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wuming schrieb am 1.5. 2003 um 00:05:21 Uhr über

Einladung


Detlef Hartmann
Empire: Einladung der Linken in
eine neue konservative
Revolution
05/02

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Wird sie folgen? Als uns vor fast zwei Jahren der Text von Hardt/Negri (im
folgenden H/N) »Empire«(2) zur Begutachtung für eine Publikation vorlag, machten
wir aus unserer entschiedenen Ablehnung keinen Hehl. Wir hatten Negriës
Entwicklung nach rechts über die Jahre verfolgt. »Empire« lag im Trend. Wir
meinten, dies sei eine Zumutung für die Linke, sie würde den Text rechts liegen
lassen. Tut sie das? Es gibt eine Diskurshype, die jetzt auch Deutschland erreicht
hat. Viele sind unsicher, sie fühlen sich von H/Ns akademischen Inszenierungen
erschlagen. Aus vielen Reaktionen wird deutlich, dass die Geschichte radikaler
linker Theoriebildung der 70er und 80er Jahre nicht mehr ausreichend präsent ist,
um die Veränderung bei H/N einordnen zu können. Viele mögen ó von der Phase
postmoderner Individualisierung ausgelaugt ó einfach dem prophetischen
propagandistischen Rausch von H/Nís Visionen über das kollektive Aufgehen in
produktiven Gemeinschaftskörpern berauscht sein. Endzeitvisionen dieser Art:

"Produktion lässt sich nicht mehr von Reproduktion unterscheiden, die
Produktivkräfte verschmelzen mit den Produktionsverhältnissen; fixes
Kapital findet sich zunehmend innerhalb des zirkulierenden Kapitals, in
den Köpfen, Körpern und in der Kooperation der
Produktionsmaschine. Die gesellschaftlichen Subjekte sind zugleich
Produzenten und Produkte dieser Einheitsmaschine.In dieser neuen
historischen Formation lassen sich keine Zeichen, kein Subjekt, kein
Wert, keine Praxis mehr ausmachen, die »außerhalb« liegen." (S.392)

"Die Menge benutzt nicht nur Maschinen zur Produktion, sie wird auch
selbst zunehmend zu einer Art Maschine, da die Produktionsmittel
immer stärker in die Köpfe und Körper der Menge integriert sind."
(S.413)

In der Tat: in dieser Beschwörung des Aufgehens aller und ihrer produktiven
Kräfte im Gemeinschaftskörper der produktiven Gesamtmaschine liegt die
Grundbotschaft des Buchs, es beginnt mit ihr und steigert sie zu
poetisch-propagandistischem Rausch. Das riecht totalitär, doch dazu unten.
Zunächst: wie kommen H/N zu dieser Verkündigung?

Der Weg in den Gemeinschaftskörper

Die Frage, welchen Weg H/N beschreiten müssen, um den Leser zu solchen
Botschaften zu führen, ist eine Frage der Methode und Rhetorik. Wir wissen: der
Blick macht den Gegenstand, die Methode das Ergebnis. Fängst du mit den
kämpfenden Subjekten in ihrer Auseinandersetzung mit den Gewaltformen der
Verwertung an, dann bleiben sie die Subjekte und du gelangst zu ihren
Befreiungsperspektiven und óchancen. Fängst du mit dem Blick aus der
Perspektive der Macht und Herrschaft an, dann verschwindet das Eigene der
kämpfenden Subjekte unter dem Mantel von Souveränität, Kontrolle, Technologien
und Gesamtvision. Negri ist ein geschulter Linker, mit allen dialektischen und
rhetorischen Wassern gewaschen, Hardt vielleicht eine Schattierung plumper. Sie
wählen den Blick von oben, ohne sich mit Fragen der Methode erst aufzuhalten,
und dies mit einer geradezu unverschämten Penetranz. Schon die Überschriften
prägen die Stempel auf die lesenden Gehirne: Weltordnung, Modell imperialer
Autorität, Hoheitsrechte, Passagen der Souveränität, imperiale Souveränität.
Wenn nach dem Einschleifen dieser Perspektive dann auch Menschen als "die
Menge" (im Original: multitude) in den Blick genommen werden, dann wähnt man
die LeserIn didaktisch aufbereitet für die Propaganda des das Aufgehens aller im
Körper der produktiven Gesamtmaschine.

