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solarschule schrieb am 22.2. 2003 um 01:45:01 Uhr über

Mittelalter


US-Regierung
scheitert an Blockade
des Zusatzprotokolls
zur Anti-Folter
-Konvention

Das Recht auf
Willkür im Krieg

Abschiebung in
Folterländer?







Zurück ins Mittelalter?

Goedart Palm 20.02.2003

Wenn es dem Leben dient, könnte ein bisschen Folter für besseren
Opferschutz sorgen

Bisher waren peinliche Befragungen von Verdächtigen eher peinlich bis strafbar für
die Vernehmungsbeamten. Das könnte jetzt gründlich anders werden. Der
Entführungsfall »Jakob von Metzler« belebt inzwischen eine nie ganz verstummte
Diskussion, ob Folter in kritischen Gefährdungssituationen ein angemessenes Mittel
sein könnte, Verstockte zum Reden zu bringen. "Es sind Fälle vorstellbar, in denen
auch Folter oder ihre Androhung erlaubt sein kann, nämlich dann, wenn dadurch ein
Rechtsgut verletzt wird, um ein höherwertiges Rechtsgut zu retten",
sagte der Vorsitzende des Richterbundes Geert Mackenroth
dem »Tagesspiegel«. Die Verhinderung der Terroranschläge vom 11.9.2001nannte er
als ein Beispiel für solche höhere Rechtsgüter.




Der Frankfurter Vize-Polizeipräsident Wolfgang Daschner soll angeordnet haben, dem
mutmaßlichen Täter Magnus G. bei der Frage nach dem Verbleib des entführten Jungen
mitzuteilen, dass man ihm wehtun werde, wenn er keine Aussage machen würde. Konkret
sollte der zuständige Kriminalhauptkommissar angeblich dem Verdächtigen ankündigen:
"Wenn Sie jetzt nicht reden, dann werden wir Ihnen große Schmerzen zufügen...wie Sie
nie welche hatten, die Sie nie in Ihrem Leben vergessen werden." Dem Berliner
»Tagesspiegel« zufolge soll ein Vermerk Daschners existieren, dass
Magnus G. "nach vorheriger Androhung, unter ärztlicher Aufsicht, durch Zufügung von
Schmerzen (keine Verletzungen) erneut zu befragen ist". Nach dem Strafverteidiger Ulrich
Endres soll sein Mandant zudem auch mit der Androhung einer Vergewaltigung durch
Mithäftlinge unter Druck gesetzt worden sein. Man werde ihn zu »zwei großen Negern« in
die Zelle sperren. Der inzwischen erfolgreich examinierte Jurastudent soll nach diesen
Androhungen den Aufenthaltsort des toten Jungen mitgeteilt haben, nachdem er sich
zunächst nicht so gut erinnern konnte.




Was nun als ungeheuerliche Verfehlung der Polizei angesehen werden könnte, als Schlag
in das Gesicht eines rechtsstaatlichen Ermittlungsverfahrens, wurde etwa vom
stellvertretenden Vorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Holger Bernsee,
für vertretbar gehalten, weil man zu diesem Zeitpunkt eben davon ausgegangen sei, das
Leben des Jungen noch retten zu können. Die Staatsanwaltschaft geht nun dem Argument
nach, ob es sich um eine zulässige Maßnahme bzw. eine übergesetzliche
Notstandssituation gehandelt habe oder schlicht um strafbare Aussage-Erpressung. Ein
Notstand könnte bejaht werden, wenn das Leben eines Menschen gefährdet ist und die
Ausübung von Gewalt das letzte Mittel, um ihn zu retten. Selbst der Vorsitzende des
Deutschen Richterbundes Geert Mackenroth hält im Blick auf Terrorgefahren Folter
durchaus für ein bedenkenswertes Mittel, wenn bei der Abwägung zweier Rechtsgüter das
höhere Rechtsgut geschützt wird.

»Körperliche Unversehrtheit versus Leben« heißt dann die juristische Abwägungsschaukel,
die für den Delinquenten leicht zur kitzligen Papageienschaukel
werden könnte. Doch wir wollen nicht vorgreifen.

Lieber Zuhause als im Ausland?

Das Arsenal peinlicher Befragungen ist seit den Zeiten des Hexenhammers erheblich
modernisiert und effektuiert worden. Sollte die »territio«, das Zeigen der Instrumente
durch den spätmodernen Inquisitionsbeamten nicht ausreichen, könnte man zunächst mit
Wahrheitsserum oder leichten Elektroschocks beginnen. Seit dem Milgram-Experiment
wissen wir ja, dass der größere Teil der Bevölkerung die Schreie des Torturierten relativ
leicht verschmerzen kann. Letztlich entscheidet selbstverständlich die
Widerstandsfähigkeit des Delinquenten darüber, wie weit man gehen muss, um die blinde
Justitia zum Licht der Tatsachen zu führen.






