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wuming schrieb am 19.3. 2003 um 13:51:38 Uhr über

Talkshows


Die Krieger aus der Talkshow

von KIRSTEN KÜPPERS

Wenn Rotary-Versammlung ist im Restaurant
»Strandlust« in Bremen-Vegesack, dann nutzen die
Männer ihre Chance und fragen drauflos. Gerade in
Zeiten wie diesen wollen vor allem die Bauunternehmer,
die Oberstudiendirektoren, die Großbäcker und all die
anderen einflussreichen Rotarier wissen, wie es
weitergeht in der Welt. Dafür haben sie sich mit ihren
Vereinskollegen in die Autos gesetzt und aufgemacht in
den Clubraum, jetzt gucken sie auf ihren Experten und
fragen und fragen: "Wann glauben Sie, kommt der
Krieg?», «Brisante Situation, was meinen Sie?», «Ist
Nordkorea nicht eine größere Gefahr für den Weltfrieden
als Saddam?"

Es dauert nicht lang, da fahren die Kellner das
Mittagessen herein und nach den Truppenaufmärschen
kommen die Biowaffen bei Fisch und Kartoffelsalat. Die
Männer sitzen an den Tischen und fragen und essen und
reden, nutzen die Gelegenheit, dass sie einen im Verein
haben wie Wolfgang Altenburg. Einen ehemaligen
Generalinspekteur der Bundeswehr und früheren
Vorsitzenden des Nato-Militärausschusses. Einen
ernsten, hochgewachsenen Herrn im dunklen Anzug.
Einen, der schon beim Nato-Doppelbeschluss dabei war
und der ganze Vorträge halten kann zur Irakkrise. Einen
Experten, der hilft, in weltpolitischen Angelegenheiten.
Nicht nur dem Rotary-Club Bremen-Vegesack.

Termine, Termine

Tatsächlich hilft General a.D. Wolfgang Altenburg derzeit
allen Menschen in Deutschland. Er tut das über das
Radio, die Zeitung, das Fernsehen. Der Terminkalender
des 74-Jährigen ist voll: Gestern hat Altenburg mit
Schülern vom Gymnasium diskutiert, vor ein paar Tagen
mit evangelischen Pfarrern, er hat eine Rede gehalten
vor Wissenschaftlern, einen Vortrag vor Soldaten, der
Weserkurier will ihn als Gastkommentator, die
Redaktion von Sabine Christiansen hat auch gefragt, ob
er kommt. Denn es ist doch so: Wenn ein Krieg droht
und es statt Bildern nur Szenarien gibt, wenn ein Thema
die ganze Welt bewegt, aber keiner sagen kann, was
passiert - dann warten die Menschen draußen vor den
Fernsehern auf etwas. Dann wollen sie wenigstens
Leute sehen, die sich hinstellen und reden, Fachleute,
die sich auskennen mit Strategien, Witterungen und
Gerät. Experten, die eine Einschätzung der Situation
haben, wenn sonst auch alles im Ungewissen hängt.

General a. D. Wolfgang Altenburg kennt sich aus. Die
Kellner im Restaurant »Strandlust« servieren die
Nachspeise, und die meisten Rotarier stecken längst
wieder inmitten von Halbsätzen über Schröders
Sanierungsprogramm und die Bremer Lokalpolitik, als
Altenburg sich noch einmal zu seinem jüngeren
Sitznachbarn beugt, ihm erklärt: "Ein Krieg ist noch zu
vermeiden." Und mit einer Stimme, die leise ist, weil sie
weiß, dass man ihr zuhört, fügt er hinzu: "Ich bin gegen
einen Irakkrieg."

Ein Profi für Christiansen

Es gibt viele, die das sagen in diesen Tagen. Aber
Wolfgang Altenburg war einmal der höchste Militär
Deutschlands. Er hat den Nato-Doppelbeschluss
gegenüber einer revoltierenden Bevölkerung vertreten,
und er hat gelernt, wie Sätze scharf und treffsicher in ein
Mikrofon zu sprechen sind. Wolfgang Altenburg ist ein
Profi, Verteidigung ist sein Geschäft. Deswegen will
Sabine Christiansen ihn für ihre Show.

Altenburg ist nicht der Einzige, der jetzt redet.
Zusammen sind sie eine kleine Gruppe. Zwei Hand voll
ältere Männer vielleicht. Allesamt ehemalige Militärs, die
sich in den Medien zu Wort melden derzeit. Sie fliegen
durch Deutschland von Termin zu Termin, bauen sich vor
Kameras auf, geben Interviews, sie telefonieren.
Pensionäre im Dienst. Vereint als Repräsentanten der
Bundeswehr. Einer Meinung sind sie deswegen nicht.

Zum Beispiel der frühere
Bundeswehr-Generalinspekteur Klaus Naumann. An
einem der vielen Abende vor einer letzten
UNO-Sicherheitsratssitzung sitzt der 63-Jährige in der
Talkshow von Maibritt Illner, liefert sich mit Innenminister
Otto Schily ein kurzes Gefecht. Es gibt ein
Studiopublikum, das tut das Gewünschte: es brummt
möglichst böse, klatscht möglichst begeistert. Wegen
der Live-Übertragung ins Land. Klaus Naumann wettert
gegen den Anti-Kriegs-Kurs der Bundesregierung. Er
erklärt: "Wenn alle Mittel der Politik versagen, muss man
auf das letzte Mittel zurückgreifen können, den Krieg."

Propaganda? Niemals!

Das klingt nicht nach fundierter Expertise. Das klingt
nach Naumanns persönlicher politischer Meinung. Von
den Stuhlreihen klatscht es und brummt. Aber als nach
der Sendung die Diskutanten gut gelaunt mit Häppchen
vom Buffet an Stehtischen im ZDF-Studio
zusammenstehen, sagt Naumann, dass er dies sehr
wohl zu trennen wüsste: "Ich betätige mich nicht als
Propagandist." Man kann das glauben. Die
Fernsehmacher nehmen es damit ohnehin nicht genau.
Das ist es ja, was sie haben wollen: dass es sich
zuspitzt in ihrem Programm, dass es Streit gibt und
Spannung. Deswegen buchen sie sie ja, die ehemaligen
Militärs, die Naumanns, Altenburgs, Reinhardts und wie
sie alle heißen. Und wie Klaus Naumann jetzt mit seinem
Getränk an einem ZDF-Tisch lehnt, die steife
Körperhaltung eingetauscht hat inzwischen gegen ein
lockeres Herumstehen mit Hand in der Hosentasche, da
sieht es aus, als fühle sich der Pensionär auch ganz wohl
in diesem Geschäft. Er wünsche sich, sagt er, dass noch
sehr viel mehr seiner ehemaligen Militärkollegen den
Weg in die Medien und die Öffentlichkeit fänden.

Das Heer der Experten

Nun muss man deswegen keine schleichende
Militarisierung unserer Medienlandschaft befürchten,
meint Bernd Gäbler. Der Medienfachmann vom Adolf
Grimme Institut hat beobachtet: "Die andere Seite
schickt auch immer wieder dieselben Kandidaten ins
Rennen." Friedensforscher und Pazifisten seien in den
Medien genauso stark vertreten wie die ehemaligen
Militärs. Bemerkenswert, meint Gäbler, sei vielmehr die
Zunahme des Expertenwesens in den Medien ganz
allgemein. Im Wettlauf um quotensichere
Kriegsberichterstattung gebe es Sender, die ihre
Fachleute bereits jetzt für die gesamte Dauer einer
Irak-Intervention exklusiv gebucht und verpflichtet haben,
eine im Übrigen im amerikanischen Fernsehen längst
gängige Praxis.

Nach vielen Handschlägen älterer Männer mit
Rotary-Nadeln an den Jackets ist General a. D.
Wolfgang Altenburg wieder in seinem Einfamilienhaus
nach Bremen-Nord gefahren, nun sitzt er mit seiner Frau
im Wohnzimmer und redet von der Hoffnung, die er noch
hat. "Für die USA ist ein Verzicht auf Krieg nicht mit
einem Gesichtsverlust verbunden", sagt er. Die unter
dem Druck des Militäraufmarsches am Golf
vorgenommenen Inspektionen hätten zu Erfolgen geführt.
Die Inspektoren müssten weiterarbeiten, ihre Mittel
müssten verbessert, die Untersuchungen intensiviert
werden. Und mit all der entschlossenen Autorität, die ein
Leben im militärischen Sicherheitsapparat in der
Stimme eines Mannes hinterlassen kann, schiebt er
hinterher: "Wissen Sie, ich bin kein Pazifist. Aber gegen
diesen Krieg bin ich trotzdem."

Das Telefon klingelt. Und als er den Hörer wieder
aufgelegt hat, ist ein neuer Beweis erbracht, dass die
Anfragen zugenommen haben in letzter Zeit. Man kann
fragen, wo das herkommt, diese plötzliche Präsenz der
Bundeswehr, wo die Deutschen doch immer schnell
Schwierigkeiten hatten mit ihrem Militär. Und der Mann
im Sessel antwortet, dass diese Entwicklung gar nicht
so neu ist, sondern mit ihm selbst, Wolfgang Altenburg,
in den 70er-Jahren seinen Anfang genommen hat:
"Davor war ein Soldat gewohnt, dass er außerhalb der
öffentlichen Meinung steht. Ich war der erste
Generalinspekteur der Bundeswehr nach 1945, der im
Zweiten Weltkrieg kein aktiver Soldat mehr gewesen ist.
Deswegen konnte ich unbefangener auftreten. Und mit
dem Verfolgen der Nuklearstrategie war es auf einmal
notwendig geworden, diese Politik auch gegenüber der
Öffentlichkeit zu kommunizieren." Er lächelt, die Hände
liegen im Schoß. "Wenn Sie so wollen, gehörte ich also
zu den Ersten, die so intensiv in der Öffentlichkeit
aufgetreten sind."

Momente historischer Größe

Da war es wieder - dieses Aufblitzen historischer
Bedeutsamkeit im Blick. Und wahrscheinlich kann er das
nicht lassen, diese kleinen Gesten der
Selbstvergewisserung. Diese unbewussten
Bewegungen, die einen begleiten, wenn die eigene
Person einmal näher dran war an den großen Momenten
der Geschichte als das gewöhnliche Volk. Wenn
Wolfgang Altenburg ins Erzählen gerät, haben mächtige
Politiker nur Vornamen wie Bill oder Manfred oder Colin.
Wie es war, mit Gorbatschow beim Tee, kann Altenburg
erzählen, warum die Generäle geputscht haben in
Moskau, und mit einem eleganten Schlenker findet er
doch noch zurück zum Thema: "Ich weiß nicht, ob es was
bewegt, was ich sage. Aber es könnte ja was bewegen.
Das hoffe ich sehr." Neben ihm am Couchtisch sitzt
seine Frau und nickt. Und ganz nebenbei bekommt man
eine leise Ahnung, wie es früher gewesen sein muss als
Ehefrau eines Vorsitzenden des
Nato-Militärausschusses. Wenn man 18-mal umziehen
muss als Familie, wenn die Bodyguards mit im Haus
wohnen, wenn nachts das Telefo klingelt und dran ist ein
Staatschef, der dringend den Gatten sprechen will.

taz Nr. 7008 vom 19.3.2003, Seite 8, 273 Zeilen
(TAZ-Bericht), KIRSTEN KÜPPERS


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