H/N lassen Geistesgrößen aus drei Jahrtausenden als bildungsbürgerliche
Reservearmee für sich aufmarschieren. Trotzdem ist die rote Linie der
Gedankenführung eher simpel. Die Weltordnung des »Empire« nährt sich aus der
Entfaltung der postmodernen Produktivkräfte óinformatischer und aus
immateriell-affektiver Arbeit gewonnener Vernetzung- zur vollen globalen
Souveränität. Im höchsten Stadium der Machtreife wird es von der totalen Macht
befreiter Arbeit als parasitär abgestreift und gibt der Entfaltung und dem Aufgehen
aller in der produktiven Gesamtmaschine Raum. Der grundlegende Widerspruch
und Widerstand geht im Strom der gemeinschaftlichen Selbstverwertung auf und
gibt die Form der Verneinung, der Negation auf. Diese wird begrifflich der
»Ontologie« einverleibt, in Kategorien des Seins gefasst und daher getilgt: "Es gibt
kein Außen mehr"(passim, insbes. 73-79).

H/N vertrauen zur Aufprägung dieser plumpen Linie nicht allein auf das
Einschleifen der Herrenperspektive, der Perspektive der Souveränität und der
Macht. Bei allem Zuspruch aus der Rechten wendet sich das Buch auch an Linke,
die ja immerhin andere Perspektiven pflegen. Sie müssen daher auch deren
Vertreter und deren Begrifflichkeit Rechnung tragen, sie zumindest berühren. Und
hier setzen sie atemberaubende Fälschungen und Manipulationen an. Zentral ist
die Umfälschung der Arbeiten von Michel Foucaults. Von ihm entlehnen sie den
Begriff »Biopolitik« und »Biomacht« und werten ihn gegen seine Intentionen um 180
Grad um.

Das Empire als »apriorisches« Diktat.