Wenn die deutsche Polizei derzeit nicht über genügend Spezialisten verfügt, wären sicher
Hilfsbeamte aus diversen arabischen, afrikanischen oder asiatischen Ländern bereit, hier
ihren reichen Erfahrungsschatz zur Verfügung zu stellen. Selbstverständlich unter strenger
Beachtung rechtsstaatlicher Prinzipien, damit die Bundesrepublik Deutschland nicht
demnächst die Hit(!)-Liste von amnesty international auf der nach oben offenen
Horror-Richter-Skala anführt: Nur so viel Folter also, wie unabdingbar ist, um eine träge
Zunge zu lösen und Leben zu retten.

Dass diese Diskussion, die seinerzeit im Rahmen der Terrorismusbekämpfung der RAF
folgenlos blieb, nun erneut losgetreten wird, ist kein Zufall. In Amerika wurde nach dem
rechtsstaatlich verhängnisvollen 11. September 2001 auch die peinliche Vernehmung von
mutmaßlichen Terroristen erwogen, zudem die CIA bereits in früheren Jahren einige
eingehende Erfahrungen auf diesem delikaten Gebiet gesammelt hatte. Angeblich hat man
es in jüngerer Zeit indes vorgezogen, maulfaule Verdächtige in Länder zu verkarren, die
weniger bzw. mehr Manschetten haben, die lautere Wahrheit herauszupressen (
With a little help from my friends ....). Aber solche Transit-Verfahren
sind aufwändig und wenn erst der richtige rechtsstaatliche Trend sich auch im liberalen
Westen durchsetzt, dürften Vernehmungen demnächst vor Ort erheblich kostengünstiger
ablaufen.

Die Terroristen gleichen den Hexen des Mittelalters

Nun stellt sich die Frage, wie die Tortur, die wir nach dem Sieg der Aufklärung wohl zu
vorschnell verabschiedet hatten, in Einklang mit der Unschuldsvermutung und dem System
von Freiheits- und Geldstrafen zu bringen ist. Eine Novellierung der Strafprozessordnung
(StPO), insbesondere des § 136 a StPO, sowie des
§ 343 StGB (Aussageerpressung), wären ein erster legislativer
Schritt. Zugleich wäre auch zu kodieren, welche gestrengen Vernehmungsmethoden bei
welchen Rechtsgütern zulässig sind. Die gottesfürchtigen bis glühenden Maßstäbe des
Hexenhammers wären sicher in einigen Punkten zu überdenken, damit der Delinquent nicht
mehr leidet, als unbedingt zum Schutz fremder Rechtsgüter notwendig erscheint.

Freilich, einige Fragen sind damit längst nicht beantwortet. Immerhin könnte manch einer
bereit sein zuzugeben, dass er ein Hexenmeister ist, wenn die Bambusspitzen unter den
Fingernägeln allzu sehr brennen - oder zumindest die Vorstellung daran. Manche Hexe
wurde bekanntlich erst in der eisernen Jungfrau zu einer, um dann verbrannt zu werden.
Der Unterschied zwischen Hexen und Terrorverdächtigen ist in diesen Tagen ohnehin
nicht mehr allzu hoch anzusetzen. Das fundamentale Dilemma dieser schneidigen Methode
bleibt, dass sie die Frage, ob die Güterabwägung tatsächlich eindeutig ist und der
Verdächtige ein Täter ist, eben leider nicht mitbeantwortet.

Der Motassadeq-Prozess wäre vielleicht befriedigender ausgefallen, wenn man sich nicht
mit dem Problem abwesender Zeugen und von der Bundesregierung zurückgehaltener
Vernehmungsprotokolle hätte herumschlagen müssen, sondern zum Prozessauftakt sogleich
ein veritables Geständnis aus der roten Akte gezaubert hätte. Es scheint so, als sei die
Kreuzzugsmoral des US-Präsidenten nun auch hier zu Lande in ihren weit reichenden
Konsequenzen für Fragen der inneren Sicherheit gut verstanden worden. Zu präventiven
Schlägen passen eben auch präventive Streckbetten. Der Rechtsstaat muss sich zwar auch
noch ein wenig strecken, um sich in dieser mutigen Weise zu bewähren. Aber hat sich die
historische Verhörmethode erst einmal wieder durchgesetzt und wir uns von
zivilisatorischen Vorurteilen befreit, könnten viele interessante Weiterungen dieses
offensiven Diskursstils »angedacht« werden.

Auch die bisher unergiebigen Untersuchungsausschüsse des Bundestages etwa könnten
hier Mittel in die Hand bekommen, die jeden Blackout unwahrscheinlich machen. Selbst
das Schweigen über das Schweizer Nummernkonto käme doch nicht über die Androhung
der nächsten Daumenschraube hinweg. Willkommen im Mittelalter.
















Kommentare:
Das es einen Aktenvermerk giebt (cisco, 21.2.2003 0:44)
die realitaet: bad kleinen [ot] (frajo rolofs, 21.2.2003 0:43)
Update (Guido Seifert, 21.2.2003 0:42)
mehr...










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last modified: 20.02.2003
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