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Liquidationsdefensive schrieb am 18.11. 2002 um 21:02:07 Uhr über

Antigen

Wenn man manchmal etwas tun muss, was man nicht tun will, nicht in dem Sinne, dass es völlig gegen die eigenen Überzeugungen wäre, von diesem verschärfteren Fall rede ich gar nicht, sondern nur, weil es der Neigung und dem Gaumen nicht so recht schmeckt, sollte es ja heissen, »zusammenreißen«, »Augen zu und durch«, »was sein muss, muss sein« oder ähnliches, statt die Angelegenheit permanent hin- und herzudrehen, in der Hoffnung, noch einen Blickwinkel zu finden, welcher die Pflicht in Lust verwandeln könnte. Prinzipiell ist diese Strategie, allem etwas Positives abgewinnen zu wollen, ja vielleicht nicht schlecht, sofern einem dieser positive Aspekt dann auch nach endlicher Zeit in die Augen springt. Der andere Weg wäre es, Pflicht Pflicht sein zu lassen, das Unangenehme gar nicht in Frage zu stellen, sich wie ein rasender blinder Maulwurf durch diesen grauen Klotz hindurchzubeißen und es schnell hinter sich zu bringen, um sich auf der anderen Seite auf ein paar Erdnüsse zu freuen (von denen ich jetzt mal ungeprüft unterstelle, dass Maulwürfe sie lieben). Dieser zweite Weg scheint mir der zu sein, der in jenem sagenumwobenen Dale-Dingenskirchen-Buch des Lebens »Sorge Dich nicht, lebe« gepriesen wird, das auch noch gruseligerweise Jahrmillionen lang die Bestsellerlisten anführte, und das ich irgendwann schamhafterweise, aber völlig ohne die von ihm angestrebte Wirkung, gelesen habe, weil man mich mit diesem Buch beschenkt hatte, wahrscheinlich im festen Glauben, ich sei der Kandidat schlechthin für das Werk, ein Motiv, das noch deprimierender ist als das Buch selbst, und weil ich beim Lesen von Büchern meistens der ersten Strategie anhänge, nämlich sie bis zum bitteren Ende durchzulesen, weil ja auf den letzten Seiten doch noch etwas kommen könne, was die Lektüre des Restes rechtfertigen würde. In dem Fall kam aber nichts. Es konnte auch nur ohne Wirkung bleiben, weil das Problem unheilbar auf sehr dominanten Antigenen gegen das Pflichtgemäße beruht, denen gegenüber die Selbstdisziplin chancenlos ist. Das hat auch überhaupt nichts mit irgendeiner Art von ausgeprägtem Widerstandsgeist zu tun, ganz im Gegenteil sind solche Antigene gegen die Vernunft ein gänzlich geistloser Stumpfsinn, die vielmehr mit dem Erwachsenwerden von der Einsicht unter Kontrolle zu bringen wären, der Einsicht nämlich, dass an der Grenze von sich selbst zum Nachbarn das Unbehagen stehen kann, das man aber auf keinen Fall zu seinem Recht kommen lassen darf, von seltenen Ausnahmen vielleicht abgesehen. Wenn man also zu jenem zweiten Weg zur Pflicht kraft der Antigene nicht in der Lage ist, der erste Weg, allem etwas Positives abgewinnen zu wollen, jedoch meistens mit grässlichen unüberwindbaren Steinen gepflastert ist, dann hat man so einen lästigen Wurm in sich, ist nicht mehr Kind und nicht richtig Erwachsener, und man starrt nur ratlos auf diesen Wurm, der in der zähen Leere zwischen beiden Seiten hin und her sich bohrt, und immer wenn man ihn packen will, ist er schon wieder fort zur anderen Seite. Und während man damit so grimmig beschäftigt ist, Pflicht und Lust immer und überall in Einklang bringen zu wollen, übersieht man ganz das größte Problem dabei, dass nämlich dasjenige, wovon dieser Wurm einem am meisten wegfrisst, die Zeit ist.


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