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Die Vaporisierung
der Diktatur
Das Fort-Da-Spiel
von Saddam Hussein
Das Phantom von
Bagdad
Was ist mit Saddam
Hussein?
Saddam ist nicht
einer, sondern viele
Bin Ladin und das
Satellitentelefon
Wahrheit und
Fälschung im digitalen
Zeitalter
Wissenschaftliche
Neugier sorgt für
Funkstille
Die Gespenster der Freiheit - Politischer Spiritismus in
Medienzeiten
Goedart Palm 11.05.2003
Warum sich Amerikas Feinde in Luft auflösen und in der Sahara nur wenig
mehr als heißer Wüstensand zu finden ist
"Es gibt aber auch andre Arten und Kunststücke, um unter Menschen, mit Menschen
»umzugehn«: zum Beispiel als Gespenst - was sehr ratsam ist, wenn man sie bald los sein
und fürchten machen will... und dass wir nach dem Tode erst zu unserm Leben kommen
und lebendig werden, ah! sehr lebendig! wir posthumen Menschen!"
Die letal-vitale Rezeptur von Nietzsches Einsiedler, sich fröhlich zu fantomisieren, ist längst
zur beliebten Façon geworden, als Gespenst der Medien ruhelos umherzuziehen. Die
Gespensterexistenz ist die neue Lebens- oder Todesweise von Amerikas Feinden,
insbesondere den bedeutenden, eben jenen, die schon zuvor zu gespenstischen
Menschheitswidersachern aufgeblasen wurden und nun als Projektionen amerikanischer
Albträume überleben dürfen.
Die postmodernen Gespenster
Präsident Bush und andere Führungskräfte des Ghostbuster-Kompetenzteams haben erklärt,
dass es ihnen egal sei, ob ihre dämonischen Widersacher nun leben oder tot seien. Die von
ihnen entthronten Schattenwesen leben folglich im fantomischen Zwischenreich, gesellen sich
zu den Marienerscheinungen, den Marsianern und allen körperlosen Ungeistwesen, die das
aus der Wirklichkeit Verdrängte grotesk weiter leben lassen.
Während Ibin Ladins und Husseins Getreue teilweise noch mit einem lästigen Realkörper
geschlagen sind, die nun auf der Gespensterinsel Guantanamo oder wo immer die Freiheit
gerade ihren Spuk treibt, verbracht werden, wandern die wahren Bösen in das Schattenreich,
in das Purgatorio ihrer medialen Halbwertszeiten ab.
Saddam Hussein war nach Bush das inkarnierte, also Fleisch gewordene Böse und also ist es
nur logisch, dass er nun zur Strafe bis auf weiteres sein Leben als medialer Wiedergänger
abbüßt. Husseins Realkörper wie auch die von Usama bin Ladin oder Mullah Omar werden
von den konzertierten Medien des Shining, durch Videos, Tonbänder, vor allem aber durch
Gerüchte über ihr Erscheinen und Verschwinden, ersetzt. Das postmodern(d)e Gespenst hält
sich nicht mehr dumpf wallend und lallend in verlassenen Schlössern, der Gruft, dem Friedhof
oder selbstironisch in politischen Manifesten auf, sondern bedroht uns augenzwinkernd aus
dem Zwielicht der Medien.
Herstellungsprozeduren für Fantome
Wie macht man eigentlich Gespenster? Man gibt Gespenstern nach Jacques Derrida einen
anderen künstlichen Leib, der zu einem »Fantom des Fantoms« wird. Oder in den Worten von
Allan Kardec, des Großmeisters der experimentellen Spiritisten, der nicht anders als
Swedenborg mit Gespenstern von Du zu Du umging:
"Die Geister offenbaren sich durch Vermittlung der Medien, die ihnen als Werkzeug und als
Dolmetscher dienen."
So einfach ist das also. Der eigentliche Trick des »Eskamoteurs«, des Herrns der Gespenster,
besteht nun aber nach Derrida darin, verschwinden zu machen, indem man »Erscheinungen«
produziert. Wir wissen nicht so genau, wer im Fall der gegenwärtigen Gespenster- und
Hexenjagden der »Eskamoteur« ist. Doch das gehört ja gerade zum echten Spuk des
Spätspiritismus dazu. CNN, Al-jazeera, Pentagon - oder ein weiterer schrecklicher Verdacht
in den medialen Paradoxien des politischen Spätspiritismus: die Gespenster selbst? Denn
immerhin hat der Eskamoteur Saddam Hussein seine eigene Fantomisierung schon zu
Lebzeiten durch angeblich 20 und mehr Doppelgänger vorbereitet. Und wurde nicht auch Bin
Ladin nachgesagt, mit diesem medialen Taschenspielertrick die Jäger des verlorenen Schatzes
(Freiheit, Demokratie, Öl) zu narren?
Die Vorteile der Datenleiber für einen Kampf gegen Chimären
Warum hat man nun nicht nach alter Väter Sitte die Oberbösen enthauptet und ihre Köpfe vor
den Toren der Stadt aufgespießt, vielleicht noch einen Pflock in ihr Herz getrieben, damit sie
gerade nicht als Untote wiederauferstehen - vor allem als Warnung an die Überlebenden,
Terroristen und solche, die es werden wollen? Weil man sie nicht gefangen hat? Warum
ausgerechnet sollen die obersten Widersacher des Diesseits, Usama bin Ladin, Mullah Omar,
Saddam Hussein und dessen Söhne, nach denen mit besonderer Intensität gesucht wird, die
besonders schlecht untertauchen können, die allerorten mit dem Verrat der treuen Gefährten
rechnen müssen, warum sollen ausgerechnet die so unauffindbar sein, als habe sie der
Erdboden aus Mitleid verschluckt? Wurde unsere Frage, wo sie denn alle sind, bereits durch
Bushs fantomatische Antwort befriedigt, im Kampf gegen den Terrorismus gäbe es Siege, von
denen die Öffentlichkeit nie etwas erfahren wäre?
Oder belegen die Fürsten der diesseitigen Finsternis erst als Gespenster des Jenseits die
Logik des ganzen Freiheitsunternehmens, das nicht weniger Chimären nachjagt als die
ausgetriebenen Bösen selbst? Wenn der Kampf gegen ein Prinzip »Terrorismus« nicht mehr
als eine Chimäre sein kann, braucht es auch Gespenster, dieses manichäische Niemandsland
zu bevölkern. Usama bin Ladin darf nicht leben, so wenig wie Saddam Hussein sterben
. Abgesehen vom gespensterhaften Demokratieverständnis, von der völligen Intransparenz
dieses Spuks weiß auch das Pentagon, dass die menschliche Neugier durch sybillinische
Verlautbarungen dauerhaft zu instrumentalisieren ist. Und der Datenleib der Widersacher ist
sehr solide, solange es Medien und ihren Herren gefällt, strategische Antworten auf neue und
neueste Gefahren zu geben - unabhängig davon, ob es daneben noch einen Realkörper gibt
oder nicht. Prozesse gegen Usama bin Ladin oder Saddam Hussein wären dagegen viel zu
brisant, könnten doch aus Zombies Menschen, aus Angeklagten Ankläger, aus dämonischen
Menschheitswidersachern Zeitgenossen werden und schließlich ihre apokalyptischen
Potenzen zu einem Häuflein müder Asche schrumpfen.
Sicherheitshysterien sind Formen der modernen Gespensterangst
Terroristenjagd und Präventivkriege gründen im politischem Spiritismus, der die Aufklärung
und ihre späten Ausläufer als Spuk denunziert. Sicherheitshysterien sind nichts anderes als
Gespensterangst - mit dünner rationalistischer Lasur für Nichtmethodisten und ewige
Zweifler. Politische Spiritisten brauchen jene Geister, die so unheimlich wie beherrschbar
werden, weil der, der an das Böse als Prinzip und aus Prinzip glaubt, nie weit entfernt davon
ist, es für leibhaft und bedrohlich zu halten. Auch der Papst hält den Teufel bekanntlich für
einen Geist mit Körper.
Der leibhaftige Saddam Hussein ist nun nach dem märchenhaften Endkampf um Bagdad -
vorübergehend oder immerwährend - ein solches Gespenst mit einem medialen Ersatzkörper
geworden. Saddam Hussein wollte den amerikanischen Schulkindern mitteilen, dass die
wundervollen Geschichten von Aladin und Sinbad nicht von Disney und McDonalds erfunden
wurden, sondern in seinem Märchenland spielen. Bush hat ihm nun diesen Wunsch erfüllt und
ihn selbst in die Galerie der fabulösen Helden gestellt. Und das ist eine alte Tradition im
Umgang mit dem Orient, der seit je von westlichen Projektionen bevölkert wird: von den
Fantasmen des unvorstellbaren Reichtums, der sexuellen Exzesse im Harem und anderen
europäischen Obsessionen, die den tausendundeins Wunderlampen entnebeln.
Militärfantomatik
In der Welt der Gespenster, der Wiedergänger und Schattenwesen haben wir es uns ohnehin
längst heimisch gemacht, seitdem wir wissen, dass die Realität der Medien die Geisterbahn
ist, der wir nicht entfliehen können. Amerika hat zudem ein reiches okkultistisches Training:
From dusk to dawn treiben die Poltergeister, Freddy Kruger, Buffy, the Vampire slayer, Mars
Invaders, Halloween-Fratzen und unzählige Dinger aus einer anderen Welt ihr unwesentliches
Wesen. Und eine Nation, die mehrheitlich glaubt, Saddam Hussein stünde hinter den Anschlag
von Nine/Eleven, ist sicher auch medial ausreichend präpariert, ihn schließlich für einen
Wiedergänger in der Dark Zone zu halten.
In diesem medialen Spukspektakel später Spiritisten hatte auch Comical Ali Recht, dass die
US-Marines an den Mauern Bagdads Selbstmord begingen, was ja mindestens so einsichtig ist
wie Baudrillards These, der erste Golfkrieg habe überhaupt nicht stattgefunden. Wenigstens
für einige medial-logische Sekunden der irakischen Propagandasimulakren, in der nur die
ausgestrahlte Wahrheit gilt, starben die Eroberer einen Tod, den sie sich nur selbst zufügen
könnten, weil die irakische Armee zu dem Zeitpunkt schon eine Fata Morgana, eine
Gespensterarmee geworden war. Bush musste sich folglich an Comical Ali erfreuen, weil der
irakische Desinformationsminister den komplementären Spuk spendete, ohne den Amerikas
Spiel auf ein Tor schließlich noch als unheroisch-unfaires Spektakel hätte denunziert werden
können.
Wer darauf hält, die Sieger wären weniger Fantome als die von ihnen bekämpften Dämonen,
täuscht sich. Wer glaubt etwa ernsthaft, der oberste General Tommy Franks würde
funktionellen Notwendigkeiten folgen, wenn er im schmucken Wüstenkampfkostüm permanent
so erscheint, als sei er gerade einem sandigen Granattrichter vor Basra entstiegen? Das ist
genauso Militärfantomatik wie Bushs Erscheinung im Kampfpiloten-Ornat - getreu dem
kabbalistischen Wissen:
»Mit Gespenstern spielend, wirst du zum Gespenst.«
Gespenster, wohin der medial verklärte Blick auch fällt. Die Touristen aus Deutschland,
Österreich und der Schweiz verschwanden in der Wüste »wie vom Erdboden verschluckt«.
Wenn die Entführer jenseits logistischer Notwendigkeiten die Wahl dieses Ortes getroffen
haben, ist ihnen semantischer Gespenstersinn bei der Ausübung ihres diesseitigen Handwerks
nicht abzusprechen.
Die »Gräberpiste« passt sehr gut zur postmodernden Logik des Verschwindens in der Wüste.
Wenn ganze Karawanen im Treibsand spurenlos vom Schicksal konfisziert werden und die
Fata Morgana das schönste Schauspiel des Da-Seins ist, ohne da zu sein, gibt es kein besseres
Szenario als die Sahara, das so beliebte Metier David Copperfields auszuüben. Und dieser
Logik des Unaufklärbaren korrespondiert der algerische Innenminister Noureddine Yazid
Zerhouni mit dem höchst auslegungsfähigen Orakel: »Alle, oder zumindest einige leben noch«.
Erreicht die von Jean Baudrillard beschriebene »Agonie des Realen« nun neue Höhepunkte?
Die ruchlosen Gespenster passen in das amerikanische Universum der großen Ideen - Freiheit,
Gleichheit, Demokratie - und werden dort - somewhere over the rainbow - zu den
Schattenfiguren der großen Gespenster, zu kleinen Unterteufeln, die keiner so ganz ernst nimmt
und doch ein wenig oder auch mehr fürchten soll.
Außer gebetsmühlenhaften Racheschwüren haben die ausgetriebenen Bösen mit medialer
Wiederkehrgarantie ohnehin nichts mehr zu sagen, weder in diesem noch in jenem Leben.
"Seit den frühen Tagen des Spiritismus hat das Jenseits nichts Erheblicheres kundgetan als
Grüße der verstorbenen Großmutter nebst der Prophezeiung, eine Reise stünde bevor",
spottete Adorno in seinen Thesen gegen den Okkultismus über die Geister, die den Geist
ersetzen.
Usama und Saddam sind jetzt die neuen Geister in der alten Flasche, die mehr oder wenig
beliebig herbeigezaubert werden können - ihre reale Existenz würde dieses mediale
Machtspiel des kleinen Hans oder großen George - fort/da - nur stören. Denn als Geister sind
sie »wer es auch immer sei, weniger gefährlich...als ein Lebender«, wie es bereits Allan
Kardec im »Buch der Medien« 1861 prophezeite.
Kommentare:
Ist ja gut (sword, 12.5.2003 0:20)
warum gleich umbringen? (condiklaus, 12.5.2003 0:08)
Fantome (Irenicus, 11.5.2003 23:22)
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last modified: 11.05.2003
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