den damit verbundenen psychischen Unsicherheiten anfällig für den Versuch, über psychoaktive Substanzen eine Manipulation der Befindlichkeit herbeizuführen. Als die zentralen Entwicklungsaufgaben in dieser Lebensspanne werden in der Fachliteratur genannt: Ablösung von den Eltern, Hinwendung zur Gleichaltrigengruppe, Aufbau einer Beziehung mit erotischer und sexueller Komponente in der Regel zum anderen Geschlecht (im Ausnahmefall aber auch zum gleichen Geschlecht), Aufbau eines eigenen Wert- und Orientierungssystems, Entwicklung der Schul- und Berufskarriere. Auch die Entwicklung von selbständigen Konsummustern gehört zu den Entwicklungsaufgaben im Jugendalter, nicht nur von Mustern des Konsums psychoaktiver Substanzen, sondern auch anderer Waren und Dienstleistungen des kommerziellen Marktes (Hurrelmann 1998). Jugendliche müssen in jeder Hinsicht die Fähigkeit und Kompetenz entwickeln, mit vielfältigen und verlockenden Angeboten souverän umgehen zu können. Und sie müssen alle Entwicklungsaufgaben so miteinander verbinden, dass eine Identität dabei entsteht, die auf einem stabilen Selbstwertgefühl beruht (Hurrelmann 1998).

Es liegt nahe, dass in dieser schwierigen Phase Belastungen und Überforderungen auftreten können, die zu körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen führen. Konflikte mit den Eltern, enttäuschende erotische Kontakte, Sinn- und Orientierungskrisen, Versagenserlebnisse in der Schule, Nichtanerkennung im Freundeskreis, Verunsicherungen im Konsumverhalten - in allen diesen Bereichen kann es zu einer Überforderung der Kapazitäten der Lebensbewältigung kommen. Der Gebrauch von psychoaktiven Substanzen liegt jetzt nahe, die heute leichte und fast unbegrenzte Verfügbarkeit von legalen und illegalen Substanzen ist verlockend, das scheinbar so hilfreiche Angebot für die Stabilisierung der Gesundheitsbalance wird deswegen gerne ergriffen (Silbereisen 1995).

Legale und illegale Substanzen haben dabei in der öffentlichen Wahrnehmung einen unterschiedlichen Stellenwert. Die meisten Erwachsenen halten es für völlig selbstverständlich, wenn

Jugendliche zu Zigaretten und Alkohol greifen, teilweise sehen sie hierin einen notwendigen und ausweichlichen Schritt, um dem Erwachsenenstatus näher zu kommen. Der erste Schluck Alkohol wird mit wohlwollender Billigung der Erwachsenen konsumiert, der erste Zug an der Zigarette gilt heute sowohl bei Jungen als auch bei Mädchen ab zehn Jahren als eine notwendige Bewährungsprobe und ein Mittel der Demonstration eines selbstständigen Lebensstils. Auch Rauscherfahrungen mit Alkohol finden durchaus Anerkennung und Bewunderung, zumindest in der Clique der männlichen Gleichaltrigen; sie vermitteln ein Gefühl von Macht und Stärke und sorgen für eine enge Bindung an die Clique.

Kurz: Der Konsum der legalen Drogen Tabak und Alkohol gilt als normal für die Entwicklung im Jugendalter und wird in unserem Kulturkreis mehr oder weniger direkt unterstützt. Ähnliches gilt für Arzneimittel. Von jedem Jugendlichen und jeder Jugendlichen wird die gedankliche und handelnde Auseinandersetzung mit den legalen Drogen erwartet und es wird gefordert, jeder habe für sich die Form des Umgangs zu finden, die für die eigene Gesundheitsbalance angemessen ist.

