Zwischennetzreisen und Höllenfahrten
Vor meinem Computer ich sitze es öffnet die Erde sich und ich fahre den Rechner herunter und tue es ihm gleich, fahre selbst hinab in die brodelnde Tiefe des Erdreichs, fahre herunter steige hinab und klicke beiseite den Lehm und die Steine den Fels und das Eisen das Gold und die Erze die Hindernis sind. Es riecht so gut so schwer nach Leben – und Tod und Verwesung die eins sind verschmolzen verwoben verbrüdert im Grabe die Hände sich reichen und Knochen und Krallen, Finger gleiten über Tasten, ich sehe nicht hin wie sich Buch für Stabe Zeile an Zeilen reiht und suche und grabe den Weg und mich weiter und tiefer mit schwerer Gerätschaft, mit Grabwerkzeugen Schaufelradbaggern Suchmaschinen die mich begleiten und helfen fündig zu werden.
Freiheit! rufe ich Freiheit! und atme die Strahlen die mir die Erde aus ihrem Herzen, aus ihren Tiefen radioaktiv entgegen pocht, sehe den Knoten der Zeit pulsieren und Lavaströme sich win-den wie Schlangen unter der harten Krustenhaut, Insekten wühlen sich panisch hinauf – an die Oberfläche hinauf und schlagen Flügel, und Pflanzen keine Wurzeln mehr. Ich bohre mich weiter tiefer und weltweit klebe ich fest wo Raubspinnen warten mit weißen Strängen tückisch das schwere duftige Erdreich durchziehen und lauern und saugen sich fest wo sie bloße Haut erfas-sen ergreifen ihr Opfer um es dem achtbein’gen Tod in die Klauen zu treiben. Hüte dich vor dem Goldgräber der dir mit scharfen Zangen die Seele aus dem Leib schneidet und sie an den Teufel verkauft der hier nur wenige Meter tiefer wohnt – so denke ich, und lächle.
Mysterien und seltsame Orte finde ich hier die von Liebe flüsternd Erfüllung versprechen doch Venus’ Lusthöhle ist längst den Grabräubern gelassen, der Tempel der Wollust entweiht im Zwielicht nackter Körper unterwirft sich glatte Schönheit lebendig dem Schleim, zerreißen mich Geilheit und Abscheu seltsam gespalten der Geist der hier so frei zu reisen gewohnt und doch gleite ich weiter, Absatz für Absatz Bild für Bild Seite für Seite jage ich dem Sinn dem Leben dem Sinn des Lebens nach.
Tief unter mir schwebt das Licht weit über mir spiegelt sich Wasser Vakuum raubt mir die Luft mein Körper quillt dem Tod entgegen – so bin ich allen Zusammenhängen entrissen. Du wirst dich nähren von deiner Hände Arbeit; wohl dir, du hast’s gut. Und so gleiten meine Finger uner-müdlich weiter über die knöchern knackende Tastatur und verstummen nicht als mein Körper schon längst verfallen verweht im Strahlenwind des Monitors. So frei schmecken Illusionen in virtueller Gegenwart wie Gebete in einer alten Kirche.
Christian Schloyer, im Frühjahr 2001
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