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mcnep schrieb am 2.5. 2005 um 13:12:12 Uhr über

Straße

Manchmal ergibt sich inmitten all der traurigen Arbeiten, die mit der Sortierung von Konrads Nachlaß zu tun haben, ein Moment stiller Wehmut oder Freude. Ein altes, aber nicht zu altes, mir unbekanntes Foto, auf dem er mit langsam beginnenden Griesebart und einer Haarlänge, wie ich sie nie bei ihm gesehen habe, fast ein wenig zum Fürchten sieht er aus, ein sanfter Grusel, wie ihn ein Komödiant in einer Bösewichtsrolle vermitteln würde, einem jungen Mann mit zeittypischem Minipli recht unverhohlen nachschaut - ein Vetter zweiten Grades, mit dem während dieser Jahre Ende 70/Anfang 80 tatsächlich so einiges lief, »mit Schlucken!«, wie er gerne betonte, galt ihm das doch ganz richtig als ein Beweis der Hingabe, der weit über den Trost körperlicher Nähe hinausgeht. Im gleichen Schuhkarton, vermutlich alles zum Zeitpunkt der letzten Einfüllungen 2001 verräumt und vergessen, fand ich auch eine Schuldanerkenntnis nebst vielsagenden Handwerkerschriftwechseln, die sich um den Fall eines glücklosen Trinkers drehten, der die erste ihm vom Sozialamt bei Konrad beschaffte Wohnung seit Jahren derartig hatte verkommen lassen, daß flugs eine Schuld von über 11.000 Mark aufgelaufen war, die er seither in 50 MarksRaten, inzwischen natürlich 25 Euro, abstotterte, so wie ich es schon zu Konrads Lebzeiten mal mitleidig, aber hilflos erfahren und seine zu zahlende Restschuld etwa bis 2020 veranschlagt hatte. Wobei 25 Euro etwa ein Viertel des monatlichen Taschengelds dieses Herrn sind. In den Unterlagen fand ich die Nummer seines Vormunds, ein zunächst etwas mißtrauischer Mann, der mich nach kurzer Schilderung des Sachverhaltes zunächst fragte, was genau ich denn nun damit zu tun habe, worauf ich erwiderte, daß Herr J., der Schuldner, verstorben sei und von meiner erbberechtigten Seite an Herrn A* keine weiteren Forderungen bestünden. Der Herr am anderen Ende, möglicherweise ein bärtiger Revalraucher im kurzärmligen Karohemd, schien einigermaßen erfreut, befragte mich noch mit einem Restmißtrauen nach dem weiteren Verlauf, worauf ich ihm erklärte, daß die Akte A* vom heutigen Tage als gelöscht zu betrachten sei und Herr A* um Himmels Willen keinen auf den seligen Herrn J* trinken möge, womit ich für heute meinem Mütterlein über die Straße geholfen habe.


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