Psychologisch sind die legalen psychoaktiven Substanzen als ein Medium der Realitätsverarbeitung und der Bewältigung der Lebensanforderungen von großer Bedeutung, soziologisch gesehen werden sie in unserem Kulturkreis als geradezu angepasstes Verhalten bewertet. In der öffentlichen Wahrnehmung hat sich eine duldende bis befürwortende Einstellung den legalen Alltagsdrogen gegenüber entwickelt, obwohl deutlich ist, wie riskant gerade in der Periode intensiver körperlicher und psychischer Entwicklung des Jugendalters die Manipulation der Befindlichkeit durch psychoaktive Substanzen nach objektiven medizinischen, physiologischen und psychischen Kriterien ist.

Bei den illegalen Alltagsdrogen gibt es eine solche libertäre Einstellung in der Öffentlichkeit nicht. Die Konsumenten von Cannabis- und Amphetaminprodukten können keinesfalls mit derselben Akzeptanz ihres Verhaltens rechnen wie die Konsumenten von Tabak und Alkohol. Völlig unabhängig von Wirkungsgrad und Wirkungsweise der zugrunde liegenden Stoffe werden die illegalen Substanzen als Symptom für soziale Abweichung, psychische Krisen und gesundheitsgefährdendes Verhalten bewertet und sehr kritisch beurteilt. Der Umgang mit diesen illegalen Substanzen gilt für die Entwicklung im Jugendalter als prekär. Den Konsumentinnen und Konsumenten der illegalen Substanzen wird unterstellt, ihre körperlichen, psychischen und sozialen Entwicklungsaufgaben zu vernachlässigen und sich so zu verhalten, dass es für die Gesundheitsbalance abträglich sei.

Die öffentliche Ablehnung der illegalen Substanzen wird aber von den jugendlichen Nutzern dieser Substanzen eher als ein zusätzliches Motiv gewertet und führt für große Gruppen der Jugendlichen dazu, die Attraktivität dieser Stoffe besonders hoch einzuschätzen. Der Konsum der illegalen Stoffe erhält die Funktion, etwas zu tun, was die Ablösung von, der dominierenden Welt der Erwachsenen unterstreicht und beschleunigt. Verbotenes Handeln, das Austesten von Grenzen und Regeln, ist für das Jugendalter ohnehin typisch und charakteristisch.

Für viele Jugendliche bekommt deswegen die offiziellillegale» Handlung, Cannabis oder Ecstasy zu konsumieren, durch den Status des Verbotenen einen ganz besonderen Reiz. Der Konsum erhält den Charakter eines Risikoverhaltens. In dem Bewusstsein, die Erwachsenen würden diese Substanzen nicht konsumieren, kann in der demonstrativen Zuwendung zu Cannabis und Ecstasy auch eine Stärkung der Zugehörigkeit zur Gleichaltrigengruppe, zurneuen Generation«, gesehen werden. Möglicherweise trägt gerade der illegale Charakter der Substanzen stark dazu bei, diese Substanzen begehrenswert zu machen (Freitag und Hurrelmann 1999).



Cannabis und Amphetamine als Alltagsdrogen

Haschisch und Marihuana, die beiden Verarbeitungsweisen von Cannabis, sind heute die verbreitetsten illegalen Drogen in Deutschland und in den meisten europäischen Ländern (Leune 1996). Cannabis war in den 1960er-Jahren zunächst eine Art „Kultdroge", mit der ein alternativer Lebensstil demonstriert werden sollte. Seinerzeit waren es eher Jugendliche am Ende der Jugendphase, beim Übergang in das dritte Lebensjahrzehnt, die zu den Konsumenten gehörten. Inzwischen ist das Einstiegsalter, wie unsere Untersuchungen zeigen, abgesunken (Freitag und Hurrelmann 1999).

