Mark

Es gab mal eine sehr erfolgreiche Comedy-Show auf RTL, die kam immer samstags nachts. Ich war etwa 12 bis 14 Jahre alt und verfolgte diese Sendung mit leidenschaftlicher Inbrunst, nahm jede Folge auf und sah sie mir dann eine Woche lang an, bis ich sie auswendig konnte. Meine beste Freundin tat's genauso und diese Show war unser Hobby Nummer 1. In einen der Mitwirkenden war ich furchtbar verliebt und ich sammelte jeden kleinen Schnipsel, den man in Zeitungen über ihn fand. Ich fand sogar seine private Telefonnummer heraus und telefonierte einmal mit ihm. Eines Tages las ich, daß er seine Freundin geheiratet hatte und ich war zu Tode betrübt. In der Schule zog man mich damit auf: »Hähä, der Tommy hat geheiratet! Und du wirst ihn niemals haben!« Meine Güte, wie dumm man in diesem Alter ist...
In der letzten Staffel kam ein Kommödiant dazu, der mir wieder sehr auffiel. Tommy war ja nun außer Frage und irgendwie tabu, weil er ja geheiratet hatte. Dieser neue war sehr niedlich und er schaffte es, Tommy's Platz einzunehmen. Ich dachte täglich darüber nach, einen Weg zu finden, ihn kennen zu lernen. Wenn ich durch Köln ging, hielt ich Ausschau nach ihm und ich suchte überall Informationen über ihn.
Die Sendung wurde abgesetzt und ich konnte monatelang nur darüber trauern. Meine Videos schaute ich mir noch lange, lange Zeit an, bis ich irgendwie aus dem Alter der absoluten Schwärmerei heraus war und andere Interessen fand. Von Tommy und »dem Neuen« hörte man nichts mehr.
Vor etwa einem halben Jahr begann ich eine Art Praktikum am Theater meiner kleinen Heimatstadt. Zur Begrüßung am Anfang der Spielzeit kamen alle Mitglieder des Ensembles zusammen und hörten sich allerhand Schmu vom Intendanten an. Und da stand er plötzlich vor mir. Der Neue. Ich konnte erst sein Gesicht und seinen Namen schon nicht mehr richtig einordnen, wußte nur, daß dieser Mensch mir unheimlich vertraut war und ich hatte das Gefühl, er müsse mich auch von irgendwoher kennen. Ich brauchte nur kurz im Internet nachschauen und es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Er war es. Der Mann meiner Teenagerträume. Er sollte die Hauptrolle in meiner Produktion spielen und wir sahen uns von nun an jeden Tag mehrere Stunden lang. Ich verliebte mich erneut in ihn - diesmal realistischer. Bis zu dem viel zu späten Tag, an dem ich erfuhr, daß er schwul ist. Bis dahin hatte ich schon viele, tiefschürfende Gespräche mit ihm geführt, viel Zeit mit ihm verbracht, mich toll mit ihm verstanden. Er mochte mich mit Sicherheit auch sehr. Aber er war schwul. Und ich wußte es nicht, die ganze Zeit nicht. Ich litt eine ganze Zeit sehr, bis die Produktion beendet war und wir daraufhin in verschiedene neue Produktionen getrennt wurden. In dieser Zeit konnte ich mich emotional total von ihm lösen.
Gestern saßen wir eine Dreiviertelstunde zusammen und unterhielten uns über Shakespeare's »Kaufmann von Venedig«, in dem er den Bassanio spielt.
Wenn ich jetzt daran denke, wieviele verschiedene Haltungen ich schon ihm gegenüber hatte, dann kann ich mich nur über mich wundern. Vom Teenie-Schwarm und projizierten Traum-Mann fürs Leben über den mysteriösen (Un-)Bekannten, über den unglaublich bewundernswerten Schauspieler, für den man alles tun würde, bis zum Freund. Ja, jetzt ist dieser Kommödiant aus der Comedy-Show auf RTL ein Freund von mir, der mich nie vergessen wird. Und ich werde ihn auch nie vergessen. Den Mark.