MeineGeschichte:
Problem-Aussie trotz Hundeschule und gutem Willen
Vom ersten Welpen-Tage an kommt Familie X. mit A. zu mir in die Hundeschule. A. ist momentan 15 Monate alt. Zeitgleich begannen insgesamt 4 Australian Shepherds in dieser Gruppe. Bei allen fragte ich mich, ob sie auch nur ansatzweise ahnen, was sie sich da als netten Familienhund angeschafft haben.
Schnell stellte sich für mich heraus, dass genau eine Person dieser Aussie-Besitzer tatsächlich den Herausforderungen der Rasse gewachsen sein würde, um zu einem harmonischen Team zu werden.
Bei Familie X. merkte ich leider recht rasch, dass das MENSCHLICHE Denken und Handeln das Hauptproblem in der Kommunikation bildet. Zudem bemerkte ich, dass A. ein Maximum an Manipulationsfähigkeiten heraus bildete, und seine Familie gut erzog. A. hat keine Hundeführer, er hat Personal.
Vor ca. einem Jahr tauchten die ersten Probleme auf, die noch »niedlich« waren und mir eine Einzelstunde bei Famile X. bescherte, in der ich ihnen einiges erklärte über Aufmerksamkeit, Ignoranz, Einschränken der Bewegungsfreiheit im Hause, Leinenführung, Kommunikation. Dinge, die ich auch im Unterricht nicht nur einmal erklärt und mit Beispielen belegt hatte.
Für mich wären 4-5 Termine nötig gewesen, um im Alltag etwas mehr Klarheit und Beharrlichkeit der Hundeführer zu erreichen und Mankos aufzuzeigen. Sie kamen aber lieber weiter nur regelmäßig in den Gruppenunterricht, und so am Rande bekam ich somit immer mal mit, wie klein A. mit dem Sohn der Familie (15 Jahre), dem der Hund hauptsächlich gehört, umspringt. Oft musste ich eingreifen, isolieren, Konflikte lösen. Mir erschien es immer wie ein Tropfen auf einen sehr heißen Stein, was ich auch im Gespräch klar sagte.
Der Rest der Gruppe war teilweise schon leicht genervt, weil immer nur einer meine Hauptaufmerksamkeit forderte.
Immer und immer wieder sprach ich die Thematik Aufmerksamkeit, Manpulation durch den Hund, Führung etc. an. Die Symptome konnte ich teilweise auf dem Platz oder in der Stadt beheben, nicht aber die Ursache. Denn die lag im Alltag, auf den ich nur verbal Einfluss nehmen konnte. Ob man mich nicht verstand? Ob man verstand aber die ursächlichen Situationen nicht zuordnen konnte?
Dann kam Sylvester und danach wurde mir berichtet, dass A. nicht mehr aus dem Haus geht und sich verkriecht, wenn die Düsenjäger fliegen, welche er wohl mit den Sylvesterraketen verknüpft hatte. Er würde dann in seine Höhle fliehen und dort um sich beißen, wenn man ihn heraus zu locken versucht. Auch gassigehen sei nicht möglich, wenn Flugtage sind.
Da ich nur Gelegenheit bekam, dies auf dem Platz oder in der Stadt zu beobachten, fiel mir dazu auf, dass es mit der Person zusammen hängt, der ihn gerade führt, und es situationsabhängig ist, da er sich von mir in jeder Situation noch führen ließ, wenn die Angst-Symptome auftauchten. Ich konnte immer nur wieder erklären, dass ich bei allen Familienmitgliedern eine sehr mangelhafte Führung feststelle, die ich in einer Gruppenstunde pro Woche leider nur an punktuellen Beispielen symptomatisch behandeln und korrigieren kann, und mir wurde im Gespräch immer wieder bestätigt, dass der Hund Aufmerksamkeit, Locken, Bedauern, Futter und was auch noch alles für seine Panik bekommt. smilie_14.gif
Dazwischen kam noch ein Vorfall mit einem Gewitter auf dem Platz, wo ich ihn kurz führte, um das Team zu Auto zu begleiten, da wir annahmen, das Gewitter sei vorüber, als direkt vor unsere Nase ein Blitz mit relativ schnell folgenden Donner einschlug. Wir fuhren alle tierisch zusammen, was der ganzen Sache sicher nicht wirklich dienlich war. Diese Woche Dienstag kam der Hund nach diesem Vorfall zum ersten Mal wieder auf den Platz und floh direkt nach dem Ableinen über 2 Türen und versuchte, zum Auto zu kommen. Sicherheit findet er aktuell nur noch im Auto und in seiner Höhle unter der Eckbank und in seiner Box. Keine Ansprechbarkeit mehr, um sich schnappen, Stress pur.
Ich war erst mal ratlos, weil ich mich argumentativ nur immer und immer wiederholen konnte und eine Schuldzuweisung keinen Sinn macht. So bat ich um einen Hausbesuchstermin mit 2 Tagen Bedenkzeit. Durch eine Terminverschiebung wurden 4 daraus, die ich auch brauchte um zu resetten.
Nach einigen schlaflosen Nächten mit massiven Selbstvorwürfen, in denen ich MICH als Trainerin dafür verantwortlich machte, dass der Hund sich so entwickelt hat, wie es nun einmal Fakt ist, telefonierte ich mit Anita, weil ich nicht mehr wirklich wusste, ob ich die richtige Trainerin für diese Familie bin. Sie schaffte es innerhalb weniger Minuten, mir meine Perspektive und die Verantwortungen in diesem Spiel so zurecht zu rücken, wie es wohl auch der Realität entspricht. Ich fand meine korrekte Position wieder und krempelte die Ärmel auf. An dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank dafür kuss .
