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solarschule schrieb am 4.3. 2003 um 03:26:31 Uhr über

KeinMenschIstIllegal

frage und gewissen wohlfahrtsstaatlichen Garantien, die all, samt auch ein rigides Regime der Außengrenzen bedurften. Dieses diente klar umrissenen Zwecken: Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte, Massentourismus als kurze Erholung von der Schufterei für Auto und Eigenheim oder Asylpolitik als Waffe im Kalten Krieg.
Heute ist es mit all dein nicht mehr weit her: Schon vor der Krise der Staatsgrenzen gerieten die Einschließungsmilieus innerhalb der Gesellschaft zusehends in ]Bedrängnis: Schule, Militär, Universität, Fabrik, Hospital, Irrenanstalt, Gefängnis waren die Stationen, die das Individuum in den @Disziplinargeselischaf. ten» (Michel Foucault) zu durchlaufen hatte. Lebenslanges Lernen, Heim- und Zeitarbeit, häusliche Krankenpflege, aber vor allem neue Bestrafungsformen wie Arbeitsverbot, Platzverweis, Residenzpflicht und elektronisches Halsband deuten in eine andere Richtung. Es handelt sich um «Formen permanenter Kontrolle in offenen Milieus, daß uns die härtesten Internierungen zu einer freundlichen und rosigen Vergangenheit zu gehören scheinen" (Gilles Deleuze).
Was sich abzeichnet, ist, daß immer mehr Menschen, anstatt einfach physisch ein- oder ausgesperrt zu sein, dynamischen und recht differenzierten Restriktionen hinsichtlich ihres Verhaltens und Aufenthaltsortes unterworfen sind: Aussiedlern, Flüchtlingen, Migrantenkindern, Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern, ehemaligen oder potentiellen Häftlingen werden territoriale Beschränkungen und Schikanen auferlegt, deren Oberwachung unablässige und praktisch überall mögliche Kontrollen erfordert. Asylbewerber dürfen gar den Landkreis, in dem sie untergebracht werden, ohne Genehmigung grundsätzlich nicht verlassen. Sie dürfen nicht arbeiten und viele von ihnen werden

seit 1. September 1998 pauschal von Sozialleistungen ausgeschlossen.

Am Beispiel des Asyls läßt sich die Krise der Einschließung wahrscheinlich auch am eindrucksvollsten umreißen. Das Asyl, einst Ort, an den sich die Recht- und Heinatlosen flüchteten, wurde im 19. Jahrhundert zur Metapher für Einsperrung und Isolierung. Die faktische Abschaffung des deutschen Asylrechts

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vor fünfjahren wurde mithilfe der »Flughafenregelung«, die ein extraterritoriales Gebiet mitten im Land konstruiert, und vor allem der »Drittstaatenregelung'@ vollzogen, die anstelle der politischen Motive den Fluchtweg zum Kriterium der Asylverweigerung macht. In bestechender Logik ist Deutschland ausschließlich von sicheren Drittstaaten umgeben, die sich zudem ihrerseits solcher Winkelzüge bedienen. Flüchtlinge müssen die Grenzübertritte also so gut wie möglich verwischen, die Einreise ist nurmehr auf illegalem Wege möglich, und Asylsuchende sind in den meisten Phasen ihrer nicht enden wollenden Flucht Illegale«, bedroht von Denunziation, Ent-

deckung und Ausweisung.
Das Schengener Abkommen von 1985 und das Durchführungsabkommen von 1990, ursprünglich gepriesen als verpflichtungserklärung zum Abbau der Grenzkontrollen, fungieren tatsächlich als Wegbereiter eines neuen Kontroll- und Überwachungsapparates, der wesentlich flexibler ist als das herkö-mliche Grenzregime. Die alte Staatsgrenze, nunmehr Schengener Binnengrenze, die laut § 2 des Abkommens eigentlich abgeschafft werden sollte, verschwindet nicht oder verwischt nicht einfach. Die Grenze faltet und vervielfacht sich, verschiebt sich nach vorne und nach hinten, in Dritt- und Viertländer, sowie ins Landesinnere. Verdachtsunabhängige Kontrollen werden seit dem Inkrafttreten des neuen Bundesgrenzschutzgesetzes am 1. September 1998 nicht nur in der 30-Kilometerzone hinter der eigentlichen Grenzlinien sondern auf allen Bahnhöfen, Flughäfen, Zügen und sogar S-Bahnen praktiziert. Überregionale Verkehrswege, selbst Nebenstraßen und Innenstädte haben die Polizeigesetze vieler Länder bereits in ihre Definition vom Grenzraum eingeschlossen. Neue EU-Pläne teilen das gesamte Europa gar in Zonen unterschiedlicher Kontrolldichten auf, um Migrationsbewegungen frühzeitig zum Stoppen zu bringen, weil diesen mit dem herkömmlichen Instrumentarium angeblich nicht Herr zu werden sei.
Und so verweist das Ende der klassischen Grenzüberwachung vor allem auf eine wenig erfreuliche Weiterentwicklung der vorherrschenden Machttechnik: Die Disziplinargesellschaft ist von

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