Schon das erste Kapitel prägt unmissverständlich den Blick von oben auf und
damit den Charakter ihrer Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Gleich
der allererste Satz bläst die Leitmusik: "Empire (die wörtliche Übersetzung mit
»Reichsidee« scheint in Deutschland zu brisant) ist als Untersuchungsfeld durch
die simple Tatsache bestimmt, dass es die Weltordnung gibt." Nicht, dass das
Kapital versucht, den neuen Bewegungen und krisenhaften Prozessen eine
Herrrschaftsstruktur aufzuprägen, die sich ideologisch am Weltordnungsgedanken
orientiert o.ä., nein: »dass es eine Weltordnung gibt«, dass sie ist, ontologisch.
Diese Vorprägung wird im ersten Kapital Schlag auf Schlag vertieft: die
Verfasstheit des Empire wird als »Rechtsordnung« gesetzt. H/N nehmen Bezug auf
den Rechtspositivisten Hans Kelsen, mit dem sie das Recht in seiner reinen
Positivität und durch keine Rechtfertigungsnotwendigkeit relativiert sehen wollen.
Nichts gegen Kelsen. Ich erinnere mich mit Vergnügen an die Diskussionen, die
wir im Seminar von Albert Ehrenzweig im aufrührerischen Berkeley der 68er Jahre
mit ihm haben führen können. Da war allerdings keine Rede von der
Machtperspektive, zu der Negri ihn vernutzt. Zur Debatte standen Widersprüche
der »reinen Rechtslehre«. Gewappnet mit soviel hoheitlicher Setzung von Recht
und Ordnung setzen H/N positiv auch das »Empire« als Machtraum für das
Anwachsen der produktiven Gesamtmaschine. Sie beziehen sich auf das
imperiale Selbstverständnis des römischen Reichs und sagen, das Empire ist da,
es setzt sich selbst oder, was dasselbe ist, H/N setzen es, im "Modell imperialer
Autorität». Das «Empire" wird damit nicht nur als vorgefunden behandelt, das
»imperiale Paradigma« wird als »Apriori des Systems« gesetzt, so, "als ob die
neue Ordnung bereits konstituiert wäre".(S. 30). Die Verwendung des Begriffs
»Apriori« spiegelt das Machtdiktat wider. Er hat seinen Platz in der
bürgerlich-philosophischen Grundlegung einer Metaphysik der Erkenntnis. Er
bedeutet hier: logisch der Erfahrung vorangehend, von ihr unabhängig, von
vorneherein gesetzt und gültig. Was uns die philosophieerfahrenen H/N hiermit
sagen, ist: Sie willküren die Idee des Empire, des Reichs und seiner expansiven
Natur (dazu unten) zum unbedingten Ausgangspunkt ihrer Darstellungen,
unbedingt von Analysen, Erfahrungen, vom politischen Diskurs, unbedingt von
Kämpfen, ihrer gesellschaftlichen Wirklichkeit, absolut eben. »Apriori« wird hier
zum philosophisch-metaphysischen Ausdruck für den Ausgangspunkt der von
jeder Rechtfertigung und Rechtfertigungsdiskussion entfesselten Macht: "Der
Formationsprozess, inklusive der in ihm handelnden Subjekte, wird von
vorneherein in den positiv bestimmten Strudel des Zentrums gezogen, und der
Sog ist schließlich unwiderstehlich. Der Sog geht nicht allein auf die Mittel des
Zentrums zurück, Gewalt auszuüben, sondern auch auf die formale Macht, die ihm
innewohnt, die Macht, totalisierend, systematisierend zu wirken." (S.30) Schon
hier wird der Charakter einer Selbstentfesselung im Anspruch auf Gewalt deutlich.
Und dann der erste Eklat, der jedem Antifaschisten die Haare zu Berge stehen
lässt. H/N greifen bei der Frage der Praktiken zur Durchsetzung der Reichsidee
und supranationaler Ordnung ohne Zögern und falsche Scham auf Carl Schmitt
zurück. Carl Schmitt war der führende Verfassungsrechtler der Nazis gleich zu
Beginn des 3. Reichs, eine besondere Rolle spielte seine Theorie des
Ausnahmezustands. Hier knüpfen H/N an. "Inneres und supranationales Recht sind
durch den Ausnahmezustand definiert. Die Funktion der Ausnahme ist hier
zentral." (S. 32) Wer die Definitionsmacht über den permanenten
Ausnahmezustand ergreife, setze Polizeió und Interventionsrecht. Die Rolle
Sdchmitts im NS ist für H/N kein Thema. Vertrauen sie darauf, dass auch die
Linke schon soweit ist?

Die Vergewaltigung des linken Foucault.

Jetzt erst, nachdem das Paradigma des Empire durch »apriorischen« autoritativen
Akt gesetzt ist und wir "einen flüchtigen Blick auf Momente einer idealen
Entstehungsgeschichte des Empire" (S. 37) geworfen haben, wenden sich H/N
seiner Begründung in »materiellen Bedingungen« zu. Das ist so, wie wenn Marx
die Bedingungen kapitalistischer Ausbeutung aus der Staatsidee hergeleitet hätte
(wir wissen, wie heftig er seit seinen frühen Schriften ununterbrochen dagegen
polemisiert hat). Es leuchtet ein, dass der Ausgangspunkt vom Unbedingten, vom
Apriori imperialer Gewalt auch hier keinen grundsätzlichen Widerspruch dulden
kann. Ausgehend von Michel Foucaults Arbeiten der 70er Jahre, machen sie
dessen Begriff der »Biomacht« zum Kern des Empires als produktive
Gesamtmaschine aus Milliarden Körpern und Hirnen. H/N`s Zurichtung Foucaults
für diese Zwecke hat mir den Atem geraubt. In ihrer Verfälschung und Manipulation
liegt ein Knotenpunkt für den Fortgang der Darstellung bis in ihren faschistoiden
Ausdruck hinein. Darum müssen wir uns etwas genauer damit beschäftigen.