Bei mindestens 40 Prozent der Jugendlichen eines jeden Jahrganges gehört der probeweise Konsum von Haschisch und Marihuana zurnormalen» Entwicklung. Der Probierkonsum ist heute so etwas wie eine normale und von der Gleichaltrigengruppe unterstützte Form des jugendlichen Risikoverhaltens, wobei sich das tatsächliche Risiko nach Auffassung der Jugendlichen sehr in Grenzen hält. Aus den Zeiten der „Kultdroge« ist die Vorstellung geblieben, Cannabis sei eine Substanz, die Entspanntheit und Lebensfreude ausdrückt und es ermögliche, enge kulturelle und soziale und restriktive Normen zu überschreiten.

Amphetamine, also im Labor hergestellte synthetische Substanzen, scheinen im Vergleich zu Cannabis einen anderen Nutzerkreis anzuziehen. Die zentrale Erwartung an diese Substanzen ist es nicht, sich zu entspannen, sondern die eigene körperliche Ausdauer zu stärken und insgesamt die Erlebnis- und Leistungsfähigkeit aktiv zu stimulieren. Amphetamine sind anregende, aufputschende Substanzen, die nicht in der Absicht konsumiert werden, aus der Arbeitsgesellschaft völlig auszusteigen, sondern sich ihrem Druck für eine genau kalkulierteAuszeit" zu entziehen.

Hier liegt möglicherweise auch das Gemeinsame in den Motiven für die Nutzung dieser beiden am weitesten verbreiteten illegalen Alltagsdrogen: Sowohl Cannabis- als auch Amphetaminprodukte werden konsumiert, um Anspannungen und Belastungen des stressigen Alltags zu entgehen, den Belastungen zu entfliehen und sich je nach Temperament in eine ruhige und sanfte oder in eine aktive und erlebnisreiche Freizeitwelt zurückzuziehen. Beide Substanzgruppen werden als Mittel zum Zweck genutzt, wobei die Gefährdung für die körperliche und seelische Gesundheit sehr niedrig eingeschätzt wird. Beide Substanzen werden innerhalb der Gleichaltrigen- und Freundesgruppe konsumiert und dienen sehr stark dazu, die Zugehörigkeit zu diesen Gruppen zu unterstreichen. Bei beiden Substanzen ist den Konsumentinnen und Konsumenten bewusst,dass es sich um illegale Stoffe handelt.

Der Übergang von legalen zu illegalen Substanzen

Es gibt offensichtlich kulturell verankerte Schritte im Aufbau und in der Abfolge des Konsums von psychoaktiven Substanzen. Wie schon erwähnt, ist die zuerst konsumierte Substanz das Arzneimittel, teilweise mit psychoaktiven Bestandteilen, es folgen Koffein, Nikotin und Alkohol, anschließend werden illegale Substanzen konsumiert, und zwar meist in der Reihenfolge Haschisch, Amphetamine, Heroin, LSD und Kokain. Nicht alle Konsumenten und Konsumenten folgen dieser Reihung, aber doch die große Mehrzahl von ihnen.

Bislang ist es nicht geklärt, warum gerade diese Reihenfolge in unserem Kulturkreis typisch ist. Folgende Vermutungen können für die Abfolge genannt werden:

Die soziale und gesellschaftliche Akzeptanz der Drogen. Es ist denkbar, dass zunächst die gesellschaftlich mühelos erreichbaren und zugleich sozial geduldeten und befürworteten Substanzen konsumiert werden, bevor die nicht offen erreichbaren und gesellschaftlich nicht akzeptierten, diskriminierten und gesetzlich verbotenen Substanzen genommen werden. Möglicherweise werden zuerst die legalen Substanzen und dann die illegalen konsumiert, weil beim Übergang von der einen in die andere Gruppe kulturell und gesellschaftlich signifikante Schwellen überschritten werden müssen, also der Konsum der illegalen Substanzen mit dem Überwinden einer rechtlichen Barriere verbunden ist.

