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Fortsetzungsgeschichte schrieb am 16.10. 2001 um 13:57:47 Uhr über

Platon

107. a) Suchen einer Kenntnis, die die Seele vom Werdenden zum Seienden führt

Willst du also, daß wir nun schon dieses überlegen, auf welche Weise wir zu solchen gelangen und wie man sie ans Licht
heraufbringt nach Art einiger, von denen erzählt wird, sie seien aus der Unterwelt zu den Göttern hinaufgestiegen? - Wie sollte
ich nicht wollen! sagte er. - Das ist nun freilich, scheint es, nicht wie sich eine Scherbe umwendet, sondern es ist eine
Umlenkung der Seele, welche aus einem gleichsam nächtlichen Tage zu dem wahren Tage des Seienden jene Auffahrt antritt,
welche wir eben die wahre Philosophie nennen wollen. - Allerdings. - Also müssen wir sehen, welche unter allen Kenntnissen
eine solche Kraft habe? - Wie sollten wir nicht! - Welche Wissenschaft also, o Glaukon, könnte wohl ein solcher Zug sein für
die Seele von dem Werdenden zu dem Seienden? Dieses aber fällt mir eben noch ein, indem ich rede: sagten wir nicht, unsere
Herrscher müßten notwendig in ihrer Jugend wackere Kriegskämpfer sein? - Das sagten wir. - Also muß ja wohl die
Wissenschaft, die wir suchen, auch dieses noch dazu haben außer jenem. - Was denn? - Kriegerischen Männern nicht
unbrauchbar zu sein. - Das muß sie, wenn es angeht. - In der Gymnastik und Musik aber sind sie uns ja zuvor schon
unterwiesen worden. - So war es, sagte er. - Und die Gymnastik hat es doch ganz mit einem Werdenden und Vergänglichen zu
tun, denn sie führt Aufsicht über Wachstum und Verfall des Leibes. - Offenbar, - Diese also wäre nicht die gesuchte
Wissenschaft. - Freilich nicht. - Aber etwa die Musik, wie wir sie früher beschrieben haben? - Aber die war ja, sagte er, ein
Gegenstück zur Gymnastik, wenn du dich erinnerst. Sie erzog durch Gewöhnungen unsere Wächter, mittels des Wohlklanges
eine gewisse Wohlgestimmtheit, nicht Wissenschaft, ihnen einflößend, und mittels des Zeitmaßes die Wohlgemessenheit,
woneben sie in Reden noch anderes diesem Ähnliches hatte, mochten es nun die fabelhafteren sein oder die der Wahrheit
verwandteren; eine Wissenschaft aber, die zu demjenigen gut ist, was du jetzt suchst, war wohl gar nicht in ihr. - Auf das
genaueste, sprach ich, bringst du es mir in Erinnerung. Denn dergleichen hatte sie in der Tat nicht. Aber, bester Glaukon, wo
wäre nun eine solche? Die Künste dünkten uns doch ingesamt unedel zu sein? - Freilich. Und was also für eine andere Kenntnis
bleibt uns noch übrig, wenn Musik, Gymnastik und Gewerbskünste ausgeschlossen sind? -

Wohl, sagte ich, wenn wir außer diesen nichts mehr finden können: so laß uns etwas von dem nehmen, was sich auf sie alle
bezieht. - Was doch? - Wie jenes Gemeinsame, dessen alle Künste und Verständnisse und Wissenschaften noch dazu
bedürfen, was auch jeder mit zuerst lernen muß. - Was denn? sagte er. - Jenes Schlichte, sprach ich, die eins und zwei und drei
zu verstehen; ich nenne es aber, um es kurz zusammenzufassen, Zahl und Rechnung. Oder ist es damit nicht so, daß jegliche
Kunst und Wissenschaft daran teilnehmen muß? - Gar sehr, sagte er. - Nicht auch, sprach ich, die Kriegskunst? - Diese nun
ganz notwendig, sagte er. - Wenigstens, sagte ich, den Agamemnon stellt doch in den Tragödien Palamedes immer als einen
ganz lächerlichen Feldherrn dar. Oder besinnst du dich nicht, daß er sagt, nachdem er die Zahl ausgemittelt, habe er die
Ordnungen dem Heer eingerichtet vor Ilion und die Schiffe und alles andere gezählt, als ob sie vorher ungezählt gewesen wären
und Agamemnon, wie es scheint, nicht einmal gewußt habe, wieviel Füße er hatten, wenn er ja nicht zählen konnte. Und was für
ein Feldherr muß er also wohl gewesen sein? - Ein gar abgeschmackter, sagte er, wenn das wahr ist. -

