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wuming schrieb am 3.5. 2003 um 16:08:27 Uhr über

Strom

Land der Stauseen

Die Schweiz erzeugt mit Wasser den Strom von
zehn Kernkraftwerken. 480 Wasserkraftwerke
kommen auf eine Leistung von 300 Kilowatt und
mehr, 170 erreichen mehr als 10 Megawatt

Die Schweiz bezieht 60 Prozent ihres Stroms aus
Wasserkraft - europaweit einer der Spitzenplätze. Doch
nach Jahrzehnten des Kraftwerkbaus stößt diese
intensive Nutzung von Flüssen und Bächen an ihre
Grenzen. Die Energieversorgungsunternehmen müssen
sich jetzt den Argumenten der Umweltschützer beugen
und sich von weiteren Ausbauprojekten verabschieden.

Möglich ist die überaus intensive Nutzung der
Wasserkraft ohnedies nur aufgrund der geografischen
Besonderheiten des helvetischen Territoriums: Große
Flüsse wie Rhein und Rhone haben ihren Ursprung in
den Alpen und fließen zunächst durch die Schweiz. Auch
an ihren Zuflüssen reiht sich oft ein Kraftwerk ans
andere. Die Emme beispielsweise wird neunmal
gestaut, ehe sie in die Aare mündet. Das Wasser des
Hochrheins rauscht zwischen Bodensee und Basel
zwölfmal durch eine Turbinenkammer. 480 Schweizer
Wasserkraftwerke kommen auf eine Leistung von 300
Kilowatt (kW) und mehr, 170 weitere erreichen immerhin
mehr als 10 Megawatt (MW).

Die leistungsstärksten Kraftwerke befinden sich jedoch
alle im Hochgebirge. Aufgrund des enormen Gefälles
lassen sich hier auch mit kleinen Gebirgsbächlein
beträchtliche Energiemengen erzeugen - vorausgesetzt,
man füllt mit den Bächen große Stauseen und lässt das
Wasser dann hunderte von Metern in die Tiefe und dort
auf die Turbinen stürzen.

Das mit Abstand größte Wasserkraftwerk der Schweiz
ist das im Wallis gelegene Grande Dixence mit einer
installierten Leistung von 2.000 MW. Er wird unterirdisch
aus 35 Gletschern gespeist. Der Schweizerische
Wasserwirtschaftsverband betont jedoch, dass die
Stauseen im Schweizer Alpenraum im internationalen
Vergleich »verhältnismäßig klein« seien. So habe das
Kraftwerk Itaipu in Brasilien eine sechsmal größere
Kapazität als Grande Dixence. Auch die 400 Millionen
Kubikmeter Wasser hinter der 285 Meter hohen
Staumauer von Grande Dixence seien im Vergleich zu
den 182.000 Millionen Kubikmetern des Kakhovskaya
am ukrainischen Dnjepr eher gering.

Dennoch produzieren allein die Speicherkraftwerke so
viel Strom wie die fünf Schweizer Atomkraftwerke. Der
große Vorteil der Speicherkraftwerke im Alpenraum liegt
in ihrer Flexibilität. Wenn weniger Strom gebraucht wird,
wird das Wasser durch die unterirdischen Stollen in den
Stausee hochgepumpt, bei hohem Energiebedarf stürzt
es wieder in die Tiefe. Die Speicherkraftwerke können
innerhalb von Minuten in Betrieb genommen werden und
decken vor allem den Strombedarf während der
Tagesspitzen. Zudem wird das im Frühling und Sommer
besonders fleißig plätschernde Nass der Alpenbäche in
den Stauseen aufgefangen. Zur Stromerzeugung
eingesetzt wird es dann vorzugsweise im Winter, wenn
der Bedarf am größten ist.

Da laut Schweizer Verfassung die Kantone das
Verfügungsrecht über die Wasserkräfte haben, bezahlen
die Kraftwerksbetreiber an die Standortkantone für ihre
Sondernutzungsrechte einen Wasserzins. Die
Energieversorger sind überwiegend in der Hand der
Städte und Kantone in den Ebenen, die auch den
größten Strombedarf haben. Für Bergkantone wie
Wallis, Graubünden oder Tessin und ihre Gemeinden
bedeutet der Wasserzins der Konzessionäre eine
erhebliche Einnahmequelle.

