Die Frühlingssonne hielt Erika Fingerhut nicht mehr zu Hause. Adrett gekleidet, selbstredend im Kostüm und mit Hut, machte sie sich auf um das Seerestaurant in den Weiherwiesen, einem Naherholungsgebiet am Rande von Blumstadt, zu besuchen. Bei einer normalen Tasse Kaffee wollte sie sich der Blüte der Wasserlilien erfreuen. Eine normale Tasse Kaffee, kein Aulait, kein Latte, kein Cappuccino oder wie dieser neumodische Kram sonst noch hieß, eine normale Tasse Kaffee, dachte sie. Obwohl es erst später Vormittag war, waren bereits alle Tische auf der Terrasse des Seerestaurants besetzt. Erika wollte so gerne direkt am Ufer sitzen um sich an den Wasserlilien zu erfreuen. An einem Tisch saßen bereits zwei junge Männer. Erika brach mir ihrer Zurückhaltung und fragte höflich, ob hier noch ein Platz frei währe. Sie war sichtlich erleichtert, als die beiden ihre Frage bejaten, sie zu sich baten und einer ihr sogar den Stuhl heran schob. Es gibt eben doch noch nette Menschen. Schnell kam man ins Gespräch über Gott und die Welt. Erika Fingerhut erzählte aus ihrem bewegten Leben, die beiden Männer klagten über ihre Arbeitslosigkeit nach Beendigung ihres Studiums und immerwieder lobte man die Schönheit der lieblichen Wasserlilien auf dem Weiher. Plötzlich sagte Erika, eigentlich mehr im Spaß gedacht, die beiden mögen doch eine Firma, ähnlich dem Fleurop-Prinzip gründen, und Wasserlilien züchten und verkaufen. Gartenteichbesitzer mit Sinn für das Schöne gäbe es doch genug. Es wurden an diesem Tage vier Tassen normalen Kaffees und sich freundlichst verabschiedend ging man auseinander.
Tage später sinnierten die beiden Exstudenten in ihrer Stammkneipe über Erikas Vorschlag. Es wuchs eine Idee, ein Plan, ein Vorhaben, ein Schwur. Warum sollte die alte Dame nicht Recht haben? Eine Bank war von dieser innovativen Idee sofort begeistert und gewährte umgehend einen Kredit zur Firmengründung. Die Firma WasserlilienExpress war gegründet. Bereits nach einem halben Jahr erzielte das junge Unternehmen sagenhafte Gewinne und die beiden entschlossen sich, entgegen der wirtschaftlichen Lage, ihren Betrieb in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln und an die Börse zu gehen. Mit Beginn der Zeichnungsfrist bildeten sich lange Schlangen vor den Geldinstituten. Jeder wollte Anteile von WasserlilienExpress erwerben, versprach die Firma, die mittlerweise weltweit Wasserlilien exportierte, doch horrende Gewinne. Umsatz, Gewinn und Aussichten waren atemberaubend. Es war nur noch eine Frage der Zeit bis WasserlilienExpress in den DAX aufgenommen würde. Selbst Erika, bis dato eher konservative Sparbuchbesitzerin, eröffnete ein Depot und legte sich Aktien zu. Grund hatte sie allemal. Ernannten die beiden Self-made-Millionäre sie doch zur Ehrenpräsidentin ihres Unternehmens. WasserlilienExpress kurbelte mit seinem Erfolg die gesamte Geschäftswelt an. Wasserlilien brachten den Aufschwung und Erika Fingerhut dachte noch oft bei sich, welch wunderbare Innovation, geboren bei einer normalen Tasse Kaffee und dem Farbenspiel der Wasserlilien in der Frühlingssonne.
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