107. b) Geeignetheit bestimmter Wahrnehmungen zur Vernunftaufregung

Wollen wir also nicht festsetzen, daß für einen Kriegsmann Zählen und Rechnenkönnen eine notwendige Kenntnis sei? - Diese
wohl vorzüglich, sagte er, wenn er nur etwas von den Aufstellungen verstehen, ja wenn er nur ein Mensch sein soll. - Denkst du
nun, sprach ich, über diese Kenntnis eben das was ich? - Was denn? - Sie mag wohl zu dem auf die Vernunfteinsicht
Führenden, was wir suchen, ihrer Natur nach gehören, niemand aber sich ihrer recht als eines auf alle Weise zum Sein
Hinziehenden bedienen. - Wie, sagte er, meinst du das? - Ich will versuchen, sprach ich, deutlich zu machen, wie es mir
vorkommt. Wie ich aber bei mir selbst unterscheide, was ein Leitmittel zu dem ist, wovon wir reden, und was nicht, das
betrachte zuerst mit mir und stimme dann bei oder stimme ab, damit wir auch dieses deutlicher sehen, ob es so ist, wie mir ahnt.
- Zeige es nur, sagte er. -

Ich zeige dir also, sprach ich, wenn du es siehst, in den Wahrnehmungen einiges, was gar nicht die Vernunft zur Betrachtung
auffordert, als werde es schon hinreichend durch die Wahrnehmung bestimmt, anderes hingegen, was auf alle Weise jene
herbeiruft zur Betrachtung, als ob dabei die Wahrnehmung nichts Gesundes ausrichte. - Offenbar, sagte er, meinst du, was sich
nur von ferne zeigt und was nach Licht und Schatten gezeichnet ist. - Diesmal, sprach ich, hast du nicht so recht getroffen, was
ich meine. - Was also, sagte er, meinst du denn? - Nicht auffordernd, sprach ich, ist das, was nicht in eine entgegengesetzte
Wahrnehmung zugleich ausschlägt; was aber dazu ausschlägt, setze ich als auffordernd, weil die Wahrnehmung nun dieses um
nichts mehr als sein Gegenteil kundgibt, sie mag nun von nahem darauf zukommen oder von weitem. So wirst du aber wohl
deutlicher sehen, was ich meine. Dies, sagen wir also, wären drei Finger, der kleinste und hier der andere und der mittlere. - ja,
sagte er. - Und denke, daß ich von ihnen als in der Nähe Gesehenen rede. Betrachte mir aber nun dieses an ihnen. - Was
doch? - Ein Finger ist offenbar jeder von ihnen auf gleiche Weise, und insofern ist es ganz einerlei, ob man ihn in der Mitte sieht
oder am Ende und ob er weiß ist oder schwarz, stark oder dünn, und was noch mehr dergleichen, denn durch alles dieses wird
die Seele der meisten nicht aufgefordert, die Vernunft weiter zu fragen, was wohl ein Finger ist; denn nirgends hat ihnen
derselbe Anblick gezeigt, daß ein Finger auch das Gegenteil von einem Finger ist. - Freilich nicht, sagte er. - Dies wäre also
offenbar nicht die Vernunft auffordernd oder aufregend. - Offenbar nicht. -

Wie aber ihre Größe und Kleinheit? Sieht auch die das Gesicht hinreichend und so, daß es ihm keinen Unterschied macht, ob
einer in der Mitte liegt oder am Ende? Und erkennt ebenso Dicke und Dünnheit, Weichheit und Härte das Gefühl? Und zeigen
nicht ebenfalls die andern Sinne dergleichen alles nur mangelhaft an?

Oder geht es nicht jedem Sinne so, daß zuerst der über das Harte gesetzte Sinn auch über das Weiche muß gesetzt sein und
der Seele wahrnehmend Hartes und Weiches als dasselbe meldet? - So ist es, sagte er. - Muß nun nicht hierbei die Seele
zweifelhaft werden, als was ihr diese Wahrnehmung das Harte andeutet, wenn sie doch dasselbe weich nennt, und so auch die
des Leichten und Schweren, als was doch leicht und schwer, wenn sie doch das Schwere als leicht und das Leichte als schwer
kundgibt. - Freilich, sagte er, müssen diese Aussagen der Seele gar wunderlich erscheinen und näherer Betrachtung bedürftig. -
Natürlich also versucht die Seele bei dergleichen zuerst, Überlegung und Vernunft herbeirufend, zu erwägen, ob jedes solche
Angemeldete eins ist oder zwei. - Natürlich. - Und erscheint es als zwei, so ist doch jedes von beiden ein anderes und eines. -
Ja. - Und wenn jedes von beiden eins ist und beide zwei, so erkennt sie doch zwei gesonderte, denn ungesondert würde sie
nicht zwei erkennen, sondern eins. - Richtig. - Großes freilich und Kleines, sagten wir, sah auch das Gesicht, aber nicht
gesondert, sondern als ein Vermischtes. Nicht wahr? - Ja. - Um aber dieses deutlich zu machen, ward die Vernunft genötigt,
ebenfalls Großes und Kleines zu sehen, nicht vermischt, sondern getrennt, also auf entgegengesetzte Weise wie jenes. - Richtig.
- Und nicht wahr, von daher fiel es uns zuerst ein, danach zu fragen, was wohl recht das Große und Kleine ist? - Allerdings. -
Und so nannten wir dann das eine das Erkennbare, das andere das Sichtbare. - Ganz richtig, sagte er. -


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