Dennoch wurde es in den vergangenen Jahren für die
Kraftwerksbetreiber immer schwieriger, ihre
Erweiterungspläne oder gar den Bau neuer Talsperren
durchzusetzen. Besonders deutlich bekamen dies die
Berner Kraftwerke BKW und die Städte Bern, Basel und
Zürich zu spüren, die zusammen die Kraftwerke
Oberhasli (KWO) im Berner Oberland betreiben. Im
Gebiet um den Grimsel- und den Sustenpass hat die
KWO mit sechs Stauseen, neun Kraftwerken und 105
Kilometer Wasser führenden Stollen zwischen 1920 und
1968 den größten Kraftwerkskomplex der Schweiz
errichtet. Möglich wurde das nicht nur aufgrund
erheblicher Höhenunterschiede, sondern auch wegen
des soliden Grimselgranits, der erst die gefahrlose
Auffüllung von Speicherseen erlaubt.

Das Wasser, das zu einem großen Teil aus den
Gletschern der Gegend stammt, treibt, von den oberen
Stauseen »Oberaar« und dem Trübten- und Engstlensee
kommend, zunächst die Generatoren der Kraftwerke
Fuhren und Grimsel 1 und 2 an. Über mehrere Stufen,
Stauseen und weitere Kraftwerke landet es zum Schluss
1.700 Meter tiefer in der Aare. Der Clou bei diesem
Kraftwerkskomplex sind die Pumpen, mit denen das
Wasser in verbrauchsarmen Zeiten wieder in die höher
gelegenen Seen gepumpt werden kann.

Mit dem Projekt »Grimsel West« wollte die KWO Ende
der 80er-Jahre unter anderem mit einer weiteren
Staumauer von 200 Meter Höhe das Volumen des
Grimselsees vervierfachen. Nach 12-jähriger
Auseinandersetzung scheiterte das
3-Milliarden-Franken-Projekt 1999 am Widerstand von
Naturschützern und Einheimischen. Ihnen lagen vor allem
das Gletschervorfeld, die geschützte Moorlandschaft
»Sunnig Aar« und der Zirbelkieferwald am Herzen, die
durch die Vergrößerung des Sees überschwemmt
worden wären. "Damit wäre eine der letzten alpinen
Landschaften verschwunden", erklärt Katharina von
Steiger von der Initiative Grimselverein. "Restwasser der
genutzten Bäche wäre noch spärlicher geworden."

Über das abgespeckte Projekt »Grimsel Plus«, bei dem
lediglich die bestehenden Staumauern des Grimselsees
um 23 Meter erhöht werden würden, traten die
Umweltschutzverbände Pro Natura, der WWF und der
Grimselverein mit den Kraftwerksbetreibern zunächst in
einen Dialog. Gefordert wurden von der KWO
Ausgleichsmaßnahmen wie die Renaturierung eines
kanalisierten Aare-Abschnitts. Am 20. März dieses
Jahres wurde jedoch auch dieser Dialog abgebrochen.

»Wasserkraftwerke sind nicht per se ökologisch«, erklärt
Jan Steiger von Pro Natura. Angesichts der
Auswirkungen von Kraftwerken auf den natürlichen
Fließcharakter der Flüsse oder auf das Austrocknen
betroffener Flussbette beeinträchtige auch die
Wasserkraft das Leben im und am Gewässer. Das
Verschwinden der Lachse aus Rhein und Aare sei nur
das einschlägigste Beispiel. "Die Kraftwerke und
Stauseen, die bereits bestehen, akzeptieren wir", erklärt
Steiger. Weitere Überflutungen und Stauprojekte würden
die Umweltschützer aber nicht mehr hinnehmen. In den
90er-Jahren mussten einige Betreiber ihre Ausbaupläne
aufgrund des Widerstandes der Naturliebhaber
begraben, auf Eis legen oder abspecken. Inzwischen gilt
die Stromgewinnung aus Wasserkraft in der Schweiz
generell als ausgereizt. " ANITA MERKT

taz Nr. 7044 vom 3.5.2003, Seite VI, 217 Zeilen
(TAZ-Bericht), ANITA MERKT


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