Schömberg saß beim Frühstück in seinem Campingbus - tief eingeschneit in einem finsteren Tal des Thüringer Waldes. Über einen halben Meter hoch lag der Schnee, und nur dem Windschatten eines leerstehenden alten Hotelgebäudes war es zu verdanken gewesen, daß Schömberg seinen Bus noch verlassen konnte, ohne die Tür gegen den Schnee zu stemmen. An den äusseren Ecken des Busses lag er schon bis an die Stoßstangen. Schömberg hatte den Batterieladestand überprüft, und den Motor angeworfen, obschon dafür keine unmittelbare Notwendigkeit bestand. »Sicher ist sicher !« sprach Schömberg zu sich selbst, als er den Anlasser betätigte. Ausserdem dachte er sich, damit die Aggregate seines Campingbusses vor dem Einfrieren schützen zu können. Das sanfte Vibrieren des Diesels beruhigte ihn ebenso, wie der Darjeeling-Tee und die Himmbeermarmelade. Selbst der Orangensaft fehlte nicht. Schömberg hatte schon am Abend an eine Erzählung denken müssen, die er auf dem Gymnasium hatte lesen müssen. »Bergkristall« von Adalbert Stifter. Eine romantische Geschichte von zwei Kindern, die in einem solchen Schneesturm verloren gehen, sich in eine Höhle retten konnten und schließlich von einer Suchmannschaft ihres Dorfes gefunden wurden. Schömberg betrachtete seinen Bus als kompfortable Höhle, und fand es auf einmal als ganz angenehm, im Gebirge eingeschneit zu sein, auch wenn es nur der Thüringer Wald war. Sehr tröstlich für ihn war auch, daß handynetz und Autotelefon wieder funktionierten. Das Schneetreiben hatte aufgehört, nur gelegentlich lösten sich dünne Flocken aus dem griesig-grauen Morgenhimmel. Nach dem Frühstück und dem obligaten Toilettengang kuschelte sich Schömberg wieder in sein Bett im Heck des Busses, setzte sich recht hoch auf, und sah über die Schneeflächen, die Ruinen um ihn herum. Er versuchte sich an einer Vorstellung des Anwesens, wie es früher gewesen sein mochte, als hier noch »Betrieb« gewesen war. Damals, so schätzte Schömberg, hätten Ferienkinder gejauchzt über soviel Schnee, Schneemänner gebaut, Schneeballschlachten veranstaltet. Wie baut man einen Schneemann ? Schömberg hatte nur undeutliche Erinnerungen aus seiner Kindheit an diesen Vorgang. Man pappt eine Art großen Schneeball zusammen, wälzt ihn durch den Schnee, so daß er an Volumen und Umfang zunimmt, und setzt dann mindestens drei dieser Kugeln aufeinander. Schömberg schlürfte seinen heissen Tee und stellte sich vor, wie es wäre, so einen Schneemann zu bauen. Er war nunmehr 47 Jahre alt, und der letzte Schneemann seines Lebens lag mindestens 40 Jahre zurück. Ob er es noch einmal tun sollte ?
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