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mcnep schrieb am 26.3. 2005 um 18:19:19 Uhr über

Krösus

»O Kroisos, ich weiß, daß alles Göttliche erfüllt ist von Eifersucht und Zerstörungswut, und du fragst mich nach des Menschen Glück! Wie vieles mag er erleben in der langen Zeit seines Lebens, das er sich nicht wünscht, wie vieles erleiden! Denn bis zu siebzig Jahren stecke ich seines Lebens Grenze. Siebzig Jahre aber ergeben zwanzigtausend und fünftausend und zweihundert Tage, ohne Schaltmonat. Soll aber je das andere Jahr um einen Monat länger werden, damit die Jahreszeiten eintreffen nach der Ordnung, so kommen zu den siebzig Jahren noch fünfunddreißig Schaltmonate und diese Monate ergeben noch einmal tausend und fünfzig Tage. Und von allen diesen Tagen, die in den siebzig Jahren enthalten sind, zwanzigtausend und sechstausend und zweihundert und fünfzig, ist, was der eine bringt, immer verschieden von dem, was der andere bringt. So ist der Mensch, o Kroisos, nichts als Zufall. Ich sehe ja deinen großen Reichtum und daß du Herr bist über viele Menschen; aber was du von mir hören willst, das kann ich noch nicht von dir sagen, bis ich erfahre, du habest dein Leben glücklich geendet. Ist doch der Reiche um nichts glückseliger als der, welcher nur die Notdurft des Tages hat, sofern ihm nicht auch beschieden ist, im Besitz aller Güter glücklich das Leben zu beschließen. Viele grundreiche Menschen sind unselig, und viele, die arm sind, sind glücklich. Wer nur sehr reich aber unselig ist, der übertrifft den Glücklichen nur in zwei Stücken, diese aber den Reichen und Unseligen in vielen Stücken. Jener ist imstande, eine Begierde zu befriedigen und einen großen Schaden, der ihm zustößt, leichter zu ertragen; dieser aber übertrifft jenen darin, daß er zwar Schaden und Begierden nicht so leicht wie jener erträgt, aber davor bewahrt ihn eben sein Glück, hingegen ist er frei von Krankheit, von Leiden, gesegnet an Kindern und schön von Gestalt, und wenn er zu allem diesem auch sein Leben wohl beschließt, so ist er eben derjenige, nach dem du fragst, der es verdient, glückselig zu heißen. Aber solange er noch nicht gestorben ist, halte dein Urteil zurück, und nenne ihn noch nicht glückselig, sondern nur glücklich. Daß ein Mensch dies alles auf einmal erlange, ist unmöglich, wie auch kein Land für sich selber in allem genug hat, sondern wohl das eine hat, aber das andere entbehrt, und jenes Land das beste ist, welches das meiste besitzt. Ebenso reicht auch kein einzelner Mensch für sich selber aus: das eine Gut hat er, des andern ermangelt er. Wer aber die meisten Güter hat bis zu seinem Ende und so sein Leben in Wohlgefallen beschließt, den, o König, halte ich würdig, so genannt zu werden. Schau bei jedem Ding auf sein Ende, wie es ausgeht. Schon vielen hat Gott das volle Glück vor Augen gehalten und sie doch von Wurzel aus umgestürzt.«

Herodot, Historien 1, 32 ff


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