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Ich denke, daß 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert der globalen
 Guerilla-Kriege in den Städten. Wahrscheinlich werden einige von uns
 auch noch die ersten Kriege erleben, in denen Konzerne mit Privatarmeen
 gegen Staaten und gegen Terrorgruppen kämpfen. All diejenigen, welche
 Cyberpunk-Romane bislang nicht ernstgenommen haben, sollten sich nun
 wirklich fragen, warum sie von diesem Terrorakt in den USA so geschockt
 worden sind. Ich hatte schon früher genug Phantasie, um beim Lesen von
 Sci-Fi-Romanen in den späten 80ern und frühen 90ern zu erkennen, wie
 realistisch und durchaus wahrscheinlich solche Szenarien sind, und im
 Laufe der 90er habe ich immer mehr und mehr Anzeichen dafür entdecken
 können, daß es tatsächlich so kommen wird.
 Sagt nicht, Ihr hättet nicht ahnen können, daß so etwas passiert. Ich
 habt Euch in Euren Kokons aus Illusionen verkrochen, Euch in ein durch
 nichts gerechtfertigtes Sicherheitsgefühl eingekuschelt und wolltet
 nichts hören von den Entwicklungen in der Welt. Ich habt es abgelehnt,
 Eure Phantasie ernsthaft mit Dingen zu beschäftigen, die Euer
 Sicherheitsgefühl hätten unterminieren können. Ihr habt vielleicht
 Hollywood-Filme gesehen, in denen derartige Szenarien auftauchten,
 vielleicht auch Romane gelesen - aber Ihr habt das alles als
 »Was-wäre-wenn«-Szenarien abgetan, so als könne man derartige
 Entwicklungen verhindern, wenn man rechtzeitig Bescheid weiß, daß so
 etwas passieren könnte. Ihr habt es nie gewagt, darüber nachzudenken,
 daß all die Roman- und Drehbuchautoren mit ihren Phantasien nur
 Entwicklungen fortgeschrieben haben, die sie mit ihrer scharfen
 Beobachtungsgabe in vollem Gange sehen konnten, auch wenn sie noch
 nicht weit fortgeschritten waren, und daß ihre Extrapolationen aus
 diesen Beobachtungen durchaus realistisch sein könnten.
 Nun habe ich in meiner Jugend viele von diesen Romanen verschlungen,
 und seit den frühen 90ern habe ich von Jahr zu Jahr mehr Voraussagen
 der Cyberpunk-Autoren bestätigt gefunden, und schließlich entwickelten
 sich die Dinge sogar schneller und extremer in der Realität als in den
 Romanen. Natürlich handelt es sich immer noch um Werke, die aus der
 Phantasie von Menschen entstanden sind, und man kann nicht erwarten,
 daß die Dinge wortwörtlich so eintreten, wie sie beschrieben sind, aber
 wenn man die Geschichten als eine grobe Beschreibung der Dinge, die da
 kommen mögen, betrachtet, wird man merken, wie realistisch sie wirklich
 sind. Die Welt, wie sie als Ist-Zustand für die Mitte des 21.
 Jahrhunderts beschrieben wird in diesen Werken, wird es wahrscheinlich
 nie so geben - aber eine ähnliche Welt kann es sehr wohl geben.
 Außerdem ist sehr interessant, wie in diesen Romanen die "future
 history" beschrieben wird, also die Entstehungsgeschichte der dort
 beschriebenen Welt aus Sicht der dortigen Menschen - denn dort werden
 die Ereignisse des späten 20. Jahrhunderts beschrieben, die zu großen
 Teilen tatsächlich so ähnlich eingetreten sind, und die des frühen 21.
 Jahrhunderts, von denen viele wahrscheinlich in ähnlichen Formen
 eintreten werden. Die Cyberpunk-Autoren haben bereits in den frühen
 80er Jahren erkannt, daß unsere Welt auf einen Abgrund zusteuert, auf
 einen globalen Flächenbrand, und daß hinterher eine Welt entstehen
 wird, die nach heutigen Begriffen kaum vorstellbar ist.
 Nun, wenn wir davon ausgehen, daß unsere momentane Zivilisation sowieso
 am Abgrund steht, können wir uns überlegen, welche Zukunft wir
 erschaffen wollen. Wollen wir, daß der Kapitalismus sich in eine Art
 Konzern-Feudalismus verwandelt? Wollen wir, daß ein paar Reiche sich
 die letzte unberührte Natur kaufen und sonst keinen mehr reinlassen?
 Wollen wir, daß 90% der Menschheit sich von billigem Industriefutter
 ernähren müssen? Wollen wir eine Welt, wie sie in »Neuromancer«
 beschrieben wird? Wenn ja, dann sollten wir weitermachen wie bisher. Es
 wird kaum große Kriege geben, stattdessen globale Flächenbrände.
 Kriegerische Gruppen aller Art - ob man sie Terroristen nennt oder
 nicht, hängt einzig davon ab, auf welcher Seite man steht, aber es wird
 nirgendwo auf dem Planeten mehr einen Ort geben, an dem man sicher sein
 kann, auf welcher Seite die Mehrheit steht - werden Staaten, Konzerne
 oder andere kriegerische Gruppen angreifen. Religiöse Gruppen werden
 zum Heiligen Krieg rufen, linke Gruppen zum Kampf gegen das Kapital,
 rechte Gruppen zum Kampf für kulturelle oder rassische Reinheit,
 Öko-Aktivisten werden zum Kampf gegen die Naturzerstörung rufen, und
 alle werden verzweifelt genug sein, um unter Einsatz ihres Lebens zu
 kämpfen oder sich sogar selbst zu opfern. Außerdem wird es Unmengen von
 Menschen geben, die bereit sind, für Geld, egal ob von einem Konzern
 oder einem Geheimdienst, gegen alle Gesetze und moralischen Maßstäbe zu
 verstoßen, die es jemals irgendwo gegeben hat.
 Aber noch ist etwas Zeit. Die Welt hält einen Moment lang den Atem an,
 und noch können wir uns entscheiden, was wir tun wollen. Wenn die
 Ereignisse uns erst einmal richtig in ihrem Griff haben, ist es zu
 spät. 
 
 
 
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