Foucault hat den Begriff der »Biomacht« und »Biopolitik« entwickelt, um der
Intensivierung der Machtbeziehungen im Wege der Durchdringung und Zurichtung
der Gesellschaft seit Beginn der Aufklärung Rechnung zu tragen: in den Knästen
der Machtdurchdringung der Subjekte und Körper im Wege der Disziplinierung
Überwachen und Strafen«), ähnlich in den Schulen, in der Fabrik, in Familie und
sexuellen VerhältnissenSexualität und Wahrheit«).

Durchdringung mit dem Ziel der Unterwerfung und ökonomischen Inwertsetzung
zugleich. Ihm ging es vor allem darum, zu einfache Vorstellungen von Repression
und Befreiung eines gegebenen Subjekts zu überwinden. H/N knüpfen an
Foucaults Vorstellungen vom "biopolitischen Charakter des neuen
Machtparadigmas an"(S. 38). Sie tun dies in einer Weise, dass sie diesen
Charakter völlig verfälschen und den von Foucault beabsichtigten
praktisch-emanzipatorischen Sinn ausmerzen: "...wenn Macht vollkommen
biopolitisch ist (wird) die Gesellschaft selbst zur Machtmaschine, entwickelt sich in
ihrer Virtualität. Das Verhältnis ist offen, qualitativ und affektiv. Die Gesellschaft ist
wie ein einziger sozialer Körper einer Macht subsumiert, die hinunter reicht in die
Ganglien der Sozialstruktur und deren Entwicklungsdynamiken."(S. 39)

H/N beziehen sich auf zwei zentrale Werke Foucaults, in denen er den Begriff der
»Biomacht« entwickelt hat: »Der Wille zum Wissen«(3) und "Les mailles du
pouvoir".(4) Hier aber weht ein ganz anderer Wind. In beiden Werken, liest man
nichts vom Aufgehen aller produktiven Kräfte des Menschen in die globale
Totalität des biomächtigen Sozialkörpers. Hier ist die Rede von: Angriffsfront
durch biopolitische Technologie, Techniken zur Unterwerfung der Körper,
Besetzung des Raums der Existenz, Angriffsfront auch unter Einschluss nicht nur
des Tötens, sondern des Massakers. Foucault begreift »Biomacht« als
strategisches Dispositiv gewalttätiger Unterwerfungs- und Zurichtungsstrategien,
die in neue Tiefen des Lebens eindringen und dabei eine neue Gewaltsamkeit
entwickeln, nicht jedoch als umfassenden, alles einsaugenden Prozess der
Produktion des Lebens, wie H/N es uns unterschieben wollen.(5)

Foucault ging davon aus, dass Erkenntnisse nur im Widerstand, aus der
subversiven Kraft des Wissen im Kampf gegen die Macht möglich seien. Als
Mitbegründer des G.I.P. (Groupe dëInformation sur les Prisons) hat er diese
Einstellung praktisch-subversiv im gemeinsamen Kampf mit den aufrührerischen
Gefangenen der französischen Gefängnisse umzusetzen versucht, zeitweise in
Zusammenarbeit mit der »Gauche Proletarienne«. Ausdrücklich im Bezug auf
analoge Kämpfe in der Schule, im Reproduktionsbereich, in der Fabrik, begriff er
seine eigenen Strategie eines handelnden Erkennens als Beitrag zu einem
gemeinsamen übergreifenden Kampf. Erst die subversive Position, die man wählt,
sagte er, gebe uns die Möglichkeit, die Techníken der Macht in den Blick zu
nehmen. Er organisiert dies aus der Gegnerschaft gegen die biopolitischen
Technologien óaus einem »Außen«, das sich natürlich nicht in den simplen
Vorstellungen der Territorialität definiert, sondern aus dem Kampf.

