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Die Leiche schrieb am 13.6. 2008 um 18:04:42 Uhr über

Gehirnamputation

Nach zwei Monaten in der Klink hielt ich es nicht mehr aus. Ich mußte raus hier. Da kam der Vorschlag von ihnen: Ich sollte erst einmal einen vierzehntägigen Urlaub ausserhalb der Klinik machen. Man würde mir die Haare färben, und mich aus der Klinik schmuggeln. Papiere mit einer neuen Idenität - Nicole Schreiber, Krankenschwester - lägen schon bereit. Man schlug mir Mallorca vor - die Masse dort sei die beste Tarnung. Schwester Monika wäre bereit, mich zu begleiten. Es wäre ja nicht ungewöhnlich, daß zwei Frauen gemeinsam den Urlaub verbrächten. Ein Notfallteam würde in einem Nachbarort bereitstehen. Notfallteam für was ? Nunja, das Risiko von Abstoßungsreaktionen des Frauenkörpers auf mein männliches Gehirn und umgekehrt sei zwar sehr gering, würde geringer werden von Tag zu Tag - aber ganz auszuschließen sei es nicht. Ausserdem müsste ich lernen, mich auch ausserhalb der Klink als Frau zu bewegen und sozial eingeordnet zu werden. Das könnte etliche psychologische Probleme mit sich bringen. Bislang würde ich »das Ganze« ja gut verkraften - aber meine Persönlichkeit sei eben niemals darauf eingestellt gewesen, eine Frau zu sein. Das wäre anders, als bei den Transsexuellen, für die ein innig gehegter Wunsch in Erfüllung gehe: ich dagegen sei nunmal Frau gegen ... äh ... ohne meinen Willen geworden. Hm.
Meine Haare waren dann doch schließlich schwarz gefärbt worden. Ich hätte ja lieber hennarot gehabt, aber Schwester Monika überzeugte mich, daß das garnicht zu meinem »Typ« passen würde. Na gut - hören wir auf die, die Erfahrung im Frau-sein haben. Die heimliche Flucht aus der Klinik verlief reibungslos, und einfacher, als ich gedacht hatte. Man brachte mich in einem Krankenwagen mit Blaulicht zum Flughafen, und trug mich auf einer Bahre in die Flughafenambulanz. Dort zog ich mich um - das »kurze Schwarze«, das ich zuerst nicht haben wollte, mußte ich nun doch anziehen: da ich bislang nur in Hosen öffentlich aufgetreten war, wäre es zur Tarnung besser. Ich erhielt die Handtasche mit meinen persönlichen Sachen, die vorausgeschickt worden war. Das ticket war auch darin. Schwester Monika, der ich aus gegebenem Anlass das »Du« angeboten hatte, trug auch schon ein kurzes blaues Sommerkleid. Unser Gepäck war schon aufgegeben worden, und wir verliessen Arm in Arm die Ambulanz wie zwei Krankenschwestern auf dem Weg in den Feierabend, nur bogen wir in der Halle dann ab zu den gates, und saßen wenig später im Air Berlin - carrier nach Palma de Mallorca. Doch auf dem ganzen Weg von der Ambulanz bis ins Flugzeug hatte ich das Gefühl, angestarrt zu werden, wie ein Mann, der in Frauenkleidern durch die Menge läuft, ein Transvestit. Ich war froh, daß Monika bei mir war, und ich mich an ihr festhalten konnte genauso wie nach meinem Erwachen aus dem künstlichen Koma, als ich zum ersten Mal aufgestanden war. Damals war ich körperlich zu schwach zum gehen - doch nun merkte ich, wie schwach ich noch als Frau war, in diesen Tagen.


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