was, was es noch gar nicht gibt, als llistorisclies Projekt, hilft uns, »Einpire« besser zu verstehen. Das Buch ist selbst Teil des sich selbst setzenden Projekts, der sich selbst rechtfertigenden Entfaltung, der sich selbst lierVOrbringeiiden Wahrheit, der sich selbst erfülleiideii Geschichte, rückwärtige Gescliiclltssclireibung und zukünftige Verwirklichung in einem. Die immer wieder auftretenden Figuren von Kreis- und Zirkelsclilüssen, Vermiscliungen von Wirklichkeit und Idealität, ans Mystisclie grenzenden Vereinigungen des Unvereinbaren (Eigener Ursprung, sich schaffendes Sein, Sollen und Sein, apriorisclies Sein und Projekt, kreative Maschine, Manipulation und Autlientizität) sind Charakteristika dieses vereinfacht formuliert - selbstragenden Konstrukts. Die Propaganda zur »apriorisclien« Setzung des Empire, zur »Dezision« im Sintie Carl Scliinitts (dazu unten Kap. X), die stilistisclie Affektarbeit des roi-nalltizistisclien Gerneinscliafts- und Liebesschwulsts, der Kitsch, die Fälschungen, Täuschungen, Verzerrungen, Manipulationen beruhen nicht auf Unvermögen und Unwissen. Sie sind kein Fehler und erst recht kein Ausdruck sentimentaler Neigungen. Sie gehören zur Technik. Sie drücken den Anspruch aus, die linken Leserliiiieii mit den Mitteln des »Diskurses« uinzuformatiereii, ihr »Begelireii« nach Selbstverwirklicliung als neue postmoderne Avaiitgarden zu erregen und sie in den langfristigen Prozess der Maclitergreifung als liegernoniale Kräfte postmoderner Produktivität eillzusaugeii.
»Empire« lesen Leimen
Von hier aus sind Aufbau, Inhalt, Philosophie, Gesciiiclitserzäjllullg und Riietorik sehr einfach zu verstehen. Teil I inszeniert den Aufmarsch der Setzuiigen: »Einpire« als die neue Machtordnung globaler Souveränität (Ei-npire, Kap. 1), »Biomacilt« als die totale Ordnung biopolitisclier Produktion (Biopolitisclie Produktion, Kap. 2). Beide werden als absolut gesetzt. Da sie aber zugleich als Projekt propagiert werden, setzt Kapitel 3 idealtypiscli ein Modell der Erfüllung des schon Gesetzten, seiner Notwendigkeit, Zielstrebigkeit, Teleologie. Die Riietorik spielt dabei eine wesentliclie Rolle. Da die Autoren sich selbst und dazu noch die LeserInnen als Ursprung und Bestandteil des sich erfüllenden Projekts entwerfen und es um Neuforrnatierung der Leserllirne geht, prägt die prophetisclie Rlietorik die Setzungen. Die Gefülilsanspraclie
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der Sehnsucht nach Erlösung, Erfüllung und widerspruclisfreier Vereinigung nimmt das Ergebnis vorweg. Aber da es nur ideell gesetzt, aber noch nicht Wirklichkeit geworden ist, inuss es zugleich als Ergebnis einer zukünftigen Entwicklung in Szene gesetzt werden. Und so werden die Leserlnnen von Beginn an in eine komplexe Melange von Rlietorik, Appell, Sollenssätzen, Visionen, Utopien, roi-nantizistisclier Affektivität, inystiscli-philosophisclier Vereinigung des Unvereinbaren geworfen, darin imprägniert, eingeübt, eingeseift und affektiv konditioniert, um sie für die kommenden Teile aufzubereiten.
Da das Resultat, das Ziel, das Telos feststeht, als Projekt und Gesetztes zugleich, hat »Geschichte« ausgedient, an die Stelle tritt der Vollzug. Im Begriff des »Empire stellt sich »eine Ordnung (dar), die Geschichte vollständig suspendiert«. (13) Geschichte verengt sich zum Weg, zum Übergang. »Passage« nennen HIN daher den Übergang der Souveränität, der absoluten Macht auf dem Weg zum »Empire«. »Passage« nennen sie auch den Übergang auf dem Weg zur vollentwickeiten postmodemen Totalität biopolitischer Produktion. Dementsprechend heißt Teil 11: »Passagen der Souveränität« und Teil III: »Passagen der Produktion«. »Passagen« beschreiben nur den Übergang auf einem notwendig zielstrebigen Weg, sie bedeuten »Das Ende der Geschichte«. Man braucht sie nur zu erzählen.
Da all dies aber zugleich Projekt einer zur Selbsterschaffung aufgerufenen hegemonialen Bewegung unter Führung sich selbst erschaffender postmoderner Avantgarden ist, ist diese Erzählung gleichzeitig Gescllichtsgebraucli und Geschichtser-findung. Mit dem Begriff »Genealogie« knöpfen HIN an Nietzsches (damals gegen den Historismus gerichteten) Vorstellung der jeweiligen Erneuerung der Geschiclitserzälilung aus den hegemonialen Bewegungen des Willens zur Macht an, die Erschaffung neuer »Geschichte« und Geschichten. Das bedeutet: die Gesciiiciitserzälllung selbst hat ihre Funktion im Projekt, sie ist Schöpfung, Erfindung, Hervorbringung, Selbstvergewisserung, Propaganda zugleich. Dies ist der Grund, warum HIN sie penetrant als Ideengescliichte, Diskursgeschiclite, Philosophiegeschichte in Szene setzen: Ideen dersouveränität, Ideen derpliilosophischeneinstellungen zurwelt, Ideen der produktiven Kräfte.
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