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wuming schrieb am 10.3. 2003 um 05:04:22 Uhr über

Nachruf




Michael Jäger

Kriegs-Bühne











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VOR DEM IRAKKRIEGDas »Neue Rom« gibt es nur
im Theater

Das Märzheft der Blätter für deutsche und internationale Politik
erscheint zur rechten Zeit mit Informationen und Argumenten, die
für alle Gegner der amerikanischen Kriegsvorbereitung nützlich
sind. Aktuell am wichtigsten ist der Beitrag der Professoren John
J. Mearsheimer, Chicago, und Stephen M. Walt, Harvard. Sie
weisen nach, dass die Behauptung, Saddam Hussein sei eine
unberechenbare Gefahr und eine Zeitbombe, zu deren
Entschärfung die dramatischsten Mittel gerade recht sind, weiter
nichts als ein Märchen ist. Mehr noch: Es ist ein Kunststück,
gerade diesen Mann so zu verzeichnen, den man doch 30 Jahre
an der Macht beobachten konnte. Gewiss hat er zwei Kriege
geführt, bildet darin aber nicht etwa eine Ausnahme im Nahen
Osten. »Beide Male griff er an, weil der Irak verwundbar war« und
sich in einem »strategischen Dilemma« befand, das er "mit einem
begrenzten militärischen Sieg zu korrigieren" hoffte. Er ist nicht
der Typ, der »nicht auf Abschreckung reagiert« - das heißt: Selbst
wenn er die USA bedrohen könnte, wäre es unnötig, dieser
Gefahr mit einem Krieg zu begegnen.

Vom Iran, dem ersten Kriegsgegner, musste sich umgekehrt
Saddam bedroht fühlen. Er hatte sich immer um gute
Beziehungen zum Nachbarland bemüht. Es war ihm gelungen,
den Schah von der Aufwiegelung der Kurden abzubringen, wenn
auch nur um den Preis, dass er die Hälfte der Wasserstraße des
Schatt el Arab abtrat. Nach der iranischen Revolution wollte er die
guten Beziehungen fortsetzen. Er versuchte nicht, die
revolutionäre Krise auszunutzen, und forderte den Wasserweg
nicht zurück. Der neue iranische Führer hetzte aber wieder die
Kurden und auch die Schiiten auf. Weil er die Revolution
exportieren wollte, nahm er sich zunächst den Irak vor. Er
provozierte Grenzzwischenfälle. Auf ranghohe irakische Offiziere
wurden Mörder angesetzt. Deshalb begann Saddam einen Krieg
mit begrenzten Zielen; Saudi-Arabien, Frankreich, die USA und
andere unterstützten ihn.

Auch seinen zweiten Krieg begann er "weder blindwütig
aggressiv noch besonders leichtsinnig". Sein Land war durch den
achtjährigen Irankrieg, der auch im Interesse Kuwaits geführt
worden war, wirtschaftlich sehr geschwächt. Kuwait verweigerte
aber nicht nur jegliche Hilfe, sondern überschritt auch noch "die
von der OPEC festgeschriebenen Förderquoten, wodurch die Weltölpreise fielen und sich die irakischen Öleinnahmen
verringerten". Bevor Saddam sich zum Krieg entschloss,
erkundigte er sich nach der Haltung der USA, deren Vertreter ihm
erklärten, sie interessierten sich nicht für innerarabische Konflikte
und hätten mit Kuwait kein Militärbündnis. Als die USA dann doch
eingriffen, bewies Saddam, dass er nicht so dumm ist,
Massenvernichtungswaffen gegen ein Land einzusetzen, das
ebenfalls welche hat. Condoleeza Rice schrieb denn auch im
Februar 2000 - ein Jahr, bevor sie George W. Bushs
Sicherheitsberaterin wurde - in Foreign Affairs, gegen Saddam
könne die »klassische Abschreckungserklärung« brauchbar sein.
Warum soll das jetzt nicht mehr gelten?

Der Beitrag des französischen Politologen und Historikers
Emmanuel Todd, dessen Buch Weltmacht USA. Ein Nachruf in
diesen Tagen auf Deutsch erscheint, ist über den Tag hinaus
bedeutsam. In der Kurzfassung in den Blättern arbeitet er heraus,
dass es zur Zeit »keine globale Bedrohung« gibt, "die ein
besonderes Engagement der Vereinigten Staaten zum Schutz
der Freiheit erfordert". Amerika selbst ist die Bedrohung. Es kann
die immer komplexer werdende Welt nicht mehr kontrollieren. So
wurden Japan und Europa eigenständige Wirtschaftsmächte;
zudem hat Russland nukleare Vergeltungskapazität behalten. Das
sind nach Todds Auffassung »die wahren Mächte der Erde«,
besonders wenn sie sich einander annähern - und eben das
geschieht infolge des »seltsamen Aktionismus« der USA. Deren
Potenzial wird vom Potenzial der »wahren Mächte« um das
Zweieinhalbfache übertroffen. Vor diesem Hintergrund hält Todd
die amerikanische Kriegswut für Theater: Auf der "Bühne des
theatralischen Militarismus» wirft man «Bomben auf unbedeutende
Armeen", um die wahren Konkurrenten einzuschüchtern. Todds
Buch möchte man eine breite, auch kritische Diskussion
wünschen: Er sieht anscheinend nicht, wie gefährlich für den
Frieden der ganzen Welt auch ein Theater-Caesar sein kann.


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