Gestern war ich nun bei Familie X. zuhause, erst einmal zum Grundsatzgespräch, danach zum konkreten Aufzeigen meiner Ideen und Perspektiven, zum Durchsprechen selbiger und anarbeiten der ersten Maßnahmen und zum zufälligen zusätzlichen Sammeln von Fakten, die mir leider die Haare noch ein ganzes Stück weiter zu Berge stehen ließen.
1) A. beißt fest zu, um Futter und Höhlen zu kontrollieren/verteidigen
2) A. beißt fest zu, wenn man ihm ein Geschirr oder Halsband, dem er sich entwunden hat, erneut anzulegen versucht
3) A. beißt fest zu, wenn man ihn nach Verweigerung eines Signals mit der Hand korrigieren möchte (z.B. Signal »geh Decke« mit Hinführen am Halsband durchsetzen), Körpersprache versucht er sich zu entziehen.
4) A. entscheidet, wann gassi gegangen wird, wann gespielt wird, wann gekuschelt wird, wann man irgendwelche sonstigen Handlungen an ihm vornehmen darf
5) Die Panik bei den Flugzeugen ist eigentlich nur ein Nebensymptom, das der Familie den Spaziergang versaut, weil er unterwegs wild um sich beißt, wenn die Flieger kommen und er nicht aus dem Geschirr kommt, um wegzurennen. Der sonstige Stress und Terror, der durch den Hund im Haus passiert, ist gar nicht »schlimm« in den Augen von Familie X. Der Arme hund darf nur keine Panik mehr haben. So weit zur Einstellung.
6) Besuch wird massiv bedrängt und teilweise auch gebissen, was verharmlost wird.
7) Hund geht über und auf Tische und Bänke, um Aufmerksamkeit und Status zu demonstrieren.
8) Die vielen Kleinigkeiten, die in Summe aber wieder ein Großes ergeben, erspare ich Euch an dieser Stelle, sonst lest Ihr morgen noch.
Meine Maßnahmen sind nun:
1) Die radikale Änderung der mentalen und emotionalen Einstellung von Familie X. in Bezug auf den »armen Hund«. Erklärung, dass sie einen coolen Welpen zu einem überforderten Panikwesen gemacht haben, in dem sie es einfach nur menschlich gut meinten. Erneute Erklärung, wie welche Aktionen kommunikativ und lerntechnisch beim Hund ankommen-
2) Das Tragen einer Hausleine, um Signale durchzusetzen, ohne gebissen zu werden.
3) Totale Ignoranz für erregtes Begrüßen, Bedrängen und Fordern jeglicher Art
4) Aufbau eines Futterbeuteltrainings mit ausschließlicher Fütterung über Hand oder den Beutel, um die Ressource Futter zunächst einmal komplett zu kontrollieren.
5) Vermeidung jeglicher Diskussionen und Konflikte, bei denen sonst die Zähne eingesetzt wurden.
6) Verlagerung (war schon vor einem Jahr von mir so geraten worden) der Box vom Eingangsflur in die Küche inkl. Boxentraining und dem Entsenden in selbige, wenn Besuch kommt oder A. anderweitig aufdreht
7) Absolute Kontrolle über den Erregungslevel von A. Aktionen und Spiele sofort abbrechen, wenn er hoch fährt. Wird er dann körperlich, ab in die Box.
8) Keine Spaziergänge mehr nach den Morgenstunden (ab da wird hier geflogen), um Panikattacken zu vermeiden bis die Führung der Familienmitglieder aufgebaut ist.
9) Longiertraining im Garten, um den Menschen das Durchsetzen von Grenzen zu zeigen und um dem Hund Auslastung und Kooperationsmöglichkeiten zu geben.
10) Totales Ignorieren des Hundes, so lange er sich in irgendwelche Höhlen flüchtet und Panik und/oder Stress zeigt. Und wen er 2 Tage da vergraben bleibt. Evtl. Verbauen der Eckbank-Höhle.
11) Besuchertraining (mit den Kumpels des Sohnes); die Familienmitglieder kontrollieren A. so weit über Körpersprache, dass er nicht mehr anspringt und nur dann Beachtung vom Gast bekommt, wenn er sich ruhig und sittsam nähert.
12) Sofortige Verbannung in seine Box (möglichst mit offen bleibender Türe und über Körpersprachenkontrolle), sobald Aufmerksamkeit heischendes Verhalten eintritt. (Und er ist da sehr erfinderisch.)
Einige der Punkte habe ich nur anreißen können, andere haben wir intensiv gearbeitet, weil sie mir als »erste Hilfe« sehr wichtig erschienen.
Bin mit einem guten Gefühl dort weg und habe eine intensive Arbeitswoche vor mir, die zeigen wird, ob ich die Fähigkeit habe, dort den Nerv zum Veränderungswillen so zu treffen, dass sie mit Motivation und Freude und klar verstandenem Sinn hinter ihrem Tun an das Verlassen ihrer Komfortzone gehen, oder ob die Menschlichkeit hinter ihrem Handeln weiterhin überwiegt und sie schlicht Resistent sind.
smilie_9.gif für alle, die sich bish hierhin durchgelesen haben und an all jene, die es sich verdammt gut überlegen, einen Aussie als Familienhund zu kaufen.
Von 10 Aussies, die ich kenne, sind 9 nicht vernünftig geführt. Leider. Die Symptomatik ist vielfältig, aber sie existiert.
Dennoch, ich finde diese Hunde einfach toll und würde A. auch sofort adoptieren.
LG Anja
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