Biologische Bahnung und Sensitivierung. Es könnte sein, dass der Erstkonsum einer psychoaktiven Substanz bestimmte Bahnungen im zentralen Nervenbereich, dort besonders im so genannten dopaminerg-mesolimbischen Belohnungssystem vornimmt, wodurch nach dem Konsum einer Substanz ein physiologischer „Hunger" nach einer weiteren und möglichst anders und stärker wirkenden Substanz entsteht. Möglicherweise steigt der Bedarf des zentralen Nervensystems an zusätzlichen psychoaktiven Substanzen, wenn einmal eine Substanz über einen längeren Zeitraum und in größerer Dosis konsumiert wurde. Ob hieraus aber eine Dosissteigerung und das Voranschreiten von einer weniger starken zu einer stärkeren Substanz abzuleiten ist, konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Denkbar ist, dass der Konsum einer psychoaktiven Substanz eine Umstellung von Gehirnstrukturen zur Folge hat, die das Verlangen auf eine weitere Substanz mit sich bringt.

Wahrscheinlich lässt sich aber die Abfolge von Konsumgewohnheiten der verschiedenen psychoaktiven Substanzen nicht isoliert mit einem der beiden Ansätze erklären, sondern durch eine Kombination. Ob ein Konsument von einer Substanz zu einer anderen voranschreitet und dabei den Schritt von den legalen zu den illegalen Substanzen geht, dürfte nicht nur von der Beschaffenheit des zentralen Nervensystems abhängen, sondern auch von den persönlichen und sozialen Umfeldbedingungen. Jede psychoaktive Substanz hat eine ganz bestimmte Bedeutung bei den an- stehenden Entwicklungsaufgaben, zugleich hat jede Substanz ihren eigenen Stellenwert im sozialen Umfeld, im Freundes- und Bekanntenkreis des Konsumenten. Wenn von einer Substanz zu einer anderen vorangeschritten wird, dann verändert sich auch die persönliche und soziale Bedürfnislage und umgekehrt.

Der Eintritt in den Bereich der illegalen Substanzen könnte insbesondere durch die Exklusivität der sozialen Beziehungen begründet sein, die sich aus dem rechtlichen Status mit der öffentlichen Ächtung der Substanzen ergeben. Da der Konsum der illegalen psychoaktiven Substanzen meist in der Gleichaltrigen- und Freundesgruppe stattfindet, die eine sehr hohe Bindekraft hat, kann mit illegalen Substanzen der Wunsch des Konsumenten verbunden sein, neue soziale Unterstützungen zu erschließen. Auf der psychologischen Ebene kann der Effekt gesucht werden, mit der neuen Substanz auch eine veränderte Selbstdefinition und Selbstwertorientierung zu verbinden. Die biologisch-pharmakologische Wirkungsweise der Substanz kann diesen Prozess unterstreichen und befördern. Häufig wird der Konsum der vorherigen Substanz aufrecht erhalten und es kommt zu einem Mehrfachgebrauch verschiedenster Substanzen (Wittchen, Lachen und Perkonigg 1996).

Das stoffliche Abhängkeitspotential der einzelnen Substanzen scheint für die Sequenz des Gebrauchs der verschiedenen Drogen nicht ausschlaggebend zu sein. Ganz offensichtlich hat Tabak unter allen bekannten Substanzen das größte Abhängigkeitspotential, gemessen daran, wie viele der regelmäßigen Nutzerinnen und Nutzer von der Substanz dauerhaft abhängig werden. Bei Tabak dürfte es etwa ein Drittel der regelmäßigen Nutzer sein während bei den Substanzen Heroin, Kokain und Alkohol die Werte in der Größenordnung von 20 Prozent und bei den Amphetaminen, Cannabis und psychoaktiven Medikamenten aus der Gruppe der Analgetika (Schmerzmittel) von zehn Prozent liegen.