"Und wenn es wahr ist, dass im Herzen der Machtverhältnisse und als permanente
Bedingung ihrer Existenz der Widerstand (»insoumission«) und die wesentlich
widerspenstigen Freiheiten wirken, dann gibt es keine Machtverhältnisse ohne
Widerstandskraft (résistance)...Jede bedeutet für die andere eine Art permanente
Grenze...ebenso wie es keine Machtverhältnisse ohne Widerstandspunkte gäbe,
die ihnen grundsätzlich entgehen, ebenso müssen jede Intensivierung, jede
Ausdehnung der Machtbeziehungen zu den Grenzen der Machtausübung führen
(Hervorhebungen von mir).(6) Foucault sucht den grundlegenden Antagonismus
zwischen Machttechnologien der Unterwerfung und Zurichtung und dem
Widerstand in allen Bereichen auf, in die der Kapitalismus der intensiven
Bevölkerungsbewirtschaftung seine Strategien im Laufe der Geschichte erstreckt
hat: Fabrik, Gefängnisse, Psychiatrien, Familie, sexuelles Verhältnis der
Geschlechter, Militär. Die Zentralität des Widerstands im Denken Foucaults hebt
sein Freund Gilles Deleuze hervor: "...mehr noch, das letzte Wort der Macht lautet,
dass der Widerstand primär ist...sodass sein soziales Feld Widerstand leistet,
bevor es sich nach Strategien organisiert, und das Denken des Außen somit das
Denken des Widerstands ist."(7) Das ist der Grund, warum Foucault Widerspruch
nicht im Sein aufgehen lässt und einen ontologischen Begriff der Wirklichkeit
ausdrücklich und vehement zurückgewiesen hat(8). Dies ist eine entschiedene
Absage an eine ontologische Darstellung des Machtwachstums der produktiven
Gesamtmaschine, in deren Seinsverständnis H/N die negatorische Kraft des
Widerspruchs aufsaugen und ersticken.

Ich kann die didaktischen Linien, auf denen H/N uns in die prophetische
Schlußapotheose des produktiven Gemeinschaftskörpers führen, hier nicht im
Einzelnen aufschlüsseln. Sie alle mobilisieren ihre rhetorische Überredungskunst
aus einer meist platten und pauschalisierenden Inszenierung akademischen
Wissens, deren Verzerrungen und Verfälschungen die normale LeserIn nur mit
Mühe auf den Grund steigt. Sie sind wirklich ärgerlich und ich werde an anderer
Stelle genauer auf sie eingehen. So ist es nicht etwa die Analyse der Herrschaft,
sondern die ideologiegetränkte Ideengeschichte des Souveränitätsgedankens,
über die uns H/N an den postmodernen Souveränitätstypus des Empire
heranführen(107 ff.). Aus der Philosophie der Renaissance (ausgerechnet
Machiavelli) wird die »revolutionäre Vorstellung von der Gleichheit aller Menschen«
gekeltert, Spinoza habe sie angeblich zu neuem Glanz erweckt (S. 84 ff., 91,92).
Nun, wie in jedem historischen Umbruch, so haben auch in der Renaissance
machthungrige neue Eliten ihre eigenen Perspektiven mit Versprechen für alle
garniert. Marx hat sich in seinen Frühschriften (und was Spinoza angeht, schon in
seinen Schelling-Studien) unübertroffen dazu geäußert. Bei aller Verehrung für den
radikalen Freigeist und Propheten der Schöpferkraft Spinoza: H/N unterschlagen,
dass auch bei ihm die Teilhabeversprechen an die Bürger gerichtet waren und
dass er Fremde, Sklaven und Frauen vom demokratischen Versprechen
ausschloss, Frauen mit der überzeugenden Begründung, für die hätte man
dergleichen noch nicht gesehen und das hätte schließlich seinen Grund.(9) Die
Gründerväter der USA sehen H/N vom revolutionären Geist des
Renaissance-Humanismus inspiriert. Sie statten die USA mit der geschichtlichen
Mission der Herstellung der Machtnetzwerke von Weltreich und óordnung aus. Und
das in einer Form hudelnder Geschichtsklitterung, wie sie jedem US-patriotischen
Leitfaden für die linken gebildeten Stände zur Ehre gereichen würde (passim,
besonders S.173 ff.). Das Buch ist halt für die US-Leserschaft geschrieben. Das
Proletariat schließlich stellen H/N durch eine Überdehnung eines operaistischen
Grundgedankens in den Dienst ihres Konzepts: es wird mit der historischen
Aufgabe betraut, durch seine Kämpfe das Empire zur Vervollkommnung seiner
Macht hochzukitzeln, um dann glücklich im produktiven Gesamtkörper aufzugehen
(68 ff.,72,279 ff.)
Die totale Arbeitsmaschine, protofaschistisch getönt

