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aka schrieb am 30.9. 2001 um 13:09:19 Uhr über

Märchen

Sealskin - Soulskin

Seehundefell - Seelenhaut

ZU EINER ZEIT, die einst war, nun für immer vorbei ist und bald schon wiederkehrt, gibt es Tag für Tag einen blendend weissen Himmel und weisse Schneelandschaften, in denen sich die Lebewesen wie winzige flirrende Pünktchen ausnehmen und bald schon verlieren - Menschen, Hunde und Bären.
Hier bläst der Wind so hart, dass die Leute ihre Parkas und Stiefel absichtlich zur Seite drehen. Das gesprochene Wort gefriert in der Luft, und den Menschen müssen die Sätze von den Lippen gebrochen und am Feuer aufgetaut werden, damit man weiss, was sie gesagt haben.
Alle Geschöpfe leben im schneeweissen Gespinst der Haare von Annuluk, der Grossmutter der Erde. Damals, vor langer Zeit, lebte hier ein Mann, der sehr einsam war.
Das gesicht das Mannes war von tiefen Furchen durchzogen, die seine Tränen im Lauf der Jahre in seine Haut gegraben hatten, denn er fühlte sich verlassen und weinte viel. Tag für Tag ging er auf die Robbenjagd. legte seine Fallen aus und schlief nachts gut und tief, aber er sehnte sich fortwährend nach einem Menschen, mit dem er sein Leben teilen konnte. Manchmal, wenn ein Seehund sich seinem Kajak näherte und zwischen den Eisschollen hervorlugte, dachte der Mann an die alten Geschichten, in denen es heisst, dass Seehunde vor langer Zeit einmal Menschen waren, was man heute noch an ihren Augen erkennt,
an dem weisen und liebevollen Blick in ihren glänzenden Augen. Wenn der Mann den Blick solcher augen auf dich gerichtet sah, weinte er, und die Furchen in seinem Gesicht wurden jedesmal noch ein wenig tiefer.
Eines Abends war er noch nach Einbruch der Dunkelheit auf der Jagd, weil er den ganzen Tag nichts gefangen hatte. Er paddelte zwischen Eisschollen dahin, während der Mond aufging und ihm einen grossen, glitzernden Felsen im Meer zeigte, auf dem sich etwas bewegte.
Sein Jägerauge liess ihn schon von weitem erkennen, dass die Bewegungen nicht von üblichen Meerestieren herrühren konnten.
Lautlos paddelte er näher heran und erkannte, dass ein Grüppchen splitternackter Frauen auf dem Felsen beim Mondschein tanzte. Er verhielt sich still und schaute zu, wie ihre Körper sich wiegten, wie die milchig und silbern schimmernden Gliedmassen der Mondfrauen sich im Kreise drehten.
Stockstill und tief betroffen sass er in seinem Boot, während das Wasser ihn näher und näher zu dem Felsen trug. Er konnte die Wunderwesen lachen hören, aber vielleicht war es auch nur das Plätschern der Wellen, das sein Ohr verwirrte. Der Mann wusste nicht, wie ihm geschah, aber die Bürde seiner Einsamkeit fiel von ihm ab wie eine schwere, nasse Haut, er fühlte sich emporgehoben, sprang, ohne nachzudenken, auf den Felsen und stahl eines der Seehundfelle, sie dort im Mondlicht lagen. Hinter einem Vorsprung versteckte er sich und verbarg das Fell unter seinem gutngug, seinem Parka.
Bald darauf rief eine der Frauen etwas, und diese Frau hatte die schönste Stimme, die der Mann je vernommen hatte. Sie klang wie der gesang von Walen im Morgengrauen, nein, besser noch, wie neugeborene Wölfe beim Spielen, nein, ihre Stimme war mit nichts zu vergleichen, das der Mann je gehört hatte.
Es dauerte nicht lange, und eine Frau nach der anderen schlüpfte in ihr Seehundfell und glitt hinab ins Meer. Sie lachten und quietschten vor Vergnügen bis auf eine. Diese Frau suchte nach ihrem Robbenfell und konnte es nirgends finden. Da trat der Mann aus seinem Versteck hervor, und obwohl er sehr schüchtern war, sagte er mit einem Mut, der ihm selbst fermd war: »Bitte... werde meine Frau und komm mit mir... Ich bin so einsam.« »O nein, das kann ich nicht«, antwortete sie. »Ich gehöre zum Anderen, zu Dem Dort Unten.« »Werde meine Frau«, drängte der Mann. »In sieben Sommern erhälst du dein Seehundfell zurück, das verspreche ich dir. Und dann kannst du dich entscheiden, bei mir zu bleiben oder zu gehen, ganz wie es dir beliebt
Lange forschte die junge Robbenfrau im Gesicht des Mannes nach einem Zeichen. Schliesslich sagte sie zögernd: »Also gut, ich gehe mit dir. Und nach sieben Sommern wird es sich zeigen
So lebten sie miteinander, und nach einer Weile gebar die Meergeborene dem Mann einen Sohn, den sie Ooruk tauften.
(fortsetzung folgt, blasterblätterer benutzen)


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