Zweifellos spielen auch genetische Disposition und angeborene Persönlichkeitsfaktoren für die Abhängigkeitsdynamik eine große Rolle. Psychiatrisch diagnostizierbare Störungen der Persönlichkeit scheinen eine Anfälligkeit („Verletzlichkeit") für den Konsum und die spätere Abhängigkeit von Substanzen mit sich zu bringen. Auch die Verträglichkeit mit Substanzen im Gehirn und im Körper und die Fähigkeit des Organismus, eine Substanz zu verarbeiten und zu absorbieren, scheint je nach Anlage unterschiedlich ausgeprägt zu sein. Die genetische Disposition determiniert aber nicht zwangsläufig die Abhängigkeit, sondern stellt eine Art angeborener Anfälligkeit dar, die erst dann bedeutsam wird, wenn auch im Bereich von Persönlichkeit und sozialem Umfeld weitere Risikofaktoren auftreten.



Strategien der Suchtprävention

Für die präventive, auf Suchtvermeidung abstellende Arbeit lässt sich aus den bisherigen Erkenntnissen die Konsequenz ableiten, alle Schritte jeweils auf die Stufe in der Entwicklung der Drogenkarriere abzustellen, auf der sich ein Konsument oder eine Konsumentin gerade befindet. Ziel muss eine adressatengerechte, lebensphasen- und entwicklungsphasenspezifische Vorbeugung sein.

In den letzten Jahren hat sich für die Arbeit in diesem Bereich eine Zielhierarchie entwickelt, die zunehmend von allen Fachstellen in der Suchtprävention und der Suchthilfe beachtet wird:

Erstes Ziel ist es, alle Menschen in ihrem Verhalten zu unterstützen, die keinerlei psychoaktive Substanzen konsumieren. In den letzten zehn Jahren sind leichte Rückgänge in der Verbreitung des Konsums von Zigaretten und Alkohol bei Jugendlichen festgestellt worden, Zugleich ist der Anteil der Nichtkonsumenten (Abstinenten) bei Tabak und Alkohol angestiegen. Solche Entwicklungen zeigen, wie flexibel die Konsummuster trotz ihrer starken kulturellen Verankerung sind. Sie müssen durch geeignete Interventionen bestätigt, unterstützt und stabilisiert werden. Die Primärprävention hat in diesem Bereich bereits gute Erfolge zu verzeichnen (Schmidt und Hurrelmann 2000).

Zweites Ziel ist es, wegen der möglichen Sensibilisierungs- und Bahnungsprozesse im Gehirn und wegen der psychischen Abhängigkeitsdynamik jeden Eintritt in den Konsum von psychoaktiven Substanzen so weit wie möglich in der Lebensspanne aufzuschieben. Das gilt besonders für psychoaktive Substanzen aus der Gruppe der Arzneimittel, weil sie in der Regel in Lebenslauf als Erste konsumiert werden. Das Gebot des Aufschiebens gilt weiter für den Konsum von Koffein, Tabak, Alkohol und die illegalen Substanzen. Jedes Lebensjahr Aufschub beim Eintritt in den Konsum einer dieser Substanzen ist ein Gewinn für die körperliche und seelische Entwicklung und lässt einen Einstieg in eineDrogenkarriere" weniger wahrscheinlich werden.

Drittes Ziel ist es, bei einmal bestehendem gewohnheitsmäßigem Konsum die Qualität und Wirkungsmenge einer psychoaktiven Substanz so zu reduzieren, dass möglichst wenige gesundheitsgefährdende körperliche und seelische Effekte eintreten. Es handelt sich um „sekundärpräventive» Strategien, bei denen in einem ersten Schritt grundsätzlich der Konsum der Substanz akzeptiert, aber zugleich auf ein gesundheitsverträgliches Muster des Konsums hingewirkt werden muss. Diese Vorgehensweise der Schadensbegrenzung („harm reduction«) ist bislang noch umstritten, da mit ihr eine stillschweigende Duldung des Konsums einer psychoaktiven Substanz verbunden ist. Doch nur auf diesem Wege, durch das vorübergehende Tolerieren eines experimentellen Umgangs mit einer Substanz, lassen sich Anleitungen geben, wie mit der Substanz umzugehen ist, um gesundheitliche Langzeitfolgen verhindern oder zumindest eindämmen zu können.