Zurück zum materiellen Kern. Wir erleben täglich, wie im gegenwärtigen Umbruch
innovative Technologien der Unterwerfung und Zuríchtung in neue Tiefen der
Gesellschaft eindringen und neue Formen des prozessierenden Widerspruchs
gegen sich aufrufen. Mit Foucault würde man sie »biopolitisch« nennen, weil sie
den Zugriff auf Leben intensivieren und in bisher unerschlossene Dimensionen der
Verwertung von Lebendigem treiben: In der Biologie, in der Unterwerfung unter
neue Konstruktionen von Mensch-Maschine-Systemen (vorrangig zunächst auf
militärischem Experimentierfeld), in der Zurichtung der Kommunikation und
Unterwerfung unter das Diktat der Softwareproduzenten, in der informatischen
Erschließung der personalen Existenz bis in die Tiefe biologischer und alltäglicher
Lebensprozesse, im Zugriff informatisch-optischer Kontrollsysteme auf die
Bewegungsabläufe des öffentlichen Raums mit Hilfe biometrischer Erfassung, in
der von den technologischen Kommandohöhen der globalen »Cluster«
ausgehenden Unterwerfung der produktiven und reproduktiven Prozesse in einem
globalisierten Angriff von Netzwerkstrukturen. Das alles im blutigen globalen
Ausgreifen einer Politik der »schöpferischen Zerstörung« tradierter
gesellschaftlicher Strukturen und ihrer Aufbereitung zur Weltarbeitskraft. Foucault
hat nicht gezögert, all das als technologischen Angriff zu charakterisieren und ihm
das »Außen« des Widerspruchs, des Widerstands und der Befreiung auf neuer
Stufenleiter entgegenzusetzen. Einem »Außen«, das óselbstredend nicht mehr
territorial begriffen- sich in allen Dimensionen der Gesellschaft als lebendige
Schranke dem Zugriff entgegenstellt und zu neuer vielleicht (Foucault war da
vorsichtig) revolutionärer Subjektivität formiert.

H/N blenden den Angriffscharakter aus. Sie verdinglichen und fetischisieren ihn zu
»die Kommunikation«, »die immaterielle Arbeit«, »die Produktion«, zur ontologisch
begriffenen neuen Welt, die kein Außen, kein Anderes, keine Negation mehr kennt
und aus dem der Widerspruch als bestimmende Größe ausgemerzt wird. Wenn
H/N in »Empire« den Widerstand noch auf die ärmliche Funktion eines Stachels für
die Machtaufrüstung des Empire reduzieren, im Taz-Interview vom 18.3.02 wird
Tacheles geredet. "Statt eines Außerhalb, das widersteht, haben wir heute ein
produktives Innerhalb. Widerstand ist heute kein tauglicher Begriff mehr für die
Schaffung einer Alternative.» «Interaktive und kybernetische Maschinen werden zu
neuen künstlichen Gliedern, die in unsere Körper wie in unser Denken und Fühlen
integriert sind, und sie werden zu einer Linse, durch die wir die Umgrenzungen
unseres Körpers wie unseres Denkens und Fühlens selbst neu wahrnehmen. Die
Anthropologie des Cyberspace ist in Wirklichkeit das Erkennen der neuen
Menschlichkeit."(S. 303) Die komplementären Funktionen dieser neuen
Menschlichkeit werden von der »affektiven Arbeit«, der »Gefühlsarbeit« geleistet
(mit den darin neu begründeten sexistischen Zurichtungen setzen sich H/N erst gar
nicht auseinander), von persönlichen Dienstleistungen, fürsorglicher Arbeit etc.
"Affektive Arbeit produziert soziale Netzwerke, Formen der Gemeinschaft, der
Biomacht...In jedem dieser Typen der immateriellen Arbeit steckt die Kooperation
bereits vollständig in der Form der Arbeit selbst. Immaterielle Arbeit beinhaltet
unmittelbare soziale Interaktion und Kooperation. Der kooperative Aspekt der
immateriellen Arbeit wird mit anderen Worten nicht von Außen aufgezwungen oder
organisiert, wie es in früheren Formen der Arbeit der Fall war, sondern die
Kooperation ist der Arbeitstätigkeit vollkommen immanent....Das kooperative
Vermögen der Arbeitskraft (und insbesondere der immateriellen Arbeit) hingegen
bietet der Arbeit die Möglichkeit der Selbstverwertung. Die Hirne und Körper
brauchen auch weiterhin die anderen, um Werte zu produzieren, doch die
anderen, die sie brauchen, stellen nicht mehr notwendigerweise das Kapital und
seine Fähigkeit, die Produktion zu orchestrieren."(S:. 303, 305) Die
selbstverwertende Verschmelzung der Hirne und Körper der Multitude feiern H/N
als »Befreiung der Arbeit« und in der Arbeit. "Diese Gemeinsamkeit ist...ein
Projekt, in das die Multidtude, die Menge völlig eingeht. Das Gemeinsame ist die
Fleischwerdung, die Produktion und die Befreiung der Menge." (S.314) Im
Gefolge der ständig wiederholten Verschmelzungsgesänge wird dann zu guter
Letzt auch die Endfunktion des Proletariats festgeschrieben: "Die
Entstehungsprozesse eines neuen Proletariats, die wir nachgezeichnet haben,
überschreiten hier eine entscheidende Schwelle, wenn die Menge sich selbst als
maschinisch erkennt..."(S.411). Würg.

Der maschinenpoetische Rausch der Verschmelzung der Körper und Hirne zu
einer einheitlichen produktiven Subjektivität durchwabert das ganze Buch zu
seinem Klimax im rauschhaften Schlussakkord. Was wird aus dem Widerstand
gegen diese Einvernahme? Wenn H/N schon am Anfang den Nazi Carl Schmitt für
die Souveränität des Empire in Anspruch genommen haben, hier wirdís brisant.
"...Arbeit erscheint schlicht und einfach als die Macht zu handeln ...Alles was diese
Macht zu handeln blockiert, ist nichts als ein Hindernis, das man zu überwinden hat
óein Hindernis, das durch die kritischen Kräfte der Arbeit und die leidenschaftliche
Alltagsweisheit der Affekte umgangen, geschwächt und zerschmettert wird (S.
366, 367, Hervorhebungen von mir). In dieser Definition der Handlungsmacht
berufen sich H/N ausdrücklich auf Nietzsche und seine »Genealogie der Moral« mit
ihrer Propaganda von "Vergewaltigen und Vernichten...als Mittel, größere
Machteinheiten zu schaffen."(10) Es liegt genau in dieser Logik, wenn auf
derselben Seite die nunmehr abzuschüttelnden Mächte des Geld- und
Finanzkapitals unter der Überschrift »Parasit« geoutet werden, "ein Parasit jedoch,
der seinem Wirt die Kraft aussaugt, gefährdet seine eigene Existenz. (S. 367,
369) Das Bild des Geldkapitals als blutsaugender Parasit des produktiven
Gemeinschaftskörpers, wir kennen es vor allem aus der faschistischen Frühphase
des NS. Franz Neumann, dessen »Behemoth« noch immer zum Besten gehört,
was über den NS geschrieben wurde, hat derartige Theorieversatzstücke als
pseudomarxistische Elemente der nationalsozialistischen Ideologie einer genauen
Analyse unterzogen und Rechtspressechef Dr. Dietrichs Rede zu den "Geistigen
Grundlagen des neuen Europas» wie folgt zitiert: «...durch den Schleier des Geldes
hindurch» hat der Nationalsozialismus «den ökonomischen Kraftkern
gefunden...die menschliche Arbeit als die alles belebende Grundlage", eine
"Herrschaft der Arbeit über das Geld, ohne ihn (den Arbeiter, D.H.) zum Kampf
gegen seine herrschende Klasse zu zwingen, ganz im Gegenteil ist er eingeladen,
an ihren materiellen Vorteilen als Teil einer riesigen Maschine teilzuhaben."(11)

Sicher: im postmodernen Zyklus ist ein historischer Moment noch nicht erreicht, in
dem sich die Frage nach seiner neofaschistischen Wendung stellt. Aber auch im
Take-off zum fordistischen Zyklus kündigte diese sich durch futuristische und
technokratisch orientierte Ideologien (durchaus durchtrieft vom Jargon der
Revolte) neuer Eliteformationen schon vor dem ersten Weltkrieg an, die von der
technischen bis hin zur philosophischen Intelligenz reichten. Zeev Sternhell, Jeffrey
Herf, Geoff Eley, Charles Maier haben uns genug darüber berichtet, um uns auch
jetzt hellhörig zu machen. In geschichtliche Analogien wachrufender Weise entwirft
»Empire« einen historisch-philosophischen Pfad der komplexen Machtentwicklung
einschließlich der restlosen Einvernahme des sozialen und Klassenwiderstands.
N/H formulieren es als ideologisches Angebot an Teile des linken Spektrums, ihre
hegemonialen Energien als neue Experten eines globalisierten sozialen
Erschließungsraums in den Formierungsprozess einzubringen. »Teilhabe« lautet
der Lockruf und spekuliert neben der Machtteilhabe auch auf die Müdigkeiten in
der Linken, minoritär zu bleiben. Linke, die sich angesprochen fühlen, sollten sich
daher kritisch überprüfen, in welchen Funktionen (vor allem der neuen
technologischen Zugriffe und globalisierten Sozialarbeit) sie sich in die innovativen
Vernetzungsprozesse des postmodernen Zyklus einbringen wollen, und vor allem
wo: in der Unterstützung oder im Widerstand. Es ist ihr praktisches »Begehren« (in
H/Ns Terminologie), das den Kopf ausrichtet, nicht etwa die Theorie. Auch der
Umbruch vor 1914 ist von gewaltigen Schüben von links nach rechts geprägt
gewesen. Der »Empire«-Diskurs ist nur ein Symptom, ein spekulatives
Exerzierfeld für Einstellungsverschiebungen, an dem wir solche
Richtungsänderungen ablesen können. Was meinst DU? Die "Frankfurter
Allgemeine" haben H/N jedenfalls wie das Buchcover stolz ausweist- schon auf
ihrer Seite.


Anmerkungen:
(1) Dies ist die konzentrierte Kurzfassung eines umfassenderen Textes: Detlef
Hartmann u.a., Rechtsruck in der Linken (Arbeitstitel). Er erscheint in diesen
Tagen als Sonderband der »Materialien für einen neuen Antiimperialismus« im
Verlag Schwarze Risse/Rote Straße.
(2) Jetzt auch in Deutschland: M. Hardt, A. Negri, Empire, Frankfurt/New York
2002
(3) M. Foucault, Der Wille zum Wissen, Frankfurt/M., 1983
(5) Vorlesung 1981, abgedruckt in Dits et écrits, II, Paris 2001, S. 1001-1019.
(5) »Wissen«, Teil IV und V, »Mailles« passim
(6) M. Foucault, Le Sujet et le pouvoir, Dits et écrits, II, S. 1041, hier: S. 1061
(7) Gilles Deleuze, Foucault, Frankfurt/M. 1992, S. 125
(8) M. Foucault, Précisions sur le pouvoir. Réponses à certains critiques, Dits et
écrits, II, S. 626, hier: 630,631
(9) B. Spinoza, Der politische Traktat, in der Übersetzung von J. Stern, Stuttgart
1906, Elftes Kapitel §§ 3,4; auch im Teil Vier der Ethik ist von Bürgern die Rede.
(10) Ich habe die Bedeutung Nietzsches für den NS und den gegenwärtigen
Umbruch in einer Reihe von


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