Wenn ein » Marcel Reich-Ranicki « ( dieser Literaturkritiker der aussieht wie ein kleiner Meckerzwerg und das Gesicht immer so zusammen kräuselt) etwas lobt, war ich eigentlich der Ansicht, daß man genau dieses Buch besser liegen lassen sollte.
Doch was für ein fataler Gedanke- denn da wären mir zwei wirklich angenehm leicht zu lesende Bücher der Autorin Zeruya Shalev untergegangen.
Zu dem Roman »Liebesleben« sagte er: Dieser Roman gehört überhaupt zum Besten, was ich in den letzten Jahren gelesen habe.
Und zu dem Roman »Mann und Frau«: Magie-hier ist ungeheuere Magie am Werk. Ein fabelhaftes, ein glänzendes Buch.
Und er hat Recht. Man kann es sich nicht einmal erklären. Alles wirkt so leicht und simpel-doch dadurch erschafft die Autorin eine wuchtige Konstruktion-zeigt einem Beziehungsgeflechte auf-über Liebe, Sex, Erotik-bishin zur Schuld und Befreiung von Schuld. Es ist ein völlig unverblümter Stil, wirkt wie ein Tatsachenbericht über den Beziehungsalltag-ohne Blatt vor dem Mund.
Inhaltsangabe zu dem Roman » Liebesleben «:
Die Begegnung mit Arie, einem alten Freund ihres Vaters, wirft das Leben der Ich-Erzählerin Ja'ara aus der Bahn. Vom ersten Moment an verfällt sie der erotischen Anziehungskraft des ebenso rätselhaften wie tyrannischen Egozentrikers. Ja'ara erlebt eine bedingungslose, obsessive und demütigende Liebesbeziehung, die sie dazu bringt, auf alles zu verzichten, was ihr Leben bisher ausgemacht hat: ihre Ehe, ihre Karriere, ihre Vorstellungen von Treue und Anstand.
Dazu eine Leseprobe:
Auf einmal packte mich ein Schwächeanfall, ein plötzliches Erschlaffen aller Glieder, ich ließ den Kopf auf den kleinen, runden, von der Herbstsonne erwärmten Tisch fallen wie auf ein Kissen und versuchte, mich an meinen Lebensplan zu erinnern, an die Abschlußarbeit, die ich bis zum Jahresende einreichen mußte, an das Baby, das wir nach der Dissertation machen wollten, die Wohnung, die wir nach dem Baby kaufen würden, dazwischen die Abendessen, die einmal Joni machte, einmal ich, die Treffen mit dem Dekan,der mich bewunderte und der an meine Zukunft glaubte, an die Kleider, die ich in engen Umkleidekabinen anprobieren würde, aber das alles kam mir auf einmal verstaubt vor, als sei ein Wind aus der Wüste gekommen und habe die ganze Welt mit einer dünnen grauen Sandschicht bedeckt. Ich erinnerte mich, daß mir so etwas schon einmal passiert war, so ein Absturz, nicht ganz so heftig, aber andeutungsweise, als Warnung, damals vor ein paar Jahren, kurz nach dem Militär, hatte ich mich in jemanden verliebt, der neben einer Bäckerei wohnte, und in der einzigen Nacht, die ich mit ihm verbracht hatte, roch das ganze Bett nach frischem Brot, aber danach hatte ich ihn nicht wiedergesehen, und mir war, als wäre die ganze Frische meines Lebens in seinem Bett zurückgeblieben, nur weil er neben dieser Bäckerei gewohnt hatte und sein Laken nach frischem Brot roch. Eine ganze Weile hatte ich damit zu kämpfen, doch bald darauf lernte ich Joni kennen und veruschte, den anderen zu vergessen, und nur wenn ich frisches Brot roch, dachte ich noch an ihn, und jetzt mischte sich in meiner Nase der Geruch von frischem Brot und dem des Feuers, das in meinem Kopf brannte, Arie Evens Kohlenaugen hatten mich wie Kugeln getroffen, ich zitterte, er hatte den Gang eines Jägers, den Blick eines Jägers, ich sah ihn vor mir, auf dem Gehsteig, mein Körper hing wie tot über seiner Schulter. Ich unterdrückte einen Schrei, sprang auf und begann zu rennen [...]
Inhaltsangabe zu dem Roman. » Mann und Frau «:
Na`ama und Udi sind verheiratet und haben gemeinsam eine Tochter - Noga, so ihr Name. Eines Tages erkrankt Udis schwer. Er kann seine Beine nicht mehr bewegen, doch die Ärzte können nichts feststellen. Die Lähmung verschwindet auch wieder von selbst, ebenso eine kurzfristige Erblindung und geben Udi und Na`ama Rätsel auf. Ist es ein psychisches Symptom? Aber für was stehen diese Anzeichen?
Na`ama und Udi holen sich eine Heilerin ins Haus. Udi geht es bald besser. Aber der Preis ist hoch, denn die Familie bricht Stück für Stück mehr auseinander seit Udi auf dem Weg der Besserung ist...
Dazu eine Leseprobe:
Ich spreche nicht davon, ein Fest zu feiern, sagt sie, aber man kann einfach weiterleben, man muss nicht zusammenbrechen, man kann das akzeptieren, was geschieht, ohne Zorn, ohne Schuldgefühle, man kann daran glauben, dass alles Schwere dazu bestimmt ist, uns stärker zu machen, und ich koche vor Zorn, das ist unmenschlich, was Sie da vorschlagen, wie kann man ohne Zorn reagieren, wenn einem das Leben zusammenbricht, und sie sagt, die Tibetaner glauben, dass derjenige, der dich verletzt, dein größter Lehrmeister ist, dabei betrachtet sie ihr Baby, als gälten ihre Worte mehr dem Kind als mir, und dann fügt sie mit leidenschaftlicher Stimme hinzu, manchmal hängen wie an unseren schlechten Gewohnheiten, und wenn sich eine Veränderung anbahnt, zittern wir vor Angst, ohne zu merken, dass dies unsere einzige Chance ist, und ich widerspreche, das sind leere Phrasen, es gibt Veränderungen zum Guten und zum Schlechten, Sie können mich nicht davon überzeugen, dass jede schlechte Sache eigentlich gut ist, alles hängt von den Umständen ab.
S. 172:
Sie wird ganz weich bei meiner Antwort, sie betrachtet mich erstaunt, als wäre ich eine Reinkarnation von Buddha, schön, sagt sie, und das hat dich beruhigt? Ja, ich glaube schon, antworte ich. Und wann hast du das zum letzten Mal gemacht, fragt sie, und ich lächle entschuldigend, vor vielen Jahren, noch bevor meine Eltern sich scheiden ließen, danach hat es schon nicht mehr zu mir gepasst, und sie nickt teilnahmsvoll, und plötzlich habe ich Lust, meinen Kopf in ihren Sch0ß zu legen und zu weinen, bis zum Abend nur zu weinen, denn mir ist klar, dass sie mich versteht, sogar Annat hat mich nie so tief verstanden, und einen Moment lang möchte ich ihre Tochter sein und im nächsten ihre Mutter, Hauptsache, sie verschwindet nie, nie aus meinem Leben, als wäre der Fluch der Einsamkeit, der dieses Haus getroffen hat, plötzlich ihretwegen aufgehoben.
Zeruya Shalev
geb.1959, lebt und arbeitet in Israel
Stationen u.a.: Tochter des israelischen Literaturkritikers Mordechai Shalev. Cousine des Schriftstellers Meir Shalev. Mit einem Autor verheiratet.
Arbeitsgebiete: Lyrik, Erzählung, Roman
Auszeichnungen/Ehrungen/Preise (Auswahl): Internationaler Buchpreis Corine, München (2001).
Veröffentlichungen (Auswahl): Liebesleben, Roman (2000, Berlin-Verlag - Übertragung Mirjam Pressler). Mann und Frau, Roman (2001, Berlin-Verlag).
|