Viertes Ziel ist es, bei einer bereits vorhandenen Abhängigkeit eine effektive Therapie einzuleiten und die Progression von einem leichten Stadium in ein schweres Stadium der Drogenkarriere zu verhindern (tertiäre Prävention). Die therapeutischen Strategien müssen dabei Rücksicht auf körperliche und psychische Ausgangslagen der Klienten und ihr soziales Umfeld nehmen.







Konsequenzen für die Sucht- und Drogenpolitik

Eine effektive präventive Arbeit ist nur möglich, wenn sie von einer glaubwürdigen Sucht- und Drogenpolitik begleitet und unterstützt wird. In einem demokratischen Staat muss sie von der Setzung ausgehen, dass der Gebrauch von psychoaktiven Substanzen (Drogen) in die freie Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger gestellt ist. Oberstes Ziel der Sucht- und Drogenpolitik sollte nicht die Verhinderung des Gebrauches, sondern des Missbrauches von psychoaktiven Substanzen sein. Eine solche Politik muss von einem vielfältigen Bedingungsgefüge für das Entstehen von Drogenabhängigkeit ausgehen und entsprechend verschiedenartige vorbeugende und therapeutische Angebote bereithalten. Oberstes Ziel ist ein menschenwürdiges Leben mit oder ohne psychoaktive Substanzen. Die Sucht- und Drogenpolitik muss Vorkehrungen treffen, jeden Menschen darin zu unterstützen, die persönlichen Ressourcen zu entwickeln, um die eigene Lebensgestaltung erfolgreich zu bewältigen.

Im Einzelnen sind folgende Erwartungen an die Sucht- und Drogenpolitik zu formulieren:

Die Sucht- und Drogenpolitik in einem demokratischen Staat sollte Vorkehrungen treffen, um einen verantwortungsvollen Umfang mit psychoaktiven Substanzen zu unterstützen. Rechtliche Restriktionen alleine können dieses Ziel nicht erreichen, sondern müssen mit Anreizen für einen kulturell gestützten und sozial gepflegten Umgang mit Genussmitteln verbunden sein. Insbesondere sollte des darum gehen, dass der Probier- und Neugierkonsum von psychoaktiven Substanzen möglichst spät im Lebenslauf einsetzt, unter Selbstkontrolle bleibt und keine bleibenden gesundheitlichen Schäden zur Folge hat. Experimenteller Gebrauch von psychoaktiven Substanzen sollte als Ausprägung eines altersspezifischen Risikoverhaltens geduldet werden, auch wenn ungewöhnliche Konsummuster und neuartige Substanzen gewählt werden. Ziel ist es, Erstkonsumenten nicht leichtfertig in Abhängigkeitsverhältnisse hineingeraten zu lassen und sie vor Selbstschädigung zu schützen. Das gilt ganz besonders für Kinder und Jugendliche, für die gezielte vorbeugende Aktivitäten eingeleitet werden müssen. Dabei sollte an die Motivations- und Bedürfnislage von Kindern und Jugendlichen angeknüpft werden. Auch muss die Schädigung anderer Bürgerinnen und Bürger durch Drogenkonsum verhindert werden.

Die Definition von psychoaktiven Substanzen alslegal» oder«illegal" sagt, wie die bisherige Erfahrung zeigt, nichts über den tatsächlichen Gefährdungsgehalt einer Substanz aus. Die Definition einer Substanz als legal darf nicht dazu führen, dass Substanzen - wie es heute bei Kaffee, Tee, Tabak und Alkohol der Fall ist - unter das Lebensmittelgesetz fallen und damit praktisch völlig frei verkäuflich sind. Vielmehr sollte der Gesetzgeber deutlich zwischen Lebensmitteln und Genussmitteln unterscheiden, wobei unter die Genussmittel alle psychoaktiven Substanzen fallen, die ein Missbrauchs- und Abhängigkeitspotential haben. Für diese Substanzen sollten besondere Formen der Verfügbarkeit, Produktinformation, Preisgestaltung und Produktkontrolle gefunden werden. Die Werbung sollte eingeschränkt und nach ihrem Wahrheitsgehalt kontrolliert werden.

Nur eine Sucht- und Drogenpolitik, die psychoaktive Substanzen legal als Genussmittel ausweist, kann auf die Produktionsbedingungen für alle psychoaktiven Substanzen einwirken, also eine wirkungsvolle Kontrolle der Produktion dieser suchtfördernden, potentiell abhängig machenden Substanzen einleiten. Um dieses Ziel zu erreichen, ist die Definition von psychoaktiven Substanzen als illegal kontraproduktiv. Die heute illegalen Substanzen, die am Schwarzmarkt kursieren, sollten vielmehr schrittweise unter staatliche Produktionskontrolle gestellt und von dafür autorisierten Einrichtungen nach bestimmten Auflagen verkauft werden. Auf diese Weise sollte versucht werden, die stofflichen und sozialen Schädigungen durch den Missbrauch der Substanzen unter Kontrolle zu bringen. Die bisherige Geschichte der staatlichen Drogenpolitik hat - nicht nur in Deutschland - gezeigt, dass jegliche Art von Verboten („Prohibition») am Ende zum Scheitern verurteilt war. So haben sich weder die Kaffee-, Tee-, Tabak- noch Alkoholverbote, die früher einmal ausgesprochen wurden, durchhalten und durchsetzen lassen. Alle diese Substanzen sind mittlerweilelegale« Drogen. Die Definition einer Substanz alsillegal" hatte bisher immer die Konsequenz, dass diese Substanz nur am Schwarzmarkt erworben und gehandelt werden konnte. Auf die Verfügbarkeit der Substanz hat die Definition als illegal wenig Einfluss, wie das Beispiel von Cannabis und Partydrogen deutlich zeigt. Diese Substanzen sind mindestens genauso leicht erhältlich wie die meisten legalen, vielleicht mit dem kleinen Unterschied, dass man sich gezielt um den Zugang bemühen muss.

Sucht- und Drogenpolitik müssen aus ihrer rechtlichen und politischen Sonderstellung herausgeführt werden. Sie sind Bestandteil einer umfassenden Gesundheits-, Sozial- und Kulturpolitik, die es allen Gruppen der Bevölkerung ermöglichen soll, ein sinnvolles, erlebnisreiches und verantwortungsvolles Leben zu führen.



Literatur

Freitag, M. und Hurrelmann, K. (1999): Illegale Alltagsdrogen. Weinheim: Juventa

Hurrelmann, K. (1998): Lebensphase Jugend. (5. Auflage) Weinheim: Juventa

Hurrelmann, K. (2000): Gesundheitssoziologie. Weinheim: Juventa

Hurrelmann, K. und Bründel, H. (1997), Drogengebrauch - Drogenmissbrauch. Prävention und Therapie von Sucht und Abhängigkeit. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft

Leune, J. (1995): Illegale Drogen in der Gesellschaft. In: Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (Hrsg.): Jahrbuch Sucht '96. Geesthacht: Neuland, S. 147-160

Schmidt, B. und Hurrelmann, K. (Hrsg.) (2000): Präventive Sucht- und Drogenpolitik. Opladen: Leske und Budrich

Silbereisen, R. (1995): Entwicklungspsychologische Aspekte von Alkohol- und Drogengebrauch: In: Oerter, R., L. Montada (Hrsg.): Moderne Entwicklungspsychologie. München: PVU, S. 1057-1068

Wittchen, H, U.G. Lachen und A. Perkonigg (1996): Vulnerabilitäts- und Protektionsfaktoren bei Frühstadien von Substanzmissbrauch und Abhängigkeit. Max-Planck-Institut für Psychiatrie, München



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