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14.02.2003
Michael Jäger
Die Schwelle auf Null
bringen
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KRISE DES KANZLERSDie SPD-Linke lässt sich
schnell beruhigen
Die Wahlen vom 2. Februar haben die innenpolitische
Konstellation verändert. So wird es der Kanzler mit dem
Bundesrat schwerer haben. Bei einem Stimmenverhältnis von 41
zu 28 zwischen Unions- und SPD-geführten Ländern ist Schröder
die Option abhanden gekommen, einzelne
Unions-Ministerpräsidenten mit Finanzgeschenken zu ködern und
allein dadurch die Bundesrats-Mehrheit fallweise zu kippen. Aber
das ist nur eine der Folgen, die sich in der Woche danach
abzeichneten, und nicht die gravierendste. Verschiedene
Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat hat es ja schon häufiger
gegeben. Beispiellos ist jedoch das Ausmaß des Vertrauens- und
Legitimationsverlusts, den Schröders Politik erlitten hat. Jetzt ist
klar: So wie bisher kann es nicht weitergehen. Doch was wäre die
zukunftsfähige Konsequenz?
Die Wähler haben entschieden, mit einem Sieg bei den
Bundestagswahlen sei Schröders Widerstand gegen den
Irakkrieg genug belohnt. Am 2. Februar trugen sie ihren Unmut
über die Wirtschafts- und Sozialpolitik nach. Die SPD verliert ihre
Klientel: In Niedersachsen sank sie bei Arbeitern um 24, bei
Angestellten um 17, bei Arbeitslosen um 22, bei Gewerkschaftern
um 14 Prozentpunkte. In Hessen waren die Verluste geringer, weil
die SPD aus der Opposition heraus agierte, aber immer noch
hoch: bei Arbeitern 16, bei Gewerkschaftern acht Punkte. Die
Zahlen sind so drastisch, dass die SPD sich mit Vorboten einer
Zerreißprobe konfrontiert sieht. Den Grund braucht niemand lange
zu suchen oder sich erst von Lafontaines Bild-Kolumne erklären
zu lassen. Es ist Schröders neoliberaler Kurs, der die
Arbeitslosigkeit nicht senkte. Nun treten Konfliktlinien in der SPD
hervor. Zum einen gehen sozialdemokratische
Gewerkschaftsführer auf Distanz zur Partei. An Schröders
»Bündnis für Arbeit« wollen sie sich nicht länger beteiligen. Sie
sind über seinen Zynismus empört.
Es ist das alte Lied: Vor der Bundestagswahl glaubten sie die
Union abzuwehren, wenn sie sich zum Beispiel gegen die
Abschaffung des Bundesarbeitsministeriums wandten. Die
angekündigte Unterordnung des Arbeits- unter das
Wirtschaftsressort mache deutlich, welchen Stellenwert Arbeit und
Soziales unter einer christlich-liberalen Regierung hätten, sagte IG
Metall-Chef Klaus Zwickel am 28. August 2002. Tatsächlich setzte
dann Schröder die »Zerschlagung« (so die FAZ vom 6.
Dezember 2002) des traditionell gewerkschaftsgeführten
Ministeriums durch. Weiter hatte Zwickel gesagt, mit ihrem Angriff
auf die Tarifautonomie verabschiede sich die Union von
Grundwerten, »die unter Helmut Kohl noch zu ihrem
Selbstverständnis gehörten«. Jetzt ist es der Sozialdemokrat und
neue Superminister Clement, der über eine Aufweichung des
Flächentarifvertrags nachdenkt. Dabei ist »Denken« eigentlich zu
viel gesagt. Es geht mehr um Demagogie und Klassenkampf von
oben. Durch Clements »Nachdenklichkeit« wird suggeriert, der
DGB stelle sich Sonderregelungen für bedrohte
Kleinunternehmen entgegen. Aber Sanierungstarifverträge und
Härtefallklauseln sind schon heute eine Option. Der DGB
verhindert nur, dass für Lohnsenkungen Härtefälle in Anspruch
genommen werden, die gar keine sind. Denken, Urteilen,
sachliches Problemlösen findet man nicht bei Clement, sondern
fand man bei Zwickel, wenn er auf die Erpressbarkeit von
Belegschaften hinwies. Wer Betriebsräten Tarifverhandlungen
zumute, müsse ihnen auch das Streikrecht geben, forderte er
seinerzeit in der Annahme, sein Gegner heiße Lothar Späth.
Zum andern treten Regierungs- und Fraktionsmitglieder der SPD
gegeneinander an. Es ist schon ein fatales Signal für Schröder,
wenn sich gegen Clements totale Prinzipienlosigkeit der
Fraktionsvorsitzende Müntefering, vor kurzem noch Schröders
rechte Hand, erheben muss. Reformen seien Instrumente und
nicht Selbstzweck, teilte er in einem Offenen Brief mit. Der dritte
Konflikt ist zwischen Parteilinken und -rechten ausgebrochen. Die
Linken forderten einen Sonderparteitag und legten ein
Strategiepapier vor, in dem sie eine Abkehr von Hans Eichels
Sparkurs verlangten. Vielmehr solle der Staat sich verschulden
und durch staatliche Investitionsprogramme die Massenkaufkraft
anregen. Die drei Konflikte haben offenbar denselben Inhalt. Es
wird eng für Schröder, weil sie sich wechselseitig aufladen.
Und doch ist es bisher nur der gewohnte Stress. Denn die linken
Forderungen sind nicht neu. Auch wer sie aktuell für richtig hält,
wird nicht glauben, sie führten aus der Dauerkrise der
Arbeitsgesellschaft heraus. Dazu müsste einem schon mehr
einfallen als Staatsschulden. So überrascht es auch nicht, dass
Schröder den Protest im Handumdrehen integrieren konnte. Nach
der Parteivorstandssitzung am Montag glaubten die Linken, der
Kanzler sei ihnen genügend entgegengekommen. Er hatte
geäußert, ein Irakkrieg würde sich auf die wirtschaftliche Lage in
Europa auswirken und könne damit auch Eichels Kurs und
letztlich das Drei-Prozent-Kriterium von Maastricht in Frage
stellen. Darüber soll mit Frankreich und Großbritannien
gesprochen werden. Auf dem Sonderparteitag bestanden die
Linken nicht.
Man sieht inzwischen den Hintersinn der von der Union
angestrengten »Wahllügen«-Kampagne. Als sie begann, sprach
noch gar nichts für Schrödersche Lügen, aber dann,
eingeschüchtert durch die Kampagne, begann der Kanzler aufs
Gegenteil dessen umzuschwenken, was er vor den Wahlen
gesagt hatte. Die wirklichen Lügen erscheinen nun nicht mehr als
solche. Am 18. September 2002 hatte die FAZ die
Wahlprogramme zur Gesundheitspolitik gegenübergestellt.
»SPD: Solidarische Krankenversicherung. CDU: Solidarische
Krankenversicherung. Grüne: Solidarische Krankenversicherung.
FDP: Leistungskatalog der gesetzlichen Versicherung begrenzen
und kürzen.« Ist denn Westerwelle Kanzler geworden? Das war
unnötig, sein Programm siegte von selbst. Die Neoliberalisierung,
der langfristige Trend, geht weiter; wie eh und je ist Schröder sein
Büttel.
Die Union schwelgt schon in Vorschlägen für den
»Reformkonsens«, den der Kanzler nach Verhandlungen im
Bundesrat umsetzen soll. Das Gesetz mit dem zwar langen, aber
korrekten Namen »Steuervergünstigungsabbaugesetz«, nach
Unions-Sprachregelung ein Steuererhöhungsgesetz, will sie
stoppen. Eine Aufhebung des Bankgeheimnisses bei
Kapitalflüchtlingen, deren Geld durch niedrige Sühnesteuersätze
nach Deutschland zurückgelockt werden soll, lehnt sie ab, und die
von der Regierung geplanten Sätze sind ihr längst nicht niedrig
genug. Während die Regierung die Arbeitslosenhilfe deutlich
senken und nicht mehr ohne Gegenleistung gewähren will, will die
Union sie ganz abschaffen und durch Sozialhilfe ersetzen.
Während Clement, wie gesagt, über weniger Kündigungsschutz
»nachdenkt«, hat die Union schon im Bundestagswahlkampf für
dessen Ersetzung durch ein »Optionsmodell« plädiert.
Damals hieß es noch, neu eingestellte Ältere sollten zugunsten
einer Abfindung auf den Kündigungsschutz verzichten können. Am
Montag dieser Woche wurde die Idee, die inzwischen auch im
Kanzleramt umläuft, verallgemeinert. Jetzt soll sich jeder neu
Eingestellte für die Abfindung entscheiden »dürfen«. Natürlich
ohne Beteiligung einer Gewerkschaft, die Schutz vor Erpressung
spenden könnte. Die Union erneuerte am selben Tag auch ihren
Angriff auf den Flächentarifvertrag. Wenn Belegschaft und
Betriebsrat eines Unternehmens mit Zweidrittelmehrheit von ihm
abweichen, soll es der Gewerkschaft verwehrt sein, ein Veto
dagegen einzulegen, es sei denn, sie entscheiden sich für eine
Regelung mit längerer Laufzeit, als der Flächenvertrag sie hat.
Großspurig nennt die Union ihre Vorstöße einen »Stufen-Plan für
eine nationale Kraftanstrengung«. Worum es ihr geht, wird in der
Auskunft ihres Wirtschaftssprechers Laumann deutlicher: »Bei
der jetzigen Arbeitslosigkeit wollen wir die Schwelle, dass Leute
eingestellt werden, auf Null bringen.« Der Satz ist zweideutig.
Was wollen sie auf Null bringen: die Arbeitslosigkeit oder die
Schwelle - den Arbeiterschutz? Auf jeden Fall letzteres. Dass
durch irgendeine der Maßnahmen auch mehr Arbeitsplätze
geschaffen werden, glauben wohl nur wenige im Ernst. Es sind
schon so viele Schwellen weggetreten worden.
Wenn es wirklich um Maßnahmen ginge, die sachdienlich sein
sollen, würden die Argumente der Gewerkschaften gehört und
berücksichtigt werden. Das geschieht nicht. Es geht vielmehr um
Klassenkampf. Die Unternehmer wollen weniger Geld geben,
entsprechend sollen die Arbeitslosen weniger bekommen. Den
Arbeitern sollen Schutzrechte genommen werden, damit die
Unternehmer tun und lassen können, was sie wollen. So einfach
ist das. Aber dass der schamlose Raubzug unter einer
SPD-Regierung besser vorankommt als unter Altkanzler Kohl, ist
und bleibt ein Skandal. Wie kann sich die SPD-Linke damit
zufrieden geben, dass Schröder eine Verletzung der
Maastricht-Kriterien in Aussicht stellt? Im Kriegsfall! Dieser
Kanzlerplan unterstreicht nur unsere Diagnose. Es ist gar nicht
sein Plan. Er hat ihn nur seiner Hauslinken bei passender
Gelegenheit bekannt gegeben. Dem Spiegel entnehmen wir,
dass die G 7 darauf vorbereitet ist, im Kriegsfall die
Weltwirtschaftskrise auszurufen und ihre auf Sparsamkeit
ausgerichtete Finanzpolitik dann zu beenden. Schröderscher
Gespräche mit Frankreich und Großbritannien bedarf es dazu
nicht. Das Szenario ist deshalb interessant, weil es zeigt, wie
leicht die Mächtigen ihre kapitalfreundliche und arbeiterfeindliche
Politik unterbrechen können, wenn sie einmal befürchten müssen,
der Unmut der Massen könnte das gewöhnliche Maß
überschreiten.
Eine zukunftsfähige Linke müsste hier ansetzen. Sie hätte vom
Klassenkampf zu sprechen. Nur wenn nicht länger verschwiegen
wird, dass Vorschläge zum Abbau der Arbeitslosigkeit - und
vielleicht der Arbeitsgesellschaft überhaupt - mit
Klasseninteressen übereinstimmen oder kollidieren, kann es zu
Ideen kommen, die einen